Nato-Gipfel in Vilnius Wie gut kann sich die Ukraine auf ihre Verbündeten noch verlassen?

tafi

11.7.2023

Nato-Gipfel in Vilnius: Ukraine-Krieg als zentrales Thema

Nato-Gipfel in Vilnius: Ukraine-Krieg als zentrales Thema

In Vilnius laufen die letzten Vorbereitungen für den Nato-Gipfel. Die Staats- und Regierungschefs des transatlantischen Verteidigungsbündnisses treffen sich Mitte der Woche für zwei Tage in der litauischen Hauptstadt. Zentrales Thema ist der russi

10.07.2023

Weitere Unterstützung für die Ukraine, Abschreckung und Verteidigung gegen Russland: Die Nato will beim Gipfel in Vilnius ein deutliches Signal an Putin senden. Was von dem Treffen wirklich zu erwarten ist, liest du hier.

tafi

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg will, dass von dem zweitägigen Spitzentreffen in Vilnius ein klares Signal an Russlands Präsident Wladimir Putin ausgeht: Der Krieg gegen die Ukraine ist zum Scheitