Imam-Weiterbildung in Zürich «In 15 Jahren wird in der Moschee nur noch Deutsch gesprochen»

Von Lia Pescatore

17.7.2022

Imam Dzemil Pasic: «Manchmal finde ich es schwierig, alle Probleme zu lösen»

Imam Dzemil Pasic: «Manchmal finde ich es schwierig, alle Probleme zu lösen»

Mit einer Weiterbildung versucht der Kanton Zürich die Zusammenarbeit zwischen Behörden und muslimischen Gemeinschaften zu stärken. Einer der ersten Teilnehmenden: Imam Dzemil Pasic. blue News hat ihn in der Moschee besucht und zum Kurs begleitet.

12.07.2022

Mit einem achttägigen Kurs versucht der Kanton Zürich, zentrale Figuren der muslimischen Gemeinschaft mehr in die Gesellschaft einzubinden. Einer von ihnen ist Imam Dzemil Pasic. 

Von Lia Pescatore

Dzemil Pasics Arbeitstag beginnt momentan vor 6 Uhr und endet nach 23 Uhr – wegen des Sonnenstands. Er ist Imam und darum für das Vorbeten der täglich fünf Gebete zuständig. Doch das sind längst nicht alle seine Aufgaben: Seiner 800-köpfigen Gemeinde dient er als Seelsorger, unterrichtet am Wochenende die Jugendlichen, begleitet Hochzeiten und Beerdigungen. «Das sind schon mal über 100 Prozent», so Pasic. Er hat vergleichsweise Glück: Er ist in der bosnischen Gemeinde in Schlieren nicht als einziger Imam tätig, sondern erhält Unterstützung von einem Kollegen.

Sein Masterstudium in Religion und Philosophie hatte der Bosnier in der Türkei abgeschlossen,  – damals hatte er noch keine Ahnung, dass ihn bald die Liebe in die Schweiz führen würde. Seit fünf Jahren ist er nun in Schlieren – und sieht seine Situation selbstkritisch: Er will sein Deutsch verbessern, mehr Integrationsarbeit leisten, sich weiterbilden. Doch es fehlt die Zeit, und auch das Geld: Die Moschee finanziert sich einzig durch Spenden und Mitgliederbeiträge.

Doch nicht nur Zeit und Geld sind rar, sondern auch das Bildungsangebot: Spezifische Weiterbildungen für Imame gibt es so nicht. Der Kanton Zürich versucht darum mit dem Pilotprojekt «Zürich-Kompetenz», diese Lücke zu schliessen. Während acht Tagen in drei Monaten wurden diesen Sommer zwanzig Menschen, die im Umfeld der Moschee tätig sind, geschult – darunter auch Dzemil Pasic.

Teilnehmen wollten mehr, als Plätze zu vergeben waren – für Abduselam Halilovic, Präsident des Muslimischen Dachverbands, eine Bestätigung: «Es belegt, was wir schon seit Jahren sagen: Der Bedarf nach einer Imam-Ausbildung ist da», mit dem Angebot habe man einen Nerv getroffen.

Zugelassen waren nicht nur Imame, sondern auch andere Personen mit zentralen Rollen in der muslimischen Gemeinschaft wie zum Beispiel Religionslehrer*innen, Jugendarbeiter*innen oder Vorstandsmitglieder, die häufig ehrenamtlich tätig sind.

Trilaterale Zusammenarbeit

Aufgebaut wurde der Kurs in Zusammenarbeit von drei Akteuren: Dem Kanton Zürich, der Vereinigung der Islamischen Organisationen Zürich Vioz, sowie der Universität Freiburg, die selbst schon eine ähnliche Ausbildung an ihrem Schweizerischen Zentrum für Islam und Gesellschaft anbietet.

««Das Bedürfnis ernst zu nehmen und die Lücke zu füllen, ist staatliche Aufgabe – jedoch nicht die Umsetzung des Bildungsangebots.»

Myrta Grubenmann

Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Zürcher Direktion der Justiz und des Innern

Der Kanton sorgte für einen Grossteil der Finanzierung und stellte auch einige Referent*innen. Aus der inhaltlichen Planung habe sich der Kanton bewusst herausgehalten, sagt Myrta Grubenmann, Projekt-Verantwortliche bei der Zürcher Direktion der Justiz und des Innern.

«Das Bedürfnis ernst zu nehmen und die Lücke zu füllen, ist staatliche Aufgabe – jedoch nicht die Umsetzung des Bildungsangebots», erklärt sie.

Das Programm haben darum die Vioz in Zusammenarbeit mit dem Schweizerischen Zentrum für Islam und Gesellschaft der Universität Freiburg zusammengestellt.

Die Kurse drehen sich unter anderem um Kommunikation und Medienarbeit, das Schreiben einer Freitagspredigt oder um die Arbeit mit Jugendlichen. Besonders Letzteres sei auf viel Interesse gestossen, sagt Andrea Lang von der Universität Freiburg, wissenschaftliche Leiterin der Ausbildung Zürich-Kompetenz.

Abduselam Halilovic erklärt sich das Interesse einerseits dadurch, dass die muslimische Gemeinschaft im Vergleich zur Gesamtbevölkerung jünger sei.

Andererseits sei es ein Fakt, dass die meisten Betreuungspersonen einen Migrationshintergrund hätten, während viele der Jugendlichen hier in der Schweiz aufgewachsen seien und darum anders sozialisiert worden seien. «Umso schöner war es zu sehen, dass gerade auch im Kurs ältere und jüngere sich miteinander austauschen konnten und so neue Impulse entstanden», sagt er.

