George-Floyd-Prozess Für Schweizer BLM-Pionier ein «historisches Urteil», aber kein Schlussstrich

Von Gil Bieler

21.4.2021

Der Tod von George Floyd führte auch in der Schweiz zu Anti-Rassismus-Protesten, wie hier im Juni 2020 in Lausanne. 
Der Tod von George Floyd führte auch in der Schweiz zu Anti-Rassismus-Protesten, wie hier im Juni 2020 in Lausanne. 
Bild: Keystone/Jean-Christophe Bott

Das Urteil im George-Floyd-Prozess wecke Hoffnung, sagt Tidiane Diouwara von der Schweizer Black-Lives-Matter-Bewegung. Doch der Kampf gegen Rassismus sei auch hierzulande noch nicht gewonnen. 

Von Gil Bieler

Schuldig in allen Anklagepunkten – das Urteil im George-Floyd-Prozess strahlt auch in die Schweiz aus. «Es ist ein historisches Urteil», sagt Tidiane Diouwara von Black Lives Matter (BLM) Switzerland, «und es ist hoffentlich ein Zeichen an die Adresse der Autoritäten, nicht nur in den USA. Man kann nicht einfach ein Leben auslöschen und dann so tun, als wäre nichts gewesen. Es ist immer ein Mensch, der stirbt – ein Vater, ein Sohn.»

Diouwara ist vom Schuldspruch positiv überrascht, weil ähnliche Fälle in den USA mit Freisprüchen für die angeklagten Polizisten geendet hätten. Das wecke Zuversicht: «Wir dürfen nie die Hoffnung verlieren, dass die Gerechtigkeit am Ende siegen wird.»

Gerechtigkeit nicht nur für George Floyd: Derek Chauvin, ein weisser Ex-Polizist, wurde am Dienstag in Minneapolis, im US-Bundesstaat Minnesota, für schuldig befunden. Das Vergehen: Mord zweiten und dritten Grades sowie Totschlag. Er hatte am 25. Mai 2020 dem unbewaffneten, auf dem Boden liegenden Floyd neun Minuten lang die Knie auf den Hals gedrückt, bis dieser starb. 

Noch zu früh zum Aufatmen

BLM-Aktivist Diouwara aus Lausanne mahnt jedoch vor verfrühtem Aufatmen: Zum einen müsse sich erst noch zeigen, wie das Strafmass für Chauvin usfällt – das soll erst in gut acht Wochen festgelegt werden. Diouwara hofft auf eine lange Haftstrafe, «die der Bedeutung dieses Urteil auch gerecht wird».

Zum anderen sei noch unklar, was mit den drei anderen Polizisten passiere, die nicht einschritten, als ihr Kollege George Floyd tötete. Die drei wurden ebenfalls vom Dienst suspendiert, ihr Prozess soll Medienberichten zufolge im August beginnen. 

Der Richterspruch aus Minneapolis sei auch für die Schwarzen in der Schweiz inspirierend, sagt Diouwara. «Wir fordern keine Sonderrechte, sondern die gleichen Rechte für alle.» Das Problem mit dem sogenannten Racial Profiling – der gezielten Personenkontrollen von Schwarzen – sei noch nicht erledigt.

«Und auch, wenn Sie als Schwarzer einen Job oder eine Wohnung suchen, haben Sie es schwieriger», sagt Diouwara. Hinzu kämen unsägliche Szenen wie Affengeräusche, die einem beim Besuch eines Fussballspiels entgegenschlügen. «All diese Probleme müssen wir bekämpfen.»

Auch Polizeigewalt sei in der Schweiz ein Thema. Diouwara erwähnt den Fall eines Polizisten, der Ende März in der Waadt vor Gericht stand. Er hatte einen Kongolesen bei einem Einsatz in Bex VD erschossen und wurde wegen vorsätzlicher Tötung angeklagt, aber freigesprochen. «Das haben viele Leute in unserer Community nicht verstanden», sagt Diouwara.

Das Waadtländer Gericht befand, der Polizist habe in Notwehr gehandelt. Der 27-jährige Schwarze hatte ein Küchenmesser in der Hand gehalten. Der Fall rüttelte auf: Mehrere Hundert Menschen gingen in Lausanne auf die Strasse, um des Opfers zu gedenken und gegen Racial Profiling zu demonstrieren.

«Offen für alle, die Rassismus bekämpfen wollen»

Der Tod von George Floyd hat der Anti-Rassismus-Bewegung weltweit Schub verliehen. Auch in der Schweiz habe sich seither vieles zum Besseren verändert, sagt Diouwara – wenn es auch noch zu früh sei, um zu sagen, ob das ausreiche. «Wenn wir jetzt zu Protesten gegen Rassismus aufrufen, kommen Tausende Menschen. So etwas gab es früher nicht.»



Was ihn besonders freue, sei der wachsende Rückhalt aus der weissen Bevölkerung – «dass die Weissen in Zug, Bern, Lausanne, Freiburg, Biel, Neuenburg, Basel oder Zürich unsere Rechte verteidigen». Er ermutigt Menschen aller Hautfarben, sich bei BLM zu engagieren: «Wir sind offen für alle, die Rassismus bekämpfen wollen.»

Wegen der Corona-Pandemie ist auch für die Schweizer BLM-Bewegung derzeit nicht an Demonstrationen oder Veranstaltungen zu denken. «Sonst hätten wir nach dem Urteil im George-Floyd-Prozess am nächsten Wochenende etwas organisiert», sagt Diouwara. Doch hoffe er, dass man das nachholen könne – und im Sommer oder Herbst auch wieder auf die Strasse gehen könne.