Verurteilt Ehepaar nutzte 1000 falsche Identitäten für massiven Online-Betrug

jke

1.7.2024

Ein Ehepaar tätigte online 2220 Bestellungen, ohne zu bezahlen. Es brachte falsche Namen an den Briefkästen leerstehender Wohnungen an und liess sich Pakete an diese Adressen liefern. 
Ein Ehepaar tätigte online 2220 Bestellungen, ohne zu bezahlen. Es brachte falsche Namen an den Briefkästen leerstehender Wohnungen an und liess sich Pakete an diese Adressen liefern. 
Symbolbild: Keystone/Alexandra Wey

Ein Paar brachte falsche Namen an den Briefkästen leerstehender Wohnungen an und liess sich Pakete an diese Adressen liefern. Bis es aufflog.

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Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Das Ehepaar tätigte 2220 Bestellungen in 25 Shops und bestellte Artikel im Wert von über 275'000 Franken ohne Bezahlung.
  • Sie nutzten rund 1000 falsche Identitäten und liessen die Pakete an leerstehende Wohnungen liefern.
  • Der Mann erklärte, er habe seiner Familie etwas Gutes tun wollen.
  • Beide wurden schuldig gesprochen: Der Mann muss 18 Monate ins Gefängnis und wird für vier Jahre des Landes verwiesen.
  • Die Frau erhielt 21 Monate auf Bewährung.

Betrügereien in Onlineshops sind eigentlich keine Seltenheit. Nun berichtet die «Aargauer Zeitung» über den Fall eines Paares, das sich vor dem Bezirksgericht Kulm verantworten musste und durch das aussergewöhnlich grosse Ausmass ihres Betrugs hervorsticht.

Laut Anklageschrift tätigte das Paar 2220 Bestellungen in 25 verschiedenen Shops und bestellte insgesamt 4718 Artikel im Wert von über 275'000 Franken, ohne diese zu bezahlen. Dies war danke einer besonders einfallsreichen Betrugsmasche möglich.

Das Paar erstellte rund 1000 falsche Identitäten und dazugehörige E-Mail-Adressen, von denen nachweislich 647 für Bestellungen genutzt wurden. Sie suchten auf «homegate.ch» nach leerstehenden Wohnungen und liessen die Pakete dorthin liefern.

Frau hat Krebs

Am Tag vor der Lieferung brachten sie die falschen Namen an den Briefkästen an und holten die Waren nach der Zustellung ab, ohne die Rechnungen zu begleichen.

Die Beschuldigten sind geständig. «Ich habe nicht nur für mich einen Schaden angerichtet, sondern auch für meine Frau und meine Kinder», erklärt der Mann aus Bosnien-Herzegowina vor Gericht. Sein Tommy-Hilfiger-Hemd spannt um den kräftigen Brustkorb, Tätowierungen schauen unter dem Kragen hervor, das Haar trägt er kurz geschoren.

Seine Frau, elegant gekleidet und mit schulterlangem, dunklem Haar, schildert ihren Schicksalsschlag: Sie ist schwer an Krebs erkrankt und hat nur geringe Heilungschancen.

Kinder des Paares wissen Bescheid

Auf die Frage des Gerichtspräsidenten Christian Märki nach dem Befinden der Kinder antwortet sie: «Ich habe ihnen erklärt, was heute passiert. Sie haben nur gefragt, ob ich zurückkomme.» Der Mann erklärt, er habe seiner Familie etwas Gutes tun wollen und deshalb Dinge bestellt, die er sich nicht leisten konnte.

Seinen Hang zum Kokain, der die Familienkasse belastete, bestreitet er. Trotz eines früheren ähnlichen Delikts, bei dem die Frau freigesprochen wurde, konnten sie offenbar nicht aufhören. Es sei auch eine Art Sucht gewesen, erklären beide.

