Berset schafft KlarheitWie heftig wird der Prämienschock 2024?
Von Alex Rudolf
25.9.2023
Der Hammer kommt, das ist sicher. Aber wie stark steigen die Prämien für die Krankenkasse effektiv an? Bundespräsident Alain Berset schafft jetzt Klarheit. Die Parteien überbieten sich derweil mit Ideen, was zu tun wäre.
Von Alex Rudolf
25.09.2023, 23:50
26.09.2023, 12:22
Alex Rudolf
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Weil die Krankenkassenprämien die Gesundheitskosten nicht mehr decken, steigen sie 2024 wohl markant an.
Bundespräsident Alain Berset wird am Dienstag Klarheit schaffen, um wie viel die Prämien effektiv ansteigen.
Die Politik sieht mehrere Massnahmen vor, um gegen die Kostenexplosion vorzugehen. Etwa die Kostenbremse-Initiative der Mitte-Partei oder die Prämien-Entlastungs-Initiative der SP.
Hinweis zur Transparenz: Eine erste Version dieses Artikels erschien am 14. September. Er wurde aus aktuellem Anlass umfangreich aktualisiert.
Die Krankenkassenprämien schlugen letztes Jahr um 6,6 Prozent auf – und wenn Bundespräsident und Gesundheitsminister Alain Berset am Dienstag die Prämien für 2024 bekannt gibt, droht ein noch grösserer Anstieg.
Expert*innen gehen von einem Aufschlag um 8 bis zu 9 Prozent aus. Das würde für eine vierköpfige Familie Mehrkosten von rund 1000 Franken jährlich bedeuten.
1. Warum steigen die Prämien überhaupt an?
Als Grund nannte Bundesrat Berset bereits vor einigen Wochen die steigenden Gesundheitskosten: «Die Kosten sind höher als erwartet. Alle merken, es sieht nicht gut aus», sagte er in einem Interview mit den Tamedia-Titeln. «Die Prämien folgen den Kosten. Und die sind im letzten und vor allem in diesem Jahr stärker gestiegen als erwartet. Das muss leider nachkorrigiert werden.»
Ähnlich argumentiert übrigens auch die Direktorin des Krankenkassenverbands Santésuisse, Verena Nold: Die Prämien, welche die Schweizer*innen entrichten, decken die effektiven Kosten für Spitalbehandlungen, Medikamente und Arztbesuche nicht mehr.
2. Was sind die Gründe für die Mehrkosten?
Die Kosten für Rehabilitationskliniken stiegen dieses Jahr besonders deutlich. Einer der Gründe hierfür könnte sein, dass Spitäler ihre Patient*innen schneller in die Reha schicken, weil in den Kliniken selbst das Personal fehlt.
Höhere Energiekosten werden derweil für eine 7-Prozent-Steigerung der Kosten im stationären Bereich ins Feld geführt.
Die Mehrkosten für Medikamente schliesslich gehen auf den demografischen Wandel mit immer mehr älteren Menschen zurück.
3. Wieso will die SP die Prämien an den Lohn koppeln?
Die Politik sucht fieberhaft nach Wegen, wie die Kostenspirale gebremst werden könnte. Dabei werden auch immer mehr Tabus offen infrage gestellt. So liebäugelt die SP-Parteispitze jetzt etwa mit Prämien, die sich nach der Höhe des Einkommens richten. Das wäre eine Abschaffung der heute gültigen Kopfprämie, nach der ein Top-Banker gleich viel Prämien bezahlt wie eine Reinigungskraft.
Die SP rechnete durch, welche Auswirkungen ein Systemwechsel für die Bevölkerung hätte, und gab den Titeln von CH Media Einblick in die entsprechenden Zahlen. Resultat: «85 Prozent der Bevölkerung würden finanziell entlastet», erklärte SP-Nationalrätin Samira Marti (BL) dazu.
Der SP zufolge würden vor allem Familien profitieren. Eine vierköpfige Familie mit einem jährlichen Einkommen von 140'000 Franken brutto würde neu 166 Franken pro Monat bezahlen und damit bis zu über 1000 Franken einsparen. Bis zu einem Jahreseinkommen von 100'000 Franken wäre die Krankenkasse sogar gratis.
Mehr bezahlen müssten natürlich die übrigen 15 Prozent der Bevölkerung, was konkret die Besserverdienenden sind: Ein Ehepaar mit einem Jahreseinkommen von 250'000 Franken müsste gemäss Bericht jährlich über 29'000 Franken bezahlen.
Interessanterweise sind das mehr als 10 Prozent ihres Einkommens – und damit mehr, als es die SP mit ihrer Prämien-Entlastungs-Initiative fordert.
