ÜberblickHier gilt die Impf-Pflicht schon – und da wird sie diskutiert
tsha/dpa/SDA
26.7.2021
Während die Mehrheit der Schweizer ein Impfobligatorium ablehnt, ist eine Pflicht zum Piks in vielen Ländern bereits Realität. Unser Überblick zeigt die Lage in unseren Nachbarstaaten und anderswo.
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26.07.2021, 16:48
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Soll eine Impfung gegen das Coronavirus verpflichtend sein? Und wenn ja, für wen – nur für Gesundheitspersonal oder auch für grössere Teile der Bevölkerung? In der Schweiz könnten Bund und Kantone eine Impfung theoretisch für obligatorisch erklären; noch allerdings ist Gesundheitsminister Alain Berset gegen eine solche Pflicht. Und auch in der Bevölkerung gibt es keine Mehrheit: Selbst eine punktuelle Impfpflicht für das Gesundheitspersonal befürworten nur 46 Prozent der Befragten, wie der jüngste Corona-Monitor im Auftrag der SRG gezeigt hat.
In anderen europäischen Ländern wird derweil offen über die Einführung eines Impfobligatoriums diskutiert, teilweise ist die Pflicht, sich die Spritze setzen zu lassen, sogar schon Realität. Der Überblick:
Frankreich
Das französische Parlament hat in der Nacht zum Montag eine Verschärfung der Corona-Regeln gebilligt. Damit wird eine Impfpflicht für Beschäftigte im Gesundheitswesen eingeführt. Zudem wird die Nachweispflicht über einen negativen Corona-Test, eine Impfung oder Genesung ausgeweitet.
Von August an wird nun ein «pass sanitaire» – also ein Nachweis über einen negativen Corona-Test, eine Impfung oder Genesung – auch für Fernzüge, Bars oder Restaurants nötig sein. Frankreich kämpft derzeit gegen eine vierte Corona-Welle. Von den rund 67 Millionen Einwohnern sind etwa 40 Millionen zumindest einmal geimpft.
Die Änderungen sind umstritten. Am Samstag waren nach Angaben des Innenministeriums landesweit mehr als 160'000 Menschen dagegen auf die Strasse gegangen. Am Rande von Demonstrationen gegen Impfpass und Impfpflicht kam es zu Ausschreitungen. Es gab zahlreiche Festnahmen.
Italien
In Italien sind Ärzte und anderes medizinisches Personal bereits seit dem 25. Mai verpflichtet, sich gegen das Coronavirus impfen zu lassen. Ausserdem sind demnächst für viele Alltagsbeschäftigungen Covid-19-Pässe nötig. Die Regierung stimmte am vergangenen Donnerstag einem Dekret zu, mit dem die Verwendung sogenannter grüner Pässe ab 6. August vorgeschrieben wird. Für einen Pass müssen Einzelpersonen nachweisen, dass sie in den vergangenen neun Monaten mindestens einmal gegen das Coronavirus geimpft wurden, sich in den vergangenen sechs Monaten von einer Coronavirus-Erkrankung erholt haben oder in den vorherigen 48 Stunden negativ darauf getestet wurden.
Die Pässe sind nötig für Restaurant- oder Café-Aufenthalte drinnen, für die Teilnahme an Sportveranstaltungen, Volksfesten und Konferenzen und das Aufsuchen von Kasinos, Bingo-Spielstätten und Schwimmbädern. Der Pass sei nötig, «um die wirtschaftliche Aktivität offen zu halten», sagte Draghi. Bürger könnten sich unterhalten lassen, «mit der Gewissheit, dass sie nicht neben ansteckenden Menschen sein werden».
Laut dem italienischen Gesundheitsminister Roberto Speranza haben bereits rund 40 Millionen Menschen in Italien den Pass heruntergeladen. Gleichzeitig kam es vor allem am vergangenen Wochenende zu Demonstrationen gegen die neuen Bestimmungen.
Deutschland
In Deutschland gibt es derzeit keine Impfpflicht, wohl aber eine hitzige Diskussion über ein mögliches Obligatorium. Am Wochenende sagte etwa Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) in einem Zeitungsinterview, dass Geimpfte «definitiv mehr Freiheiten» haben werden als Ungeimpfte. Umgekehrt müssten Menschen, dich sich nicht impfen lassen, damit rechnen, nicht mehr in Restaurants, Kinos oder Stadien eingelassen zu werden. Widerspruch kam von Brauns Parteikollegen, dem CDU-Kanzlerkandidaten Armin Laschet, sowie von Teilen der Opposition.
Bundesfamilien- und Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) sagte, es werde «keine allgemeine Impfpflicht geben». Der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, schloss eine Impfpflicht hingegen nicht aus: «Es ist möglich, dass Varianten auftreten, die das erforderlich machen», so der Grünen-Politiker zur Nachrichtenagentur dpa.