Nachbarinnen überführen das Betrügerpaar

Dass das Paar aufflog, verdanken sie zwei aufmerksamen Frauen. Eine Abwartin bemerkte ein Paket in einem Briefkasten, obwohl dort niemand mit dem entsprechenden Namen wohnte. Sie nahm das Paket zu sich und hinterliess eine Notiz.

Später beobachtete sie einen Mann, der den Zettel in die Hand nahm, dann aber wegfuhr. Sie notierte das Nummernschild. Der Beschuldigte bestreitet jedoch, je einen solchen Zettel in der Hand gehabt zu haben.

Eine ähnliche Beobachtung machte kurz darauf eine Mieterin in einem anderen Gebäude. Das Paar wurde aufgrund des Nummernschilds identifiziert, überwacht, schliesslich folgte eine Hausdurchsuchung.

«Haarspaltereien und überspitzter Formalismus»

Die Verteidiger der Beschuldigten halten dies für unrechtmässig. «Der Warenwert der Pakete war unter 300 Franken, und mein Mandant hat sie nicht entwendet – damit waren es nur versuchte Übertretungen. Das ist gar nicht strafbar», erklärt die Anwältin.

Für Zwangsmassnahmen wie eine Überwachung und eine Hausdurchsuchung reiche das bei Weitem nicht, meint die Verteidigung.

Die Staatsanwaltschaft habe mit Kanonen auf Spatzen geschossen und es sei zu weiteren unzulässigen Beweiserhebungsmethoden gekommen. Sollte das Gericht dieser Ansicht folgen, wären nahezu alle Beweise hinfällig. «Haarspaltereien und überspitzter Formalismus», nennt die Staatsanwaltschaft die vorgebrachten Zweifel.

Kritik an den Massnahmen

Der Verteidiger der Beschuldigten sparte nicht mit Kritik an den Massnahmen. Er bemängelte, dass die Hausdurchsuchung erst nachträglich genehmigt worden sei und dass nicht alle aufgeführten Einkäufe zweifelsfrei dem Ehepaar zugeordnet werden könnten.

«Man kann ihnen nicht einfach unbezahlte Bestellungen in die Schuhe schieben», erklärte er und forderte – wie seine Kollegin – einen Freispruch aus formellen Gründen.

Sollte es dennoch zu einem Schuldspruch kommen, müsse die Strafe drastisch reduziert werden. Dem Mann drohen wegen früherer Betrugsvergehen, für die er bereits zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt worden war, zusätzlich fünf Jahre Gefängnis und ein Landesverweis.

Anfangsverdacht hat sich bestätigt

Seine Verteidigerin hält maximal 18 Monate für angemessen und fordert, vom Landesverweis abzusehen. Für die Frau hat die Staatsanwaltschaft eine Freiheitsstrafe von vier Jahren beantragt, was ihr Verteidiger als «völlig übers Ziel hinausgeschossen» bezeichnete.

Im Fall eines Schuldspruchs seien 15 Monate auf Bewährung angemessen. Das Bezirksgericht Kulm befand die Beweise für verwertbar, da ein Anfangsverdacht bestanden und sich bestätigt habe.

Die Frau wurde des gewerbsmässigen Betrugs für schuldig erklärt und erhielt eine Freiheitsstrafe von 21 Monaten auf Bewährung mit einer Probezeit von zwei Jahren.

Haft und Landesverweis

«Sie ist Mittäterin, sie scheint nicht die erste Geige gespielt zu haben», erläuterte Gerichtspräsident Märki. Für den Mann, der in Haft bleibt, musste eine Zusatzstrafe gebildet werden.

Neben dem gewerbsmässigen Betrug kamen Hehlerei – er hatte einem Kollegen ein gestohlenes E-Bike abgekauft – sowie Verstösse gegen das Waffen- und das Betäubungsmittelgesetz hinzu.

Der Bosnier muss zusätzlich 18 Monate im Gefängnis bleiben und eine Geldstrafe von 300 Franken zahlen, ausserdem wird er für vier Jahre des Landes verwiesen.

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