Kampfjets schrammen an Absturz vorbei «Die Armee muss sich jetzt grundsätzlich hinterfragen»

Von Anna Kappeler, Bern

27.9.2020

Stefan Holenstein, Präsident der Schweizerischen Offiziersgesellschaft, hat die Abstimmung um die Kampfjets gewonnen – glücklich kann er wegen des hauchdünnen Ja trotzdem nicht sein.
Stefan Holenstein, Präsident der Schweizerischen Offiziersgesellschaft, hat die Abstimmung um die Kampfjets gewonnen – glücklich kann er wegen des hauchdünnen Ja trotzdem nicht sein.
Bild: Keystone/Thomas Hodel

Wegen 8'670 Stimmen: Nur gerade 50,1 Prozent der Stimmenden wollen neue Kampfjets. Bis 17 Uhr dauert das grosse Zittern an, weil beide Lager gleichauf liegen. Ein Augenschein bei den überrumpelten Befürwortern.

Die Pizza duftet, und doch wird sie kalt. Der Appetit ist den Befürwortern für neue Kampfflugzeuge vergangen im Restaurant Da Keli in der Berner Innenstadt. So richtig. Damit hat niemand gerechnet – bei den Kampfflugzeugen sagen nur gerade 50,1 Prozent der Stimmberechtigten Ja. Und klar wird das erst um 17 Uhr. 

Die Stimmung an diesem Nachmittag ist entsprechend angespannt, die Gesichter sind ernst. «Nein, wir haben keinen Plan B. Wirklich nicht», sagt Ständerat Werner Salzmann (SVP/BE). Das «Alles oder nichts»-Argument – ohne neue Kampfjets ab 2030 keine Luftwaffe und folglich keine Armee mehr – sei keine Abstimmungstaktik gewesen. «Sagt das Volk Nein zum Planungsbeschluss, war’s das mit der Armee in ihrer heutigen Form. Das ist eine Tatsache», sagt der Vizepräsident der Sicherheitspolitischen Kommission (SiK) des Ständerates.



Es ist die grösste Überraschung dieses reich befrachteten Abstimmungssonntags (hier geht es zum Ticker). In den Umfragen wurde dem 6-Milliarden-Kredit für neue Flieger noch ein solides Ja prophezeit, doch nun trennen schweizweit nur gerade wenige Tausend Stimmen das Ja- und das Nein-Lager.

Keine Koketterie, sondern Ernst

Die Zeit vergeht, es wird 13 Uhr, 14 Uhr, 15 Uhr, ja 16 Uhr. Die Patt-Situation bleibt, es steht 50 zu 50, ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Befürwortern und Gegnern. «Ich bin nervös», fügt Salzmann an. Man merkt, das ist keine Koketterie, kein politisches Strategiespiel, nein, heute Nachmittag ist das purer Ernst. Da nützt auch der fröhlich grün leuchtende «Ja»-Pin in Form eines Kampfjets auf seinem Jacket nichts.



Die Anspannung ist auch bei den anderen Anwesenden spürbar. Stefan Holenstein, der Präsident der Schweizerischen Offiziersgesellschaft (SOG) verzieht das Gesicht im Berner Restaurant. Nein, damit hat auch er nicht gerechnet. «Das Zittern geht weiter», sagt er, dabei sei er so siegessicher gewesen. «Mit mindestens 55 Prozent Ja-Stimmen habe ich schon gerechnet.»

Ja, Herr Holenstein, und jetzt? «Die langfristige Sicherheit dieses Landes wird heute mit diesem knappen Ergebnis infrage gestellt», sagt Holenstein. Dass das Volk die Luftwaffe und somit auch die Armee als Ganzes derart infrage stelle, «das schmerzt». Die Armee müsse sich nun hinterfragen, und zwar «ganz grundsätzlich». Und man müsse mit den Gegnern in einen Dialog treten.

Rätselraten über das weitere Vorgehen

Was, wenn die Gegner am Ende triumphieren? Die nächsten Sätze, sie gehen Holenstein nicht leicht über die Lippen: «Vielleicht müssen wir uns für die Luftwaffe der Zukunft tatsächlich mit leichteren Fliegern für den Luftpolizeidienst zufriedengeben.» So, wie das die SP will? Holenstein antwortet ausweichend: «Das Volk hat entschieden» – und ja, der Entscheid ist denkbar knapp ausgefallen. Einfacher werde der Typenentscheid damit nicht.

