Pressestimmen zu den Wahlen Grüne sind «entzaubert» – «Für die SVP geht die Sonne auf»

red./SDA

22.10.2023

Den Grünen fehle es an «Cleverness», die SVP dagegen habe «ihren politischen Kompass wiedergefunden»: So analysieren Schweizer Medien den Wahlsonntag.

red./SDA

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Das Stimmvolk hat am Sonntag die Mitglieder von National- und Ständerat gewählt.
  • Dabei gab es eine deutliche Verschiebung nach rechts: Die SVP konnte im Nationalrat laut Hochrechnung 8 Sitze dazugewinnen, die Grünen haben 7 Sitze verloren.
  • Wie dieser Rechtsrutsch zu deuten ist, analysieren Medientitel auf unterschiedliche Weise. blue News hat für dich eine Auswahl zusammengestellt.

Dieser Artikel wurde zuletzt am 23.10.2023, um 7.10 Uhr aktualisiert.

«Financial Times»

Nach Auffassung der Londoner «Financial Times» hat der Erfolg der SVP am Wahlsonntag den Aufschwung populistischer Parteien in ganz Europa bestätigt.

«Obwohl die SVP seit langem eine feste Grösse in der Schweizer Politik ist (...) signalisiert ihr starkes Abschneiden die Unzufriedenheit unter der Wählerschaft nach vier turbulenten Jahren. Die SVP hatte sich gegen Covid-19-Massnahmen gewehrt und kritisierte jüngst die Beteiligung an den Sanktionen gegen Russland scharf (...). Innenpolitische Anliegen dominierten den Wahlkampf, wobei die SVP am stärksten in Erscheinung trat. (...) Der Sieg der SVP kehrt den dramatischen Linksrutsch der Schweizer Politik der letzten Eidgenössischen Wahlen von 2019 um. Er könnte sich auf heikle anstehende internationale Fragen für das Land auswirken - einschliesslich der bereits angespannten Beziehung zur Europäischen Union und der Haltung zu wirtschaftlichen Sanktionen gegen Russland. (...) Die Wahlen bestätigen ein Wiederaufleben der Populisten an den Wahlurnen in ganz Europa.»

«Tages-Anzeiger»

«Natürlich: In Zeiten von Krieg und Wirtschaftsnot wählen die Leute tendenziell bürgerlich. Doch hätten die Temperaturrekorde der letzten Monate den Grünen eigentlich helfen sollen, die Dringlichkeit ihres Kernanliegens zu vermitteln: des Kampfes gegen die menschengemachte Klimaerwärmung», heisst es im Kommentar des «Tages-Anzeigers». 

«Das fulminante Scheitern an diesem Sonntag verdeutlicht stattdessen ein Grundsatzproblem der Klimabewegung. Sie hat sich in weiten Teilen vom Diskurs der Mehrheitsgesellschaft abgekoppelt. 'Klimakleber' und Anverwandte verschrecken mit ihrem Radau einen Grossteil der Menschen, auf deren Unterstützung sie doch angewiesen wären. Den Grünen konnte das nur schaden, zumal die Partei nie zu einer kohärenten Position gegenüber den Radikalen gefunden hat.»

«Wie das grüne Führungspersonal mit dieser Problematik inskünftig umgehen wird, ist ebenso unabsehbar, wie es die unmittelbaren Folgen für die Schweizer Klimapolitik sind. Der Traum vom grünen Bundesratssitz jedenfalls scheint für lange Zeit ausgeträumt.»

Sind die Klima-Kleber schuld an Ihrer Niederlage, Frau Trede?

Sind die Klima-Kleber schuld an Ihrer Niederlage, Frau Trede?

Auf die Grünen dürfe der Wahlsonntag in einem Debakel enden. Für die Fraktionschefin Aline Trede werden die Umwelt und die Gleichstellung darunter leiden, wie sie im Interview mit blue News sagt.

22.10.2023

«Basler Zeitung»

Gemäss Kommentar der «Basler Zeitung» konnten die Grünen ihr Image als Verbotspartei nicht ablegen. Noch stärker ins Gewicht gefallen seien aber die Aktionen der Klimakleber. Die SVP hingegen habe ihren politischen Kompass wieder gefunden.

«Die ständigen Demonstrationen und Blockaden im öffentlichen Raum erwiesen sich als kontraproduktiv und nervten viele Wählerinnen und Wähler. Sie gaben ihre Stimmen nun lieber der SP oder den Grünliberalen. Dies alles muss die SVP nicht kümmern. Der Sieg der Schweizerischen Volkspartei ist eine Niederlage für alle Linken.»

«Die SVP hat ihren politischen Kompass wiedergefunden. Im Wahlkampf zeuselte sie in alter Frische konsequent gegen ihre Lieblingsfeinde, die Ausländer und Migranten. Damit punktete die SVP bei ihrem Publikum, das verunsichert und wütend ist.»

«Doch dies ist nur der eine Teil der Wahrheit. Der andere: Solange sämtliche linke Politiker und Politikerinnen in der Schweiz und in Europa das Ausländer- und Migrationsproblem derart negieren und schönreden, so lange wird das Wutbürgertum unter dem Taktstock der SVP im Hoch bleiben.»

