Deutsche hässig auf Nagra«Viele sehen im Entscheid ein gewisses Geschmäckle»
Von Andreas Fischer
12.9.2022
Nagra-CEO Braun: «Die Geologie hat gesprochen»
Die Nagra schlägt nach fast 50-jähriger Standortsuche die Region Nördlich Lägern in der Zürcher Gemeinde Stadel für das Endlager von radioaktivem Abfall vor. Der Entscheid für das Gebiet Nördlich Lägern ist eindeutig gefallen, auf Grund der geologischen Verhältnisse.
12.09.2022
Die Schweiz will ihren Atommüll in unmittelbarer Nähe der deutschen Grenze lagern. Besonders nah dran liegt die Ortschaft Hohentengen in Baden-Württemberg. Der Bürgermeister ist nicht erfreut.
Von Andreas Fischer
12.09.2022, 15:08
12.09.2022, 15:09
Von Andreas Fischer
Die Entscheidung der Schweiz für den Standort ihres Atommüll-Endlagers im Unterland des Kantons Zürich nahe der Grenze zu Deutschland ist von den Nachbarn skeptisch aufgenommen worden. Betroffen auf deutscher Seite ist vor allem die baden-württembergische Ortschaft Hohentengen am Hochrhein, die nur wenige Hundert Meter von der Grenze entfernt ist.
Dass Bürgermeister Martin Benz darüber nicht glücklich ist, gibt er im Gespräch mit blue News freimütig zu. Am Telefon stellt der Kommunalpolitiker klare Forderungen an die Schweiz, bleibt dabei aber sachlich: «Erwartet haben wir den Entscheid für Nördlich Lägern nicht, aber wirklich überrascht waren wir auch nicht», sagt Benz.
Die ersten Reaktionen der Bürgerinnen und Bürger «reichen von Besorgnis und Ängsten hin bis zu Wut», sagt Benz. «Viele sehen in dem Entscheid ein gewisses Geschmäckle und denken, es war sowieso klar, dass das Endlager hier gebaut wird, weil am wenigsten Schweizer Gemeinden betroffen sind.»
Nagra hält sich nicht an eigene Vorgaben
Erstaunt war Benz vor allem über den Kommunikationsstil der «Nationalen Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle» (Nagra). «Wir sind am Mittwoch vorab informiert worden, aber unter Strafandrohung dazu angehalten worden, vor Montag nichts zu sagen.» Dass die Nagra den Entscheid bereits am Samstagabend publik machte, habe Benz verärgert. Es sei zwei ein Nebenschauplatz, «dass gerade diejenigen, die Geheimhaltung verlangten, die Regeln brechen», aber glücklich war man in Hohentengen darüber nicht.
Überhaupt sei das Vertrauen in die Nagra gerade äusserst gering. Dies aus einem einfachen Grund: «Die Nagra hat den Standort 2015 selbst zurückgestellt und dies mit blumigen Worten begründet, wonach jeder renommierte Wissenschaftler weltweit sagen würde: Finger weg von diesem Standort.»
Dass er jetzt ausgewählt wurde, habe Benz mit Verwunderung zur Kenntnis genommen: «Sie müssen sehr gut begründen, warum ein zurückgestellter Standort plötzlich zum präferierten Standort wird», fordert Benz und beklagt, dass er von Schweizer Seite keinerlei Unterlagen zur Verfügung gestellt bekommen habe.
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Auswirkungen machen an der Grenze nicht Halt
«Dass der vorhandene Atommüll am sichersten Ort entsorgt werden muss, darüber waren wir uns immer grenzüberschreitend einig», betont der deutsche Bürgermeister. «Wenn es sich letztendlich herausstellen sollte, dass dieser Ort wirklich Nördlich Lägern wäre, dann tragen wir diesen Entscheid natürlich mit.» Man könne schliesslich nicht plötzlich sagen: «Das passt uns jetzt doch nicht.»
Dass ein Schweizer Endlager in Nördlich Lägern «vielschichtige Konsequenzen» auch für seine Gemeinde hat, ist Benz bewusst: «Es ist klar, dass weder radiologische noch bautechnische Auswirkungen an der Grenze Halt machen.» Schliesslich würde das Endlager in der Tiefe rund 2,3 Kilometer an die Grenze heranreichten und sei der «Umladebahnhof für bautechnische An- und Ablieferungen lediglich 650 Meter von unseren Wohngebieten entfernt.»
Klare Forderungen an die Schweiz
Auf der deutschen Seite gibt es nun klare Forderungen an die Schweiz: «Wir erwarten eine massgebliche Beteiligung am weiteren Verfahren und wollen mit entsprechenden Sitzen in die Entscheidungen eingebunden werden. Und wir fordern, da mache ich keinen Hehl daraus, beim Thema Kompensation und Abgeltung massgeblich beteiligt zu werden.»
Der genaue Betrag der geplanten Kompensationszahlung und Abgeltungen sei zwar noch nicht klar, bewege sich aber im Bereich von mehreren Hundert Millionen Franken für alle betroffenen Gemeinden über mehrere Jahrzehnte, so Benz. Er fordert: «Wir wollen mit Schweizer Infrastrukturgemeinden gleichgestellt werden.»
Derweil will man in Deutschland den Schweizer Entscheid von einer Expertenkommission des Bundesumweltministeriums prüfen lassen. «Letztendlich geht es darum, die Aussagen der Nagra auf Plausibilität zu prüfen.» Dass sie glaubhaft ist, fällt dem Bürgermeister von Hohentengen aufgrund der Vorgeschichte bei der Standortwahl allerdings der Nagra schwer.