Deutsch sprechen und neue Kontakte knüpfen

Auch der 32-jährige Dzemil Pasic erlebt dieses Spannungsfeld zwischen den Generationen in seiner Gemeinde. Während die Älteren das Umfeld der Moschee nutzten, um ihre Sprache und Kultur zu pflegen, fühlen sich die Kinder und Jugendlichen mit der deutschen Sprache wohler. Pasics Ziel darum: In den nächsten Jahren will er fliessend Deutsch sprechen lernen, denn er ist sich sicher: «In spätestens 15 Jahren wird in der Moschee nur noch Deutsch gesprochen.»

Für ihn bot die Weiterbildung darum auch eine Gelegenheit, Deutsch zu sprechen – etwas, was in seinem Alltag bedauerlicherweise zu kurz komme, sagt er.

Doch was nimmt er sonst aus der Weiterbildung mit? Pasic hebt vor allem die neuen Kontakte hervor, die er knüpfen konnte – mit anderen Musliminnen und Muslimen, aber auch mit den Behörden und anderen Religionsgemeinschaften. Für ein in die Weiterbildung integriertes Projekt hat er zum Beispiel den kantonalen Verantwortlichen für interreligiösen Dialog der reformierten Kirche getroffen.

Zwar habe der Kurs nicht alle offenen Fragen beantwortet. «Aber jetzt bin ich nicht mehr allein damit, sondern habe Ansprechpersonen», so Pasics Fazit.

««Jetzt bin ich nicht mehr allein mit meinen Fragen, sondern habe Ansprechpersonen.»

Dzemil Pasic

Imam

Damit sei ein zentrales Ziel des Kurses erreicht worden, sagt Andrea Lang von der Universität Freiburg: Die Teilhabe der muslimischen Gemeinschaft an der Gesellschaft zu erhöhen. Gleichzeitig sollen die zwanzig Teilnehmenden das Gelernte und ihre Erfahrungen auch in ihrem Umfeld verbreiten, als sogenannte Multiplikatoren wirken.

Auch Grubenmann vom Kanton Zürich zieht ein positives Zwischenfazit. Für die Erkenntnisse müsse jedoch die zweite Durchführung, die im nächsten Frühjahr stattfindet, abgewartet werden. Dann wird sich zeigen, ob die Weiterbildung Zürich-Kompetenz den Pilotstatus überstehen wird.

Erfahrungen zeigen: Ein Knackpunkt bleibt die Finanzierung. 400'000 Franken hat der Kanton Zürich in die Umsetzung des Projekts investiert. Doch soll der Kanton überhaupt Angebote einzelner Religionsgemeinschaften finanzieren? «Eine politische Frage», sagt Myrta Grubenmann.

Kreative Lösungen sind nötig

Das Problem: Während beispielsweise die Landeskirchen als im Kanton öffentlich-rechtlich anerkannte Religionsgemeinschaften staatliche Beiträge beziehen können, kann der Kanton muslimische Organisationen und Vereine nur projektbasiert finanziell unterstützen und dies eigentlich auch nur zeitlich begrenzt.

Häufig seien kreative Lösungen gefordert, sagt Abduselam Halilovic. Das zeigt auch das Beispiel der muslimischen Seelsorge im Kanton Zürich: 2017 hat der Kanton ebenfalls in Zusammenarbeit mit der Vioz einen Verein ins Leben gerufen zur Qualitätssicherung der muslimischen Seelsorge im Kanton: QuaMS. Längst hat er sich zum nationalen Vorzeigebeispiel gemausert und «ist unterdessen Teil der alltäglichen interreligiösen Zusammenarbeit» geworden, schreibt der Zürcher Regierungsrat in einem Sitzungsprotokoll vor einem Jahr.

Während der Verein organisatorisch auf eigenen Beinen steht, ist die finanzielle Zukunft ungewiss.

Ursprünglich war geplant, dass sich der Kanton dieses Jahr aus der Finanzierung zurückzieht und die Verantwortung der muslimischen Gemeinschaft übergibt, da er sonst seine Ausgabenkompetenz überschritten hätte – ein komplett unrealistisches Ziel, sagt Vioz-Präsident Halilovic, der selbst als Seelsorger für QuaMS tätig ist. «Das Budget von QuaMS überschreitet das Gesamtbudget von Vioz mehrfach.» Das sieht Myrta Grubenmann aber auch positiv: «Die Nachfrage nach dem Angebot war viel grösser als erwartet», statt den zu Beginn geschätzten fünfzig Einsätzen pro Jahr leiste QuaMS heute über 300 Einsätze pro Jahr.  

Um den Weiterbestand der muslimischen Seelsorge zu garantieren, beschloss der Zürcher Regierungsrat darum im letzten Sommer, eine zusätzliche Ausgabe zu bewilligen. Mit den Beiträgen der Landeskirche und des Vioz ist die Finanzierung des Vereins bis 2024 gesichert.

Wie es danach weitergehen soll, ist noch ungewiss. Feststeht für Grubenmann: Das aktuelle System werde der heutigen, immer stärker religiös pluralisierten Bevölkerung nicht mehr gerecht. «Der Kanton prüft darum verschiedene Möglichkeiten, um eine langfristige und stabile Finanzierung auch für die nicht-anerkannten Religionsgemeinschaften sicherzustellen.» Auch auf rechtlicher Ebene seien Massnahmen denkbar – solche beanspruchten jedoch Zeit. Für das Projekt Zürich-Kompetenz kommt diese wohl zu spät.

Soll es langfristig bestehen, sind also auch hier wohl wieder kreative Lösungen gefragt.