SRF

Aus Sicht von SRF rückt die Schweiz nach rechts und das Politklima dürfte sich spürbar ändern, auch wenn die Rechtsparteien eine absolute Mehrheit im Nationalrat verfehlen.

«Die SVP kommt dank einer massiven monothematischen Zuwanderungs-Kampagne und wohl auch beflügelt von Entwicklungen in Nahost ihrem bisherigen Rekordergebnis sehr nah. Diese Wahl in unsicheren Zeiten hat rechte Wählerinnen und Wähler mobilisiert, die mehr ‹Law and Order› verlangen. Ein Ausrufezeichen setzt die Mitte-Partei, weil sie erstmals mit der FDP gleichzieht. Und natürlich schreiben die Grünen eine der grössten Schlagzeilen dieser Wahl: Sie stürzen regelrecht ab in der Wählergunst.»

«Die Konsequenz dieser Wahl wird eine härtere Zuwanderungs- und Asylpolitik sein», sagt SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi zu SRF. Doch so einfach wird das nicht. Das zeigt ein Blick auf die Stärke der einzelnen Blöcke im Nationalrat. Der rechte Block aus SVP, FDP und den kleineren Rechtsparteien steigert sich gemäss der zweiten Hochrechnung um elf auf 95 Sitze – es verfehlt damit die absolute Mehrheit von 2015.»

«Der Rechtsruck wird sehr wohl das politische Klima, die politische Dynamik im Bundeshaus verändern. Das sah man vor vier Jahren nach der Klima- und Frauenwahl: Die Verschiebungen gaben progressiven Anliegen Auftrieb, weit über das linke Lager hinaus. Das dürfte nun mit politisch umgekehrten Vorzeichen passieren.»

Watson

«Das war schon vor acht Jahren der Fall. Der damalige Rechtsrutsch verpuffte im Parlament rasch. Am Ende der Legislatur blieb die Ernüchterung», heisst es im Kommentar von «Watson»

«Das Schüren von Ängsten (vor Ausländern) und das Bewirtschaften von Problemen waren schon immer die Kernkompetenz der SVP. Die Rechnung ist einmal mehr aufgegangen. Doch Probleme verschwinden nicht, wenn man sie anprangert. Das gilt nicht zuletzt für den Personalmangel, der in der Schweiz in immer mehr Branchen und Bereichen spürbar ist. Sobald sie nach konkreten Rezepten gefragt wird, flüchtet sich die SVP in Floskeln.»

«Berner Zeitung»

Nach Ansicht der «Berner Zeitung» haben die Grünen verloren, weil sie zu «engstirnig» agieren. Die SVP legte dank Krisen stark zu, und die Mitte bekomme neu eine Schlüsselrolle. Der Titel der Analyse lautet: «Das Volk entzaubert die Grünen und wählt krisenfeste Stabilität.»

«Vom Klimathema haben zurzeit viele genug. Den Grünen fehlt es aber auch an strategischer Cleverness. Statt in der Energiekrise Chancen zu sehen und smarte Lösungen zu präsentieren, haben sie sich den Ruf als Verhinderer eingehandelt und stehen der Energiewende im Weg.»

«Statt der Umwelt beschäftigen das Volk derzeit vor allem die Versorgung und das eigene Portemonnaie. Das kommt der SP zugute. Sie ortet gern gesellschaftliche Krisen, das lässt sich gut verkaufen.»

«Für die SVP geht die Sonne auf, sie feiert einen deutlichen Sieg. Der Erfolg ist das Echo auf die Flüchtlingssituation in Europa sowie steigende Asylzahlen und Zuwanderung in unserem Land. Wenn rundherum Krisen, Krieg und Chaos herrschen und der Stress zunimmt, ist der Wunsch nach einem Durchgreifen besonders gross.»

«Handelszeitung»

Und so analysiert die «Handelszeitung» den Ausgang des Wahlsonntags: «Nichts wäre falscher, als das Wahlergebnis als Desinteresse am Klimawandel zu interpretieren. Der Klimawandel gehört laut Umfragen noch immer zu den wichtigsten Anliegen der Mehrheit. Die Botschaft am Sonntag war vielmehr: Wir haben genug von ideologischen Scheingefechten, wir wollen echte Lösungen. Diese Botschaft sollte sich auch die Sozialdemokratie zu Herzen nehmen.»

«Pragmatismus braucht es aber nicht nur für den Klimawandel. Zuoberst auf der Sorgenliste der Leute stehen auch die steigenden Krankenkassenprämien, die soziale Sicherheit, die Altersvorsorge, die Zuwanderung, die Lage auf den Wohnungsmärkten oder das Verhältnis zum Ausland.»

«Es wird nun nicht alles rechter – die Polarisierung wird grösser»

«Es wird nun nicht alles rechter – die Polarisierung wird grösser»

Politologe Sean Müller ordnet die ersten Zwischenergebnisse zu den Schweizer Wahlen 2023 ein.

22.10.2023