Erschwerte Abtreibungen «Ich will keine Kinder und das sollte als Grund ausreichen»

Von Alex Rudolf

29.12.2022

Das Thema Schwangerschaftsabbruch wurde dieses Jahr wieder brandaktuell.
Das Thema Schwangerschaftsabbruch wurde dieses Jahr wieder brandaktuell.
Keystone/GAETAN BALLY

In Teilen der USA und in Liechtenstein sind Schwangerschaftsabbrüche verboten. Doch auch in Deutschland und der Schweiz stellen sich Betroffenen immer mehr Hindernisse in den Weg: Eine St. Gallerin erzählt.

Von Alex Rudolf

Die Kupferkette gilt als eine der sichersten Verhütungsmethoden überhaupt. Darum und weil sie ohne Hormone auskommt, hat sich Mona F. für diese Verhütungsmethode entschieden. Ende November dann der Schock. Die 34-jährige Lehrerin aus dem Kanton St. Gallen lässt sich testen und ist schwanger – bereits in der elften Woche.

«Ich hatte leichte Blutungen und keines der üblichen Symptome. Ich war überrascht und fassungslos», sagt sie zu blue News. Trotz der grossen emotionalen Belastung bleibt keine Zeit. Denn in der Schweiz ist der Schwangerschaftsabbruch nur bis zur zwölften Woche legal.

«Hätte ich nur wenig später von der Schwangerschaft erfahren, hätte ich für die Abreibung in die Niederlande gemusst.» Dort ist der Eingriff bis zur 20. Schwangerschaftswoche erlaubt. Mona hatte sich bereits über die dortigen Abläufe informiert.

Im vergangenen Jahr beendeten 11'049 Frauen in der Schweiz ihre Schwangerschaft, wie es das Bundesamt für Statistik darlegt – nennenswerte Schwankungen gab es in den vergangenen 15 Jahren keine. Dennoch ist das Thema derzeit brandaktuell.

Denn in den USA ertönte diesen Sommer ein wahrer Paukenschlag. Der Supreme Court hob im Juni das landesweite Recht auf Schwangerschaftsabbrüche auf und überliess die Gesetzgebung den Bundesstaaten. In rund der Hälfte dieser trat seither – teils gar automatisch – ein faktisches Abtreibungsverbot in Kraft.

So dramatisch ist die Lage in der Schweiz nicht. Einen Angriff auf die Fristenlösung könne sie sich derzeit nicht vorstellen, sagte SVP-Nationalrätin Yvette Estermann diesen Sommer zu blue News. Doch sammelt sie Unterschriften für eine Initiative, wonach Frauen über ihren Entscheid zur Abtreibung zwingend eine Nacht schlafen sollen. Eine zweite Initiative, für die derzeit Unterschriften gesammelt wird, verlangt ein Abtreibungsverbot von Föten, die ausserhalb des Mutterleibs überlebensfähig wären. 

Den beiden Initiativen werden von Polit-Beobachtern nur geringe Chancen eingeräumt, zumal diverse Umfragen zeigen: Die Schweizer*innen stehen hinter der Fristenlösung.

In Deutschland werden die Hürden höher

In Liechtenstein sind Schwangerschaftsabbrüche verboten und ein Blick nach Deutschland zeigt, dass es dort schwieriger wurde, den Eingriff zu vollziehen. Wie die NZZ berichtet, nahm die Anzahl an Praxen und Spitälern, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, in den vergangenen 17 Jahren von gut 2'000 auf knapp 1'100 ab.

Zudem würden viele junge Mediziner*innen mit dem formal noch immer kriminalisierten Eingriff fremdeln, heisst es weiter. Die Frauen würden dies zu spüren bekommen.

Doch nicht nur haben junge Ärzt*innen Berührungsängste: In Deutschland fehlt es schlichtweg auch an Fachpersonen. Daher sei es äusserst schwierig, alle Patient*innen mit einem Behandlungstermin zu versorgen, sagt Lea Pawlik, die Landesgeschäftsführerin der Pro Familia Bremen, zur NZZ.

Habe eine Ärztin Corona und müsse daher zehn Schwangerschaftsabbrüche auf die Folgewoche verschieben, bringe dies Frauen in die Bredouille. Denn für manche sei es dann in Deutschland rechtlich zu spät. Dann bliebe auch ihnen nur noch eine Reise in die Niederlande.

In einer Notlage war sie nicht

Mona sei in St. Gallen zwar wohlwollend und professionell behandelt worden, beteuert sie. «Dennoch hat man das Gefühl, etwas Verbotenes zu tun.» So müssen Patient*innen ein Gesuch unterzeichnen, in welchem sie versichern, in einer Notlage und ungewollt schwanger zu sein: «Ich will keine Kinder und das sollte als Grund ausreichen.»

Auch Nationalrätin Léonore Porchet (Grüne/VD) findet es stossend, dass der Schwangerschaftsabbruch in der Schweiz noch immer im Strafgesetzbuch geregelt ist. Nach dem Vorbild Frankreichs oder Belgiens will sie dies nun ändern. «Die Kriminalisierung der Abtreibung ist eine der Hauptursachen für das Stigma, mit dem Schwangerschaftsabbrüche in der Schweiz bis heute behaftet sind», schreibt sie in einer parlamentarischen Initiative, die sie diesen Sommer eingereicht hat. Behandelt wurde der Vorstoss noch nicht.

Zurück zu Mona: Ein Schwangerschaftsabbruch mittels Tabletten ist nur bis zur siebten Woche möglich, danach wird der Fötus in der Regel operativ und unter Vollnarkose entfernt. Vom Eingriff erzählte Mona nur dem engsten Umfeld. «Wenn sonst jemand fragte, log ich und sagte, ich müsse eine Zyste entfernen lassen.» Die Stigmatisierung sei noch weit verbreitet und niemand spreche über diesen Eingriff, bestätigt sie Porchets Einschätzung.

Obwohl sie hinter ihrem Entscheid stehe und ihn keineswegs bereue, sei die psychische Belastung auch Wochen nach dem Eingriff gross. So gehe ihr etwa das Ultraschall-Bild nicht mehr aus dem Kopf. «Ich brauchte Freund*innen, die mir sagten, ich sei keine Baby-Mörderin.» Solche Gedanken seien ihr gekommen, obwohl sie sich schon lange dezidiert gegen das Kinderkriegen entschieden habe. «Das zeigt mir: Niemand treibt leichtfertig ab.»

«Mir wurde klar, wie absurd das Verbot ist»

«Mir wurde klar, wie absurd das Verbot ist»

Gabriella Alvarez-Hummel setzt sich dafür ein, dass das Abtreibungs-Verbot in Liechtenstein fällt. Vor elf Jahren sagte das Stimmvolk nein zu einem entsprechenden Gesetz. Würde heute ein Urnen-Gang stattfinden, sähe das Ergebnis anders aus, sagt sie.

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