Imame in der Schweiz – Teil 3 «Für mehr Schweizer Imame braucht es auch eine Schweizer Ausbildung»

Von Lia Pescatore

10.8.2021

Imame mit Schweizer Pass sind in der Unterzahl. (Symbolbild)
Imame mit Schweizer Pass sind in der Unterzahl. (Symbolbild)
Bild: Keystone/Alessandro Della Bella

Die meisten Imame in der Schweiz stammen aus dem Ausland. Verstehen sie die Tragweite von Schwimmunterricht, Religionsfreiheit und Händeschütteln? Würde ein Kurs über Schweizer Werte helfen? Dritter und letzter Teil der Imam-Serie.

Von Lia Pescatore

Imame sollen integrieren. Vermitteln. Brücken bauen zwischen der Religionsgemeinschaft, den Gemeinden und der Zivilgesellschaft. Doch woher bekommen sie das dafür nötige Rüstzeug?

Die grosse Mehrheit der Imame stammt aus dem Ausland und hat dort auch ihre Ausbildung absolviert. Doch: Auf gesellschaftlich geprägte Fragen, die in der Schweiz Alltag sind, werden sie kaum vorbereitet. Wie umgehen mit dem Händeschütteln, dem Schwimmunterricht oder dem Kopftuch? Darauf fehlen Antworten, was Beobachter kritisieren.

Nicht nur von der Allgemeinheit, auch von muslimischen Verbänden wird diese Kritik laut. Pascal Gemperli von der nationalen Föderation islamischer Dachverbände in der Schweiz (Fids) sagt: «Wenn wir in der Schweiz mehr Schweizer Imame wollen, dann müssen wir auch eine Ausbildung anbieten.»



«Eine Schweizer Erstausbildung ist nicht realistisch»

Zwar werden in der Schweiz Weiterbildungskurse für Imame angeboten, eine Erstausbildung fehlt aber. Und für Hansjörg Schmid, Direktor des Schweizerischen Zentrums für Islam und Gesellschaft (SZIG), ist der Aufbau eines vollwertigen Studiengangs auch in Zukunft nicht realistisch.

Der theologische Diskurs im Schweizer Kontext sei noch jung, die Schweiz klein und zudem noch sprachlich gegliedert. «Für die insgesamt nur rund 130 Imame, die zudem meist länger an einer Stelle tätig sind, lohnt es sich nicht, einen Studiengang aufzubauen.»

Schmid plädiert stattdessen für das Baukastenprinzip: Das Studium im Ausland wird mit Weiterbildungen in der Schweiz ergänzt. Das SZIG bietet nach diesem Prinzip auch Weiterbildungskurse für Imame und muslimische Betreuungspersonen in der ganzen Schweiz an. «Diese stossen auf reges Interesse», sagt Schmid. Das Zentrum wird dabei vom Bund unterstützt.

Die Hauptverantwortung für Aus- und Weiterbildungsfragen von religiösen Betreuungspersonen liegt jedoch bei den Kantonen. Der Kanton Zürich wagt darum in Kooperation mit dem SZIG und der Vereinigung der Islamischen Organisationen in Zürich (Vioz) ein Pionierprojekt mit dem Titel «Zürich-Kompetenz», eine achttägige Ausbildung für Zürcher Imame und muslimische Betreuungspersonen. Im kommenden Frühling soll der erste Kurs starten.

Die Zürcher Regierungsrätin Jacqueline Fehr wirbt per Video für das Projekt «Zürich-Kompetenz».

Quelle: Kanton Zürich

Präventionsarbeit spielt zweitrangige Rolle

Doch: Ergeben Ausbildungen auf kantonaler Ebene überhaupt Sinn? Ja, findet Schmid, gerade der Kanton Zürich biete sich wegen seiner Grösse für solch ein Projekt an. Und: «Die Verwurzelung des Kurses in der Gesellschaft ist auf kantonaler Ebene einfacher.» Er denkt dabei zum Beispiel an den Einbezug von lokalen Akteuren, insbesondere der lokalen muslimischen Gemeinschaft.

«Der Kurs braucht die Anerkennung in der muslimischen Gemeinschaft», betont Schmid. Ansonsten drohe er zu scheitern. Diese Erfahrung habe man in den Niederlanden machen müssen: Mehrere Ausbildungsgänge wurden eingestellt, unter anderem, weil sich die Muslime nicht genug einbezogen fühlten.

In Zürich sollte die Legitimation kein Problem sein: Das Projekt sei auf Anregung von Muslim*innen entstanden, sagt Lewin Lempert, der Projektleiter von «Zürich-Kompetenz». Lempert wurde bekannt als politischer Sekretär der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (Gsoa).

