Wie wird Niger korrekt ausgesprochen?«Die Woke-Debatte geht mir mittlerweile zu weit»
Von Gil Bieler
10.8.2023
Bei SRF wird der Name des Landes Niger Französisch ausgesprochen. Das irritiert Andrea Gmür-Schönenberger: Die Luzerner Ständerätin fragt im Netz nach dem Grund – und sticht in ein Wespennest.
Von Gil Bieler
10.08.2023, 06:00
10.08.2023, 15:53
Gil Bieler
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Warum wird der westafrikanische Staat Niger im deutschsprachigen SRF-Programm Französisch ausgesprochen? Diese Frage äusserte die Luzerner Ständerätin Andrea Gmür-Schönenberger (Die Mitte) auf X (vormals Twitter).
Der Tweet löst eine breite Kontroverse aus. Kritiker*innen sagen, die Mitte-Politikerin biedere sich damit in der rechten Ecke an. Andere stärken ihr den Rücken.
Gmür-Schönenberger selber verteidigt sich: Dass sich an dieser Frage eine solch hitzige Debatte entzünde, zeige, dass es schlimm um die Debattenkultur in der Schweiz stehe, sagt sie zu blue News.
Schon früher trat die Politikerin mit Kritik an der «Woke-Kultur» in Erscheinung.
Seit das Militär sich an die Macht geputscht hat, ist der Niger auch in der Schweiz in den Fokus der Medien gerückt. Der Luzerner Ständerätin Andrea Gmür-Schönenberger fiel dabei etwas auf: Bei SRF wird der Name des westafrikanischen Staates auf Französisch ausgesprochen.
«Warum wird das afrikanische Land Niger neuerdings am Radio und Fernsehen Französisch ‹Nischär› ausgesprochen und nicht mehr Deutsch?», fragte die Mitte-Politikerin am Dienstag auf der Plattform X, wie Twitter neuerdings heisst. Und hat damit in ein Wespennest gestochen.
Einige Nutzer*innen unterstellen Gmür-Schönenberger einen rassistischen Unterton. «Sie wollen offensichtlich irgendeinen trümmligen Punkt machen – dann sprechen Sie ihn doch einfach aus und schieben keine Frage vor», lautet eine Antwort an die Ständerätin.
Sie wollen offensichtlich irgendeinen trümmligen Punkt machen - dann sprechen Sie ihn doch einfach aus und schieben keine Frage vor.
— Rea @prettydamnswiss@mastodon.social (@PrettyDamnSwiss) August 8, 2023
Ein anderer Nutzer glaubt, Gmür-Schönenberger wolle mit dieser Punkte sammeln «beim Team Mohrenkopf» und würde nur so tun, als würde man sich für ein echtes Problem interessieren».
Ah, wie man Punkte sammelt beim Team Mohrenkopf und dabei tut, als würde man sich für ein echtes Problem interessieren. Sehr staatsmännisch.
Der Satiriker Patrick Frey wiederum findet das eine «verblödete SVP-Frage». Und noch deutlichere Kritik: Die Mitte-Politikerin würde damit «rechtsextremen Mist nachplappern», wirft ihr jemand anderes vor.
Richtig grenzdebil wird es aber erst, wenn man Andrea Gmürs verblödete SVP-Frage noch mit diesem „rockigen“ Wahlsong von Die Mitte zusammendenkt: https://t.co/NgbCggRSrXhttps://t.co/XlR82lEKYP
Wenn „Bürgerliche“ rechtsextremen Mist nachplappern ist die Gesellschaft schwer bedroht. Halten Sie die CVP („Mitte“) sauber und treten Sie zu SVP über.
Wobei sie tatsächlich Zuspruch von manchen erhält, die mit dem «woken» Zeitgeist Mühe bekunden. Ein Twitter-Nutzer vermutet, SRF setze allein aufgrund einer «völlig absurden Rassismus-Diskussion» auf die französische Aussprache von Niger.
Rückendeckung gibt es auch vom bekannten Corona-Massnahmenskeptiker Daniel Stricker, der auf YouTube auch Verschwörungstheorien verbreitet und zu einem Gerichtstermin in Zürich einmal in einem «Indianerkostüm» erschien. Der Ostschweizer findet, Gmür-Schönenberger habe da eine «wunderbare Frage» gestellt.
Wunderbare Frage, Frau Gmür. Sie ist so gut, dass Sie keine Antwort erwarten dürfen.
Wiederum andere fragen, ob eine Parlamentarierin keine anderen Probleme habe respektive wo überhaupt das Problem liege. Immerhin sei Französisch in Niger offizielle Amtssprache, und da dies auch eine Schweizer Landessprache sei, könne man dies dem SRF-Publikum ja durchaus zumuten.
Hmmmmmm, Amtssprache Französisch, Land in der Amtssprache (welches Notabene auch eine unserer Landessprachen ist) aussprechen? Wo ist das Problem?https://t.co/8Zvn7sXoy0
— 𝔽𝕣𝕒𝕦𝕔𝕙𝕚 🇨🇭🇦🇺🇦🇹 - emobility Plagöri (@MFrauchi) August 8, 2023
Es kommt also einiges zusammen zu diesem kurzen Post. Zunächst einmal die Frage, weshalb SRF Niger auf Französisch ausspricht. Auf Anfrage von blue News erklärt Fredy Gsteiger, stellvertretender Chefredaktor Audio, bei SRF habe man sich schon vor längerer Zeit auf die französische Aussprache von Niger festgelegt. «Der Grund ist die Gebräuchlichkeit. Wir gehen in diesem Fall davon aus, dass in der Schweiz – mit Französisch als Landessprache – die französische Version dem Publikum vertrauter ist als die deutsche.» Man halte dies auch bei der kanadischen Provinz Québec so, deren Name ebenfalls Französisch («Kébec») ausgesprochen werde.