4. Was will die Prämien-Entlastungs-Initiative der SP?
Mit ihrer Volksinitiative «Maximal 10 Prozent des Einkommens für die Krankenkassenprämien» – der sogenannten Prämien-Entlastungs-Initiative – will die SP erreichen, dass die Gesundheitskosten nicht mehr als 10 Prozent des Haushaltseinkommens verschlingen.
Das Parlament hat der Initiative einen indirekten Gegenvorschlag entgegengestellt: Dieser sieht vor, dass die Kantone neu einen Mindestbetrag von 3,5 bis 7,5 Prozent der Kosten der obligatorischen Grundversicherung für die Prämienverbilligung aufwenden müssen. Das Konzept sieht vor, dass weiterhin die Kantone die Kompetenz für die Berechnung des genauen Prämienverbilligungsbetrags haben werden.
Der Gegenvorschlag bedeutet für die Kantone Mehrkosten von rund 356 Millionen Franken. Ursprünglich hatte der Nationalrat über zwei Milliarden Franken für zusätzliche Prämienverbilligungen verlangt – davon zusätzliche 800 Millionen Franken zulasten der Kantone.
Die SP freue sich auf den Abstimmungskampf, liess Ständerat Hans Stöckli (SP/BE) verlauten. Es sei an den Kantonen, der Bevölkerung zu erklären, weshalb sich das Parlament auf Massnahmen beschränkt habe, die nicht einmal ein Zehntel des Umfangs hätten, wie sie die Initiative vorschlage.
5. Was will die Kostenbremse-Initiative der Mitte?
Gemäss dem Volksbegehren der Mitte-Partei müssen Bundesrat, Parlament und Kantone eingreifen, wenn die Gesundheitskosten im Vergleich zur Lohnentwicklung zu stark ansteigen. Dies wäre dann der Fall, wenn das Kostenwachstum pro versicherter Person ein Fünftel über der Nominallohnentwicklung läge.
Das Parlament hat einen Gegenvorschlag zur Initiative ausgearbeitet. Dieser sieht im Kern die Einführung von Kosten- und Qualitätszielen für das Gesundheitswesen vor. Der Bundesrat soll alle vier Jahre Vorgaben für die Leistungen gemäss dem Bundesgesetz über die Krankenversicherung festlegen. Für den Fall, dass Ziele nicht erreicht werden, macht er aber keine Vorgaben.
Für das Initiativkomitee geht der Gegenvorschlag zu wenig weit. Wann das Volk über die Initiative befindet, ist noch unklar.
Auch die Direktorin des Spitaldachverbands H+ kann der Idee der Einheitskrankenkasse etwas abgewinnen: «Der Leidensdruck ist so gross, dass eine Revolution unausweichlich scheint», sagte Anne-Geneviève Bütikofer dem «Sonntags-Blick».
Sie sage zwar nicht, dass die Einheitskrankenkasse der richtige Weg sei. «Aber sie ist eine Überlegung wert», findet Bütikofer. «Wenn 2,5 Millionen Menschen pro Jahr die Kasse wechseln, bei Kosten von 800 bis 1000 Franken pro Wechsel, dann haben wir unser Sparpotenzial in Milliardenhöhe bereits gefunden. Die Überlegungen rund um die Einheitskasse sind deshalb legitim.»
Eine repräsentative Umfrage des Newsportals «Watson» zeigte derweil, dass eine Mehrheit der Bevölkerung das System umkrempeln möchte und sich für eine Einheitskrankenkasse, bei der alle gleich grundversichert sind, ausspricht. Satte 79 Prozent sind klar dafür oder eher dafür.
Einen Dämpfer dürfte den Befürwortern der Umstand geben, dass es auch 2014 einen deutlichen Ja-Trend im Vorfeld der Abstimmung gab. Das Verdikt des Stimmvolks war dann aber deutlich.
7. Ist die Abschaffung des Krankenkassen-Obligatoriums eine Option?
Grundsätzlich ja, denn die Zürcher Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli (SVP) stellt das Krankenkassen-Obligatorium zur Diskussion. «Heute gehe ich so weit, zu sagen: Dieses System mit der obligatorischen Grundversicherung, der jährlich sich anpassenden Kostendeckung durch angepasste Prämien und der mit Steuergeldern finanzierten individuellen Prämienverbilligung ist aus finanzieller Sicht gescheitert», sagte Rickli in einem Interview mit der «Sonntags-Zeitung».
Auf viel Gegenliebe stösst sie damit jedoch offenbar nicht. Bei einer grossen «Watson»-Umfrage zur Gesundheitsvorsorge wollen 77 Prozent der Befragten am Obligatorium festhalten oder eher daran festhalten.
*Mit Material der Nachrichtenagentur SDA
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