«Zweite Schlappe für Bundesrat nach Gripen-Nein»

Die Gegner sind dafür umso besser gelaunt. Die SP-Nationalrätin Priska Seiler Graf ist wie viele andere Kampfjet-Exponent*innen im Fliegermuseum Dübendorf beim SRF. Sie zeigt sich via Telefon freudig überrascht, «niemand hat dieses Resultat im Vorfeld für möglich gehalten». Das Resultat zeige: «Das Wording der Gegner mit dem ‹Alles oder nichts›-Argument zur Armee hat nicht gezogen. Fast exakt die Hälfte der Stimmbevölkerung sagt Nein zur Armee, das ist bemerkenswert.» Und das müsse Konsequenzen haben, man dürfe nun nicht zur Tagesordnung übergehen.

«Fast exakt die Hälfte der Stimmbevölkerung sagt Nein zur Armee, das ist bemerkenswert.»

«Das Verteidigungsdepartement VBS muss aus dieser zweiten Beinahe-Schlappe – nach dem Gripen-Nein von 2014 – lernen. Es muss uns Gegner und unsere Vorschläge endlich ernst nehmen und diese prüfen», sagt die Sicherheitspolitikerin. «Unsere Bedenken decken sich mit denjenigen des Volkes, ganz offensichtlich.» Das Programm «Air2030» sei nun sehr angeschlagen – daran ändere auch das knappe Ja nichts.

Die Vorlage wird es nun schwer haben im Parlament, ist Seiler Graf überzeugt. Man werde das Resultat der heutigen Abstimmung genau analysieren müssen. «Fast die Hälfte des Volkes will keine Luxusjets, sondern findet einen Luftpolizeidienst ausreichend.» Vielleicht seien sechs Milliarden in Krisenzeiten auch einfach zu viel gewesen, sagt die Sicherheitspolitikerin.

«Die Coronakrise hat uns Strich durch Rechnung gemacht»

Auch SVP-Nationalrat und Kampfjet-Befürworter Salzmann sagt: «Die Coronakrise hat uns einen Strich durch die Rechnung gemacht. Wir sind nicht bis zu den Leuten gekommen, weil viele Veranstaltungen abgesagt werden mussten.»

Das sieht auch SOG-Präsident Holenstein so: «Während einer Krise schaut das Volk vermehrt aufs Geld.» Komme dazu: Der Superabstimmungstag mit fünf Vorlagen habe gerade wegen des Vaterschaftsurlaubs und den Kinderabzügen die linke und urbane Wählerschaft mobilisieren können. «Das äussert sich jetzt halt auch bei den Kampfjets.»

Es klingt zerknirscht. Der Sieg, heute hat er einen bitteren Nachgeschmack.

Das sagt Verteidigungsministerin Viola Amherd zum Beinahe-Absturz der Kampfjets

  • Amherd bedankt sich bei den Stimmbürger*innen für das Ja. Dieses bedeute eine langfristige Investition in die Sicherheit der Schweiz. 
  • Nächstes Jahr werde ein Evaluationsbericht aufzeigen, welcher der vier Flugzeug-Typen am geeignetsten sei. Während des Prozesses werde keiner der Typen ausgeschlossen. Amherd erwähnt explizit die Kritik am F-35 und seinen etwaigen Abhängigkeiten (hier geht's zur «blue News»-Recherche dazu).
  • Das sehr knappe Ja ändere nichts am Budget von 6 Milliarden.
  • Ob sie ignorieren wolle, dass die Hälfte der Schweiz gegen den Beschluss sei, fragt ein Journalist. Demokratie heisse, dass die Mehrheit entscheide, und das respektiere sie, antwortet Amherd. 
  • Hat die Armee nun nicht ein Glaubwürdigkeitsproblem, Frau Verteidigungsministerin? Kampfjets seien ohnehin umstritten – und die Coronakrise helfe nicht für ein Ja, antwortet Amherd. «Die Menschen, die wegen Corona jetzt in einer schwierigen Lage sind, deren Ängste nehme ich ernst.» Und doch habe die Mehrheit Ja gesagt zu den 6 Milliarden.
  • Bei einem Nein hätte Amherd den Volksentscheid ebenfalls respektiert, antwortet sie auf eine weitere Journalistenfrage. «Dann hätten wir eine grosse Auslegeordnung machen müssen, weil ein wichtiger Pfeiler der Armee geschwächt worden wäre», sagt die Bundesrätin.
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