Volk sagt Ja zu 13. AHV-Rente «Niemand hat das Ergebnis so deutlich erwartet»

Von Alex Rudolf

3.3.2024

Oliver Strijbis schätzt für blue News die Abstimmungen ein.
Oliver Strijbis schätzt für blue News die Abstimmungen ein.
Bild: Flurin Bertschinger

Die Initiative für eine 13. AHV-Rente wird deutlich angenommen. Im Interview erklärt Politologe Oliver Strijbis, welche Faktoren dazu geführt haben – und wie es nun weitergeht.

Von Alex Rudolf

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Mit 58 Prozent wurde die Vorlage zur 13. AHV-Rente angenommen. Obwohl Oliver Strijbis ein Ja hat kommen sehen, eine derart deutliche Zustimmung hat er nicht erwartet.
  • Gleich mehrere Faktoren führten dazu, dass dem Gewerkschaftsbund und den linken Parteien ein Abstimmungserfolg gelingen konnte.
  • Nun habe die Linke grössere Chancen auf ein Ja bei sozialpolitischen Vorlagen, denkt er.

Herr Strijbis, in einem Interview mit blue News sagten Sie am 20. Februar das Ja zur 13. AHV-Rente voraus. Haben Sie es derart deutlich erwartet?

Nein, ich denke, niemand hat das Ergebnis so deutlich erwartet. In der Tat sahen wir bei unserer Umfrage bei blue News, dass ein grosser Teil der bürgerlichen Wähler*innen ein Ja in die Urne legen wird. Das taten sie in einem Ausmass, das man nur selten sieht bei Vorlagen, die eine so deutliche Links-Rechts-Konstellation aufweisen. 

Was hat zur Annahme der 13. AHV-Rente beigetragen?

Hier müssen verschiedene Aspekte berücksichtigt werden. Einerseits erklären die Themenlage und die Entwicklung der letzten Jahre das Ja an der Urne. Der Umstand, dass der Staat viel Geld in die Hand nehmen kann, wenn er denn muss, spielte den Initiant*innen in die Hände. So konnten bei der Armee, bei der Corona-Pandemie und bei der CS-Rettung innert kürzester Zeit Milliarden locker gemacht werden. Andererseits verloren Economiesuisse und die FDP ein Stück weit an Deutungshoheit. Es gibt eine gewisse Entfremdung zwischen der Wählerschaft und der Arbeitgeber-Elite.

Und drittens?

Die SVP schaffte es bei dieser Vorlage absolut nicht, ihre Wähler*innen auf die eigene Seite zu bringen.

Inwiefern ist der Sieg dem Ja-Lager zuzuschreiben?

Das Ja-Lager zeigte schon bei vergangenen Abstimmungen, dass es starke Kampagnen fahren kann. Das ist die grosse Stärke der SP-Führung. Sie schafften bei der Konzernverantwortungs-Initiative bereits einen Achtungserfolg. Bei Wahlen ist die SP nicht so stark, aber bei Abstimmungen ist sie sehr gut unterwegs.

Ist die Schweiz linker geworden?

Nein, das glaube ich nicht. Ich glaube, die Linke hat bei sozialpolitischen Vorlagen grössere Chancen auf ein Ja. Das hat sich verändert. Bei kulturellen Themen wie der Migration ist ein Linksrutsch aber nicht absehbar.

Was heisst dieses Ergebnis für die anstehenden Abstimmungen im Sommer und im Herbst, wo es um die Krankenkassen-Prämien und die zweite Säule geht?

Die Chancen der Prämienentlastungsinitiative sind durchaus intakt. Der grosse Effekt dieses Abstimmungssonntags für die kommenden Jahre wird wohl sein, dass die Bürgerlichen im Parlament mehr Kompromisse mit den Linken eingehen werden müssen.

Haben Sie ein Beispiel?

Etwa die Verhandlungen zum Rahmenabkommen mit der EU. Jene Bürgerlichen, die es sich vorstellen können, ohne die Linken an die Urne zu gehen mit einer Vorlage, werden sich dies nun zwei Mal überlegen.

Ein Graben tut sich nicht nur zwischen der Deutsch- und der Westschweiz auf, sondern auch zwischen den Kantonen Aargau und Luzern: Wie erklären Sie sich das?

Ich habe eine Vermutung: Bei dieser Abstimmung setzten beide Kampagnen sehr stark auf das Ständemehr. Aus diesem Grund wurden je nach Kanton unterschiedlich starke Kampagnen gefahren. Vielleicht lassen sich diese Unterschiede mit den verschieden starken Kampagnen-Stärken erklären. 

Warum war die finanzstarke Nein-Kampagne unter der Leitung von Economiesuisse nicht erfolgreich?

Ein bisschen überrascht es mich auch, dass diese Kampagne keinen grösseren Effekt hatte. Derzeit arbeiten wir an einer Studie, die zeigen soll, dass bei ähnlich hohen Kampagnen-Budgets kein grosser Unterschied herrscht zwischen Ja- und Nein-Kampagne. Hat eine Seite ein bedeutend grösseres Budget, sieht man durchaus grössere Unterschiede. Sowohl die Ja- wie auch die Nein-Kampagne waren ausreichend präsent bei dieser Abstimmung.

Ist nun der Weg geebnet für weitere Initiativen, die den Sozialstaat ausbauen?

Das ist sicher das, was Mattea Meyer und Cédric Wermuth im Kopf haben. Sie verstehen die SP als Bewegungspartei, die anhand von Initiativen Dinge verändert. Man muss aber auch sehen, dass die AHV extrem populär in der ganzen Bevölkerung ist. Eine Mehrheit bei der beruflichen Vorsorge oder der Arbeitslosenversicherung hinzubekommen, ist deutlich schwieriger.

Die Jungfreisinnigen gingen mit ihrer Initiative unter. Warum blieb die Renteninitiative chancenlos?

Das war absehbar. Ich habe nie ganz verstanden, warum diese Initiative überhaupt kommt. Sie wurde nicht breit getragen und war eine reine Abbau-Vorlage. Man konnte mit dieser Vorlage nicht mal die eigene Wählerschaft mobilisieren.