Österreich
Auch in Österreich ist der Piks in den Oberarm noch nicht verpflichtend, wie in Deutschland wird aber auch hier über ein Obligatorium für bestimmte Berufsgruppen diskutiert. So sagte die Vorsitzende der Bioethik-Kommission, Christiane Druml, am Wochenende in einem Interview, sie befürworte eine Impfpflicht im gesamten Bildungs-, Pflege- und Gesundheitsbereich.
Der grüne Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein widersprach umgehend: «Ich halte eine generelle Impfpflicht nicht für zielführend. Ich bin aber dafür, dass Angestellte im Gesundheitswesen verpflichtend geimpft sein müssen. Die Träger können und sollen das jetzt schon einfordern.»
Derweil werden aus einzelnen österreichischen Bundesländern Forderungen nach einem Obligatorium laut. So sagte etwa die niederösterreichische Bildungslandesrätin Christiane Teschl-Hofmeister (ÖVP), sie sei für eine bundesweite Impfpflicht für Lehrerinnen und Lehrer. Notfalls werde ihr Bundesland ein Obligatorium im Alleingang einführen.
Grossbritannien
Von Oktober an müssen Heim-Mitarbeiter*innen in England zwei Impfungen gegen das Coronavirus vorweisen. Das britische Parlament hatte Mitte Juli einer entsprechenden Impfpflicht zugestimmt; diese gilt allerdings nicht für die anderen britischen Landesteile Schottland, Wales und Nordirland, die für die Gesundheitspolitik selbst verantwortlich sind und noch keine entsprechenden Pläne haben.
Die britische Gesundheits-Staatssekretärin Helen Whately sagte, dass Heimbetreiber impfunwilligen Beschäftigten eine alternative Arbeitsstelle anbieten könnten. Es gebe allerdings nur wenige Jobs in der Branche, die ohne Impfung möglich sind. Pflege- und Ärzteverbände hatten zuvor vor einer Impfpflicht gewarnt. Auf ohnehin stark unter Druck stehende Branchen kämen damit weitere Probleme zu.
Spanien
Das Impftempo in Spanien ist derzeit hoch. Auch deshalb wird in dem Land nur wenig über eine mögliche Pflicht zum Setzen der Spritze diskutiert. «Die Covid-Impfung geschieht auf freiwilliger Basis», erklärte das Gesundheitsministerium unlängst, «so wie es auch mit allen anderen Schutzimpfungen in Spanien der Fall ist.» Der Versuch der westspanischen Region Galizien, ein Obligatorium einzuführen, wurde vor Kurzem vom spanischen Verfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt, da die Einführung einer Pflicht Sache der Staatsregierung sei.
In Griechenland wurde bereits vor rund zwei Wochen verfügt, dass Mitarbeiter*innen im Pflege- und Gesundheitssektor verpflichtet sind, sich gegen Corona impfen zu lassen. Sie können sonst ohne Gehalt von ihrer Arbeit freigestellt werden. Auch dürfen geschlossene Räume im Gastro- und Kulturbereich, etwa Clubs und Theater, nur noch von Geimpften besucht werden.
Ungarn hatte Mitte Juli eine Impfpflicht für Mitarbeitende im Gesundheitswesen angekündigt. Wann diese in Kraft treten wird, ist allerdings noch offen. «Wir sind nicht für Zwang, aber in einem Bereich machen wir eine Ausnahme, die Impfung wird für Mitarbeiter des Gesundheitswesens obligatorisch sein», sagte der ungarische Ministerpräsident Victor Orban bei der Vorstellung der Massnahme.
Tschechien
Der tschechische Ministerpräsident Andrej Babis erteilte einer Impfpflicht gegen das Coronavirus zum derzeitigen Zeitpunkt unlängst eine Absage: «Wir gehen den Weg der Überzeugung», sagte der 66-Jährige in der vergangenen Woche. Er schloss indes eine Debatte über eine Impfpflicht in der nächsten Legislaturperiode nicht aus. Anfang Oktober wird ein neues Parlament gewählt. Mehr als vier Millionen der rund 10,7 Millionen Einwohner Tschechiens sind nach Angaben des Gesundheitsministeriums bereits vollständig geimpft.
USA
In den USA gibt es keine allgemeine Impfpflicht. Diese gilt aus politischen Gründen als undenkbar. Stattdessen setzen viele Bundesstaaten auf Anreize, um die zuletzt erlahmende Impfkampagne wieder zu beschleunigen. Schlagzeilen machte allerdings vor Kurzem eine Universität im Bundesstaat Indiana, die ihre Studentinnen und Studenten zu einer Impfung verpflichtet hatte. Ein Gericht bestätigte das Obligatorium in der vergangenen Woche vorläufig mit dem Hinweis auf das legitime Interesse für die öffentliche Gesundheit. Zuvor hatten acht Studenten der Indiana University gegen die Pflicht geklagt.