Favorit oder Aussenseiter? Die fünf SVP-Kandidat*innen im Formcheck

Von Gil Bieler

21.10.2022

Die Uhr tickt: Nur noch heute können SVP-Politiker*innen ins Bundesrats-Rennen einsteigen. Fünf haben schon ihr Interesse angemeldet. Welches sind ihre individuellen Stärken und Schwächen? Ein Formcheck.

Von Gil Bieler

In den letzten Wochen wurde das Kandidat*innenfeld um die Nachfolge von Bundesrat Ueli Maurer breiter und breiter. Einer um die andere legten die SVP-Papabili ihre Karten auf den Tisch.

Fünf von ihnen wollen in den Bundesrat: vier Männer und eine Frau. Mindestens. Erst um Mitternacht endet die Anmeldefrist bei der zentralen Findungskommission. Wen die Partei am Ende offiziell nominiert, soll sich im Verlauf des Novembers klären.

Wie stehen die Chancen der bisher bekannten Kandidat*innen, dass sie am 7. Dezember von der Vereinigten Bundesversammlung ins Amt gewählt werden? blue News hat den Polit-Analysten und Kampagnenspezialisten Mark Balsiger um eine Einschätzung gebeten.

Albert Rösti

Jahrgang 1967, Agronom und selbstständiger Berater. Seit 2011 im Nationalrat, von 2016 bis 2020 Parteipräsident der SVP Schweiz. 

Stärken: Er sitzt seit 2011 im Nationalrat, hat sich einen Namen als Gesundheits- und Energiepolitiker gemacht und ist dank seiner angenehmen Art über die Parteigrenze hinaus beliebt: Albert Rösti gilt gemeinhin als Topfavorit für den Sprung in den Bundesrat.

«Rösti ist in Bern ein Routinier, den man kennt», sagt Balsiger. Während seiner Zeit als SVP-Präsident von 2016 bis 2020 sei er «laut, angriffig und polemisch» gewesen. «Diese Rolle musste er als Präsident einer Polpartei spielen, aber es war eben eine Rolle. Das hat man ihm angemerkt. Hinter den Kulissen tickt er ganz anders.» Seine angenehme Art, sein Netzwerk und seine Kompetenz machten ihn für die Mehrheit der Parlamentarier*innen wählbar, so Balsiger.

Der Zeitplan für die Maurer-Nachfolge

  • Bis zum 21. Oktober können die SVP-Kantonalsektionen ihre Kandidati*nnen der zentralen Findungskommission melden.
  • Danach finden Anhörungen in der Findungskommission unter Leitung von Caspar Baader vor. Der Baselbieter ist alt Nationalrat und war einst Präsident der SVP-Bundehausfraktion.
  • Bis zum 11. November will die Kommission dem Vorstand der SVP-Bundeshausfraktion ihre Empfehlungen unterbreiten.
  • Voraussichtlich am 18. November will die SVP-Fraktion die offiziellen Kandidaten benennen.
  • Am 7. Dezember, während der Wintersession, wählt die Vereinigte Bundesversammlung dann den Nachfolger respektive die Nachfolgerin von Ueli Maurer.

Schwächen: Zwei Tolggen in Röstis Reinheft entdeckt der Analyst dennoch. Bei den eidgenössischen Wahlen 2019 verlor die SVP – unter Parteichef Rösti – 3,8 Prozentpunkte Wähleranteil. «Das ist für Schweizer Verhältnisse ein heftiger Einbruch», sagt Balsiger. Röstis Vorgänger, Toni Brunner und Ueli Maurer, hätten die Partei auf Erfolgskurs gehalten, der Berner habe das nicht geschafft. «Viele innerhalb der SVP nehmen ihm das bis heute übel.» Zweifel gebe es innerhalb der SVP auch daran, dass das Profil der Partei mit einem Bundesrat Rösti verwässert würde.

Berner SVP schickt Zweierticket mit Rösti und Salzmann ins Rennen

Berner SVP schickt Zweierticket mit Rösti und Salzmann ins Rennen

Die Berner SVP schickt Nationalrat Albert Rösti und Ständerat Werner Salzmann ins Rennen um die Nachfolge von SVP-Bundesrat Ueli Maurer. Der Parteivorstand stellte sich am Donnerstagabend hinter das Duo.