Doch nicht von allen Seiten findet das Projekt Unterstützung: «Überflüssig» hält das Projekt Mauro Tuena, Zürcher SVP-Nationalrat. «Es ist nicht Aufgabe des Staates, für jede Gruppierung im Land ein eigenes Projekt zu finanzieren», sagt er, das komme einer staatlichen Einmischung gleich. Seine Partei fordert in ihrem neuesten Positionspapier zum Thema radikale Lösungen: Ausländische Imame und Seelsorger sollen gänzlich verboten werden (siehe Kasten unten).



Rückhalt in der muslimischen Gemeinschaft ist gross

Der Kanton hat an der Zielsetzung mitgearbeitet und auch die Finanzierung sichergestellt. Die inhaltliche Konzeption des Kurses übernehmen aber das SZIG und der Vioz. Derzeit ist eine Bedarfsanalyse anhand vieler Interviews mit Expert*innen und Personen aus der muslimischen Gemeinschaft im Gange, um die Bedürfnisse zu evaluieren. Auch Imam Sakib Halilovic, Vorstandsmitglied der Vioz, ist involviert. Er war positiv überrascht ob des grossen Interesses der Muslime.

Am ersten grossen Treffen Ende Mai hätten Imame aus allen Teilen Zürichs und allen ethnischen Gruppen teilgenommen. «Alle sind gekommen, alle waren begeistert», viele hätten gute Ansätze und Ideen eingebracht, sagt Halilovic, der seine Begeisterung nicht verstecken kann.

Allen offenen Fragen und Bedürfnissen könne der achttägige Kurs zwar nicht gerecht werden, aber er sei zuversichtlich, dass der Kurs eine nachhaltige Wirkung auf alle Beteiligten erziele.

Anstoss für Diskussionen über die Zukunft

«Zürich-Kompetenz» ist als Pilotprojekt ausgelegt: Vorerst wird es zwei Ausbildungsgänge in den kommenden zwei Jahren geben, mit rund einem Dutzend Teilnehmer*innen pro Kurs. «Wir legen Wert auf Diversität und Parität der Geschlechter», sagt Lewin Lempert. So könnten auch innermuslimisch neue Kontakte geknüpft werden.

Hansjörg Schmid sieht darin eine Chance, auch Diskussionen zu grundsätzlichen Fragen anzustossen – zum Beispiel darüber, wie die Moscheen in Zukunft gestaltet werden. Ein Wandel künde sich an: Die ethnischen Grenzen würden sich immer mehr verwischen, da für die heranwachsenden Generationen die Herkunft ihrer Eltern keine grosse Rolle mehr spiele.

Darum sei es umso wichtiger, einen theologischen Diskurs im Schweizer Kontext zu etablieren – darauf arbeite auch das SZIG hin. «Die ersten Abgänger unseres Masterprogramms können bald den lokalen Diskurs prägen», sagt Schmid.

Schweizer Imame – ein Wunschtraum?

Die SVP stellt in ihrem Positionspapier zum Islam und Islamismus in der Schweiz klare Forderungen: Sie wollen ausländische Imame und Seelsorger verbieten. Doch wer soll ihren Platz einnehmen?

Nicht nur die fehlende Ausbildung in der Schweiz ist Grund für den grossen Anteil an ausländischen Imamen in der Schweiz. Der Beruf sei für die Jungen kaum attraktiv, sagt Hansjörg Schmid, Direktor des Schweizerischen Zentrums für Islam und Gesellschaft (SZIG).

Viele Schweizer Moscheen hätten nicht die finanziellen Mittel, um einen Imam in Vollzeit anzustellen, insbesondere nicht, wenn er eine Universität abgeschlossen hat.

Deswegen müssten Moscheen auch auf Imame zurückgreifen, deren Lohn und Ausbildung aus dem Ausland finanziert wird. In Österreich wurde wegen der Befürchtung, andere Staaten könnten so Einfluss nehmen, ein Verbot der Auslandsfinanzierung von Moscheen eingeführt.

Auch in der Schweiz wird das Thema diskutiert: Insbesondere die aus der Türkei gesandten Imame werden kritisiert, da sie direkt beim Staat angestellt sind und nur für einen Turnus von fünf Jahren an einem Ort bleiben. Kritiker befürchten, dass die Türkei versucht, über die Imame gerade ihre zugeteilte Gemeinde nationalistisch zu indoktrinieren.

Schmid warnt vor einer Verallgemeinerung: Gerade die Imame aus der Türkei seien sehr gut ausgebildet und hätten meist vor ihrem Aufenthalt in der Schweiz bereits eine Zeit in einem anderen europäischen Land verbracht. In der Türkei seien auch schon erste Schweizer ausgebildet worden, die dann in die Schweiz zurückgekehrt seien, um dort eine von der Türkei finanzierte Stelle anzutreten und sich parallel dazu in der Schweiz weiterzubilden. Diese Form der Auslandsfinanzierung sei zwar keine Dauerlösung, «aber diese Menschen tragen ein Stück weit dem Bedürfnis nach mehr Schweizer Imamen Rechnung», sagt Schmid.