«Vor zehn Jahren war das anders»
Eine andere Frage ist, was genau Andrea Gmür-Schönenberger mit ihrem Tweet genau sagen wollte. Im Gespräch mit blue News betont sie, es habe sich um eine harmlose Frage ohne Hintergedanken gehandelt. «Mir fiel kürzlich beim Radiohören auf, dass Niger Französisch ausgesprochen wird. Vor zehn Jahren war das anders. Ich wollte bei SRF darum nachfragen, weshalb das so ist.»
Die Antwort von SRF überzeuge sie nicht: «Wieso sprechen wir dann von Genf und nicht von Genève?», fragt Gmür-Schönenberger.
Die Ständerätin legt Wert auf die Tatsache, dass sie keine SRF-Gegnerin sei: Die Halbierungsinitiative, die eine drastische Reduktion der Radio- und Fernsehgebühren fordert, unterstütze sie etwa nicht.
Putsch in Niger: Das musst du wissen
Am 26. Juli haben Militärs in Niger den demokratisch gewählten Präsidenten Mohamed Bazoum abgesetzt, Offizier Abdourahamane Tiani ernannte sich zum neuen Machthaber. Kurz darauf setzten die Putschisten auch die Verfassung ausser Kraft.
Der westafrikanische Staatenbund Ecowas hat mit Massnahmen bis hin zu einem militärischen Einmarsch gedroht, falls die Verfassung in Niger nicht wiederhergestellt werde. Ein Ultimatum liessen die Putschisten aber verstreichen.
Die Militärjunta verweigerte zuletzt einer Verhandlungsmission der UNO, der Ecowas und der Afrikanischen Union die Einreise.
Die Ecowas-Staatschefs wollen sich jetzt am Donnerstag treffen, um ihr weiteres Vorgehen zu beraten.
Das Land mit einer 26-Millionen-Bevölkerung ist strategisch bedeutsam. Niger war bisher ein wichtiger Verbündeter des Westens und die letzte demokratisch gewählte Regierung in der von islamistischen Terrorgruppen dominierten Sahelzone. (sda)
Dass sie in die rechte Ecke gedrängt werde, findet sie «befremdend». «Ich stehe politisch in der Mitte und es liegt mir fern, mich irgendwo anzubiedern.» Sie habe weder mit der SVP noch mit Corona-Skeptiker*innen etwas am Hut. «Wenn man aber nicht einmal mehr diese Frage stellen darf, zeigt das, dass wir in der Schweiz keine gesunde Debattenkultur mehr haben.» Statt sachlicher Antworten habe sie auf ihren Tweet vor allem persönliche Angriffe erhalten.
Freilich argumentiert die Mitte-Politikerin ganz auf SVP-Linie, wenn sie sagt: «Die Woke-Debatte geht mir mittlerweile zu weit. Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem die Meinungsäusserungsfreiheit in Gefahr ist.»
Auch umstrittene Fasnachtskostüme verteidigt
Es ist nicht das erste Mal, dass sich die Luzernerin mit kontroversen Aussagen exponiert. So verteidigte sie im Februar 2022 etwa auch umstrittene Fasnachtskostüme. «Werde mich als Zigeunerin, Cowgirl oder als Indianer verkleiden und einfach Spass haben!», schrieb sie damals auf Twitter. Für Gmür-Schönenberger ist klar: Auch solche Verkleidungen seien «politisch absolut korrekt».
Nein, sind sie nicht. Entsprechen unserer närrischen Fasnachtszeit und sind politisch absolut korrekt. Werde mich als Zigeunerin, Cowgirl oder als Indianer verkleiden und einfach Spass haben! Stopp dem moralinsaueren Expertentum! https://t.co/JM2FwXkqZE
Die Stiftung gegen Rassismus hält in ihrem Online-Glossar zu problematischen Begriffen fest: Bei solchen Kostümen handle es sich um Blackfacing, das rassistisch sei. Denn dadurch würden die Identität und Erfahrungen von nicht-weissen Menschen «als eine Art Kostüm behandelt […])», das weisse Menschen einfach an- und ausziehen könnten. «Damit werden die Erfahrungen von People of Color herabgesetzt.»
Besonders problematisch seien Klischee-Darstellungen, die mit Blackfacing einhergingen, weil: «Auf diese Weise werden Vorurteile wiedergegeben und weiterhin verfestigt.»
Hinzu kommt, dass allein die Begriffe «Indianer» und «Zigeuner» problematisch sind, die von den Betroffenen grossmehrheitlich abgelehnt würden. Die Bezeichnung «Indianer» geht auch noch auf den Irrtum des Seefahrers Christoph Kolumbus zurück, dass er 1492 in Indien angelegt habe und nicht in Amerika.
Im Gespräch mit blue News will Gmür-Schönenberger auf ihre Aussagen zu umstrittenen Fasnachtskostümen nicht mehr näher eingehen.
Die neuen Militärmachthaber im Niger haben den Luftraum des Landes gesperrt, weil sie einen Einmarsch der Ecowas-Staaten befürchten. Deren Ultimatum zur Wiedereinsetzung des nigrischen Präsidenten Mohamed Bazoum war in der Nacht abgelaufen.