20.10.2022

Werner Salzmann

Jahrgang 1962, Chefexperte Landwirtschaft bei der Steuerverwaltung des Kantons Bern. Nationalrat von 2015 bis 2019, seither Ständerat. 

Stärken: «Ein grosser Trumpf ist, dass er 2019 für die SVP den Berner Ständeratssitz zurückerobern konnte», sagt Balsiger. Das habe auch Albert Rösti 2015 versucht, aber nicht geschafft. Auch, dass Salzmann von 2012 bis 2021 mit der SVP Bern die zweitgrösste Kantonalsektion geführt habe, sei ein Plus. Hinzu kämen Anknüpfungspunkte in zwei gewichtigen Netzwerken im Parlament: zum einen bei den landwirtschaftlichen Kreisen; zum anderen bei den Militärs. «Dass er ein strammer Oberst ist, hat immer noch eine Bedeutung.»

Schwächen: Sein militärischer Hintergrund ist für Salzmann aber auch ein mögliches Hindernis. «Sein Auftritt ist nicht geschmeidig», so Balsiger. Sympathiepunkte könne er damit keine holen. Und auch inhaltlich sei es für Salzmann schwierig, weil er bislang nur auf Landwirtschaft und die Sicherheitspolitik setzte. «Für einen Bundesrat ist das ein zu kleiner Rucksack», urteilt Balsiger – Krieg in der Ukraine hin oder her.

Umfrage
Wer schafft den Sprung in den Bundesrat?

Heinz Tännler

Jahrgang 1960, Anwalt und Notar. Seit 2007 im Zuger Regierungsrat – zuerst als Baudirektor, seit 2016 als Finanzdirektor. 

Stärken: Für Balsiger gehört Heinz Tännler «zu den routinierten, fähigen und selbstbewussten Regierungsräten, die sich einen solchen Rollenwechsel zutrauen». Das zeigt sich auch daran, dass Tännler bereits 2015 im Gespräch war, als es um die Nachfolge von BDP-Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf ging. Für den Zuger Finanzdirektor spricht ausserdem das Timing: «Tännler ist 62 Jahre alt und muss niemandem mehr etwas beweisen. Er hat nichts zu verlieren», sagt Balsiger. Komme Tännler nicht auf das Ticket der SVP, werde ihm das nicht als Niederlage angekreidet. «Wird er aber aufgestellt, ist das schon ein Sieg.»

Schwächen: Tännler ist trotz seiner langjährigen Regierungstätigkeit in Bern weit weniger bekannt als seine Mitstreiter*innen. «Er ist nicht Teil der Bundeshaus-Bubble», fasst es Balsiger zusammen. Und im linken Lager koste Tännler seine Herkunft und seine Politik – Stichwort Steueroase – viele Sympathien. Daher sagt Balsiger: «Tännlers Wahl wäre eine Sensation. Denn dafür müsste am 7. Dezember eine ungeahnte Dynamik entstehen.»

Michèle Blöchliger

Jahrgang 1967, Anwältin. Seit 2018 im Nidwaldner Regierungsrat – zuerst als Gesundheits- und Sozialdirektorin, seit 2022 als Finanzdirektorin. 

Stärken: Als überaus positiv nahm Balsiger wahr, wie die Nidwaldnerin ihre Bundesratskandidatur bekannt gab: selbstbewusst, ohne überheblich zu wirken. «Blöchliger hat Chuzpe in eigener Sache bewiesen», sagt Balsiger. «Solche Töne hört man in der Schweiz ganz selten.» Auch ihren Rucksack taxiert der Experte als überzeugend.

Wie Heinz Tännler könne auch Michèle Blöchliger mit einer Kandidatur nur gewinnen, glaubt Balsiger – «mit dem Unterschied, dass er am Ende seiner politischen Karriere steht». Bei Blöchliger sei das anders: Ihre Bundesratskandidatur könne der 55-Jährigen etwa dereinst helfen, den Nidwaldner Ständeratssitz zu erobern. Sich so zu profilieren, sei gar nicht unüblich. Der Experte erinnert an FDP-Politiker Hans Wicki, der 2018 gegen Karin Keller-Sutter antrat, obschon er keine realistische Chance hatte.

