Angehende Lehrerinnen berichten«Dass viele den Bettel hinwerfen, ist nicht sonderlich motivierend»
Von Alex Rudolf
10.8.2022
Oberste Schweizer Lehrerin: «Ich als Mutter mache mir grosse Sorgen»
Vor Beginn des neuen Schuljahres fordert das Deutsch- und Westschweizer Lehrpersonal von Bund und den Kantonen mehr Unterstützung. Der anhaltende Mangel an Lehrkräften sowie die zusätzlichen Herausforderungen durch die Pandemie und den Ukraine-Krieg würden den Bildungserfolg gefährden.
08.08.2022
Im ganzen Land mangelt es derzeit an Lehrkräften. Zwei Frauen Mitte 30 erzählen, wie es ist, in einen Krisenberuf einzusteigen.
Von Alex Rudolf
10.08.2022, 23:55
11.08.2022, 16:45
Alex Rudolf
«Dass viele Lehrer*innen den Bettel hinschmeissen, ist nicht sonderlich motivierend», sagt Gabriela M.* aus Zürich. Die 34-Jährige hängte jüngst ihren Job bei einem Grossunternehmen an den Nagel, um Lehrerin zu werden. Ab Schulstart wird sie im Westen der Stadt an einer Schule die Klassenassistenz übernehmen. Das heisst, sie wird einer Lehrperson unter die Arme greifen. Ihr Pensum wird 55 Prozent betragen, wofür sie einen Lohn von rund 2500 Franken erhalten wird.
Leute wie Gabriela M. werden derzeit händeringend gesucht. Noch sind in der Schweiz Hunderte von Lehrerstellen unbesetzt. Mancherorts – wie etwa in Zürich – können neu auch Personen ohne entsprechende Ausbildung vor eine Klasse stehen. Beim Schweizer Lehrer*innenverband ist man aber besorgt. Die Präsidentin Dagmar Rösler sagte diese Woche, dass sie nicht ruhig schlafen könnte, wenn sie wüsste, dass ihre Kinder von einer Person ohne pädagogische Ausbildung unterrichtet würden.
Viele Lehrer*innen befürchten, dass ihr Beruf durch solche Massnahmen abgewertet wird. Auch stellt man eine Tendenz hin zu Homeschooling fest. «Denn je weniger Vertrauen die Eltern in die Volksschule haben, desto eher trauen sie sich die Ausbildung ihrer Kinder selber zu», sagte Gabriela Heimgartner, Co-Präsidentin von Schule und Elternhaus Schweiz, zu blue News.
Weg vom Grossraumbüro ins Klassenzimmer
Der Lehrerberuf ist derzeit in der Krise. Warum entscheidet man sich, ihn zu ergreifen? Gabriela M. freut sich auf ihr Leben weg vom Grossraumbüro hin zu einem im Klassenzimmer. Sie wird im kommenden Jahr mit der Quereinsteiger-Ausbildung beginnen und will mit ihrer Assistenz bis dahin noch Erfahrungen sammeln.
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Warum stellt sie sich nicht schon heute vor eine Klasse? Immerhin verfügt sie über Führungserfahrung und einen Bachelor in Kommunikation. «Das traue ich mir noch nicht zu. Zudem will ich die Verantwortung noch nicht übernehmen, ohne Pädagogik-Grundkenntnisse vorweisen zu können», sagt sie.
Erfahrung im Klassenzimmer gesammelt hat Moira P.*. Die 32-Jährige startet am Montag in einer Woche und unterrichtet eine erste Sekundarklasse in Zürich. Bis zu ihrem Abschluss der Quereinsteiger-Ausbildung für Personen ab 30 Jahren dauert es noch rund zweieinhalb Jahre. Während des Studiums absolvierte sie im ersten Jahr vorwiegend Theorie mit wöchentlich einem Vormittag Praxisunterricht. Nun folgen zwei Jahre mit Arbeit als Lehrperson und weiterem Studium an der Pädagogischen Hochschule.
Eltern trauen Neulingen weniger zu
Dass die Öffentlichkeit Menschen ohne Lehrer-Ausbildung und jene wie sie, die bereits mitten in der Ausbildung stecken, verwechselt, sei irreführend, sagt Moira. «Eltern könnten meinen, dass wir Quereinsteiger-Studierenden auch unqualifiziert sind, weil die Medien keine Unterscheidung zwischen uns und den noch unausgebildeten Quereinsteigenden machen.» Die Unterscheidung liege ihr aber am Herzen, da sie und ihre Kolleg*innen bereits ein Jahr intensiv auf den Berufseinstieg vorbereitet wurden.
Dies führe dazu, dass die Eltern ihnen weniger zutrauen, was die tägliche Arbeit erschweren dürfte.
Und dennoch hält Moira P. die Strategie, auch Menschen ohne Ausbildung unterrichten zu lassen, für interessant. «Viele geben sich dadurch wohl einen Ruck und geben dem Beruf eine Chance, was ich grossartig finde.»
Trotz der momentanen Probleme, in denen sich viele Schulen befinden, sei es ein wichtiger und schöner Beruf, sagt Gabriela M. Zudem gebe es in ihrem Umfeld auch viele positive Beispiele von Menschen, die das Lehrersein lieben und in einem guten schulischen Umfeld unterrichten.
Wie wird Beruf wieder attraktiv?
Auch Moira P. freut sich sehr auf den Schulstart und ist gespannt, wie ihr der Lehrer*innen-Beruf gefallen wird. Für sie steht dennoch fest, dass man die Strukturen des Bildungssystems überdenken müsste, wenn man den Beruf wieder attraktiver machen wolle. «Das Unterrichten selbst ist lediglich ein Bruchteil dessen, was eine Lehrperson zu tun hat. Die kleinen – und dennoch wichtigen – Ämtli, die sich zusammenläppern, empfinden viele als anstrengend.»