Massnahmen-GegnerHier regt sich Widerstand gegen die Zertifikat-Ausweitung
Von Lia Pescatore
25.8.2021
Der Bundesrat will die Zertifikatspflicht ausweiten – die Kantone und die meisten grossen Parteien stehen hinter dem Vorschlag. Die Gastro- und Club-Branche hingegen schlägt Alarm und auch Arbeitnehmende sind skeptisch.
Von Lia Pescatore
25.08.2021, 20:20
31.08.2021, 08:50
Lia Pescatore
Die Kantone haben es bereits lautstark gefordert, nun zieht der Bundesrat nach: Er schickt eine Ausweitung der Zertifikatspflicht in die Vernehmlassung. Nicht nur für Innenräume von Restaurants, Bars und Clubs, auch in Freizeitanstalten wie Museen und Zoos oder bei Aktivitäten wie Theaterproben und Trainings soll ein Zertifikat neu zwingend sein, so der Vorschlag des Bundesrats, den Alain Berset an der Medienkonferenz vom Mittwoch präsentierte.
Bis nächste Woche konsultiert der Bundesrat nun Vertreter von Kantonen und der betroffenen Branchen.
Begrüsst wird die Massnahme von der Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektoren (GDK). Angesichts der «besorgniserregenden» epidemiologischen Lage, bezeichnete die GDK eine Ausweitung der Zertifikatspflicht als «naheliegend». Denn mit der Beschränkung des Zugangs auf geimpfte, genesene oder getestete Personen liesse sich die Gefahr einer Ansteckung stark reduzieren, ohne dass erneut Betriebsschliessungen verfügt werden müssten.
Auch die Mehrheit der grossen Parteien sieht die Ausweitung der Zertifikatspflicht als einen effektiven Weg an, um die Überlastung der Spitäler zu umgehen.
«Ausweitung würde zur Spaltung der Gesellschaft führen»
Allein die SVP lehnt die «inkompetenten und ungerechten» Massnahmen des Bundesrates durchwegs ab: Eine Ausweitung der Zertifikatspflicht würde ihrer Ansicht nach viele Betriebe in wirtschaftliche Schwierigkeiten treiben. Und das Zertifikat dürfe nicht zu einem indirekten Impfzwang und einer Zweiklassen-Gesellschaft führen.
Ähnliche Argumente brachte Gastrosuisse an seiner Medienkonferenz kurz nach deren des Bundesrats vor. Restaurants und Cafés müssten durch die obligatorische Zertifikatspflicht mit massiven Umsatzeinbussen rechnen. «Die Ausweitung kommt einer Teilschliessung gleich», sagte Casimir Platzer, Präsident von Gastrosuisse vor den Medien.
Die Massnahme berge zudem sozialpolitischen Sprengstoff. «Eine Ausweitung des Covidzertifikats würde zu einer Spaltung der Gesellschaft führen», so Platzer. 40 bis 50 Prozent der Menschen in der Schweiz würden dadurch vom gesellschaftlichen Leben ausgegrenzt. Die Ausweitung der Zertifikatspflicht bringe auch epidemiologisch wenig, sei unverhältnismässig und praktisch wirkungslos, sagte Platzer weiter.
Die Menschen würden dadurch vermehrt in den privaten Rahmen ausweichen, wo es keine vergleichbaren Schutzkonzepte gebe. Davor warnt auch die Schweizer Bar und Club Kommission. Die Vertreter*innen des Nachtlebens würden in einem Dilemma stecken, heisst es in einer Medienmitteilung, einerseits begrüssten sie die Bemühungen, die zur Erhöhung der Impfquote getätigt würden.
Das Impfen sei «der einzige nachhaltige Weg aus der Pandemie», schreibt die Kommission. Sie befürchte jedoch auf Dauer wirtschaftliche Probleme für die Branche, falls die Ankündigung nicht die gewünschte Erhöhung der Impfquote mit sich bringen würde und die Zertifikatspflicht andauern würde.
Darf der Arbeitgeber bald ein Zertifikat verlangen?
Nicht nur bei Freizeitaktivitäten will der Bundesrat den Einsatz der Zertifikate weiter ausbauen, auch im Arbeitsbereich soll dieser unter gewissen Umständen möglich sein.
Der Arbeitgeberverband (SAV) begrüsst dies: Denn das Covid-Zertifikat im Arbeitsbereich würde es den Arbeitgebenden erlauben, «grossflächig differenzierte Schutzkonzepte für Geimpfte und Ungeimpfte einzuführen». So könnte ein Lockdown abgewendet werden, den die Arbeitgebenden unbedingt verhindern wollten.
Kritisch einer Ausweitung des Zertifikats gegenüber steht hingegen Travail.Suisse, der Dachverband der Arbeitnehmenden. Zwar könne eine Ausweitung der Zertifikatspflicht die bessere Lösung sein, um weitere Betriebsschliessungen zu verhindern. Doch es stellten sich praktische Fragen. So sollten die Arbeitgebenden nicht erfahren dürfen, welche Mitarbeitenden geimpft seien.
Die Gewerkschaft Unia will zum aktuellen Zeitpunkt kein abschliessendes Urteil zu den Plänen fällen. Sie begrüsst grundsätzlich, dass der Bundesrat die offenen Fragen im Arbeitsbereich klären wolle. Es sei jedoch mit der kurzen Abhandlung im Communiqué noch nicht abschätzbar, in welchem Rahmen die Zertifikate auch bei der Arbeit eingesetzt werden sollen.
«Uns ist noch nicht klar, ob es allenfalls nur um Einrichtungen wie Spitäler geht oder um die ganze Wirtschaft», sagt Mediensprecher Serge Gnos. Man müsse die weitere Ausformulierung abwarten. Eine klare Grenze setzt Gnos aber bereits: Sobald ein Zertifikat am Arbeitsplatz im Einsatz käme, müssten der Zugang zu kostenlosen Tests für die Arbeitnehmer gewährleistet bleiben.
Unterstützung finden der Vorschlag des Bundesrats beim Wirtschaftsverband Economiesuisse. Eine Einschränkung des öffentlichen Lebens für genesene oder geimpfte Personen wäre bei einer erneute Ansteckungswelle überhaupt nicht mehr zulässig, findet Economiesuisse. Denn mit der Impfung und dem Zertifikat stünden geeignete Mittel zur Verfügung, um die Pandemie einzudämmen.