Schwächen: Der Sprung von einem kleinen Kanton in den Bundesrat – und damit an die Spitze eines Departements mit Tausenden Angestellten – wäre riesig. Und der Wirbel um ihren britischen Pass sei mehr als ein Fauxpas. «Damit hat sie sich nicht komplett aus dem Rennen genommen, aber sich zumindest einen Flügel verbrannt.»

Zur Erinnerung: An ihrer Medienkonferenz sagte Blöchliger, sie besitze keine britische Staatsbürgerschaft mehr – was von Interesse ist, weil die SVP schon mehrfach gegen die doppelte Staatsbürgerschaft von Bundesrät*innen opponiert hat. Nur einen Tag später musste Blöchliger einräumen, dass sie doch Doppelbürgerin sei, einzig ihr Pass sei abgelaufen.

Dass Blöchliger die einzige Frau im Kandidatenfeld sei, sei eher ein Nachteil, glaubt der Polit-Analyst: «Es gibt keinen grossen Druck, eine Frau zu wählen», schliesslich sitzen aktuell drei Frauen im Bundesrat. Die SVP war als einzige Partei noch nie mit einer Frau im Bundesrat vertreten – die als SVP-Vertreterin gewählte Eveline Widmer-Schlumpf wurde im Nachhinein aus der Partei geworfen.

Mit Michèle Blöchliger steigt erste Frau aufs Kandidatenkarussell

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Nun kandidiert auch eine SVP-Frau für die Nachfolge von Bundesrat Ueli Maurer. Die knapp 55 Jahre alte Nidwaldner Finanzdirektorin Michèle Blöchliger hat am Montag in Stans bekannt gegeben, dass sie für eine Kandidatur bereit sei.

17.10.2022

Hans-Ueli Vogt

Jahrgang 1969, Professor für Privat- und Wirtschaftsrecht an der Universität Zürich. Nationalrat von 2015 bis 2021.

Stärken: Dass die Zürcher SVP den ehemaligen Nationalrat als Kandidat vorstellte, sei ein Coup: «Niemand hatte ihn auf dem Zettel.» Hans-Ueli Vogt habe sich in seiner Zeit im Parlament als stiller Schaffer viel Respekt verdient, wo er unter anderem als Schöpfer der Selbstbestimmungsinitiative in Erscheinung trat. Positiv sei auch: «Er ist kein typischer SVP-Vertreter aus dem Kanton Zürich, sondern eigenständig.» So setzte sich Vogt unter anderem für die «Ehe für alle» ein. Diese Emanzipation von der SVP-Linie mache ihn auch für andere Parteien wählbar. Zudem wäre Vogt der erste offen homosexuelle Bundesrat – was in Zeiten einer breiten Diversity-Debatte bemerkenswert wäre.

Schwächen: Vogts unabhängige Haltung sieht Balsiger gleichzeitig als Schwachpunkt. «Er ist nicht richtig greifbar. Man weiss bei ihm nicht immer, wofür er steht.» Erschwerend komme hinzu: Vogt sei nicht der gesellige Typ, im Parlament wurden viele nicht warm mit ihm.

Vogt hatte erst vor knapp einem Jahr seinen Rücktritt aus dem Nationalrat gegeben. Ist da eine Rückkehr auf nationaler Ebene glaubhaft? Ja, findet der Experte: Vogt habe glaubwürdig dargelegt, dass ihn ein Exekutivamt reizen würde, er aber genug vom Parlamentsbetrieb gehabt habe. Ausserdem stelle sich die Frage: «Wieso sollte er seiner Partei sonst solch einen Liebesdienst erbringen?»

SVP Zürich schlägt Hans-Ueli Vogt als Bundesratskandidat vor

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Nachdem zahlreiche mögliche Kandidierende absagten, hat die Zürcher SVP am Mittwoch Hans-Ueli Vogt als Kandidaten präsentiert. Der 52-Jährige ist Professor für Wirtschaftsrecht und ehemaliger Nationalrat.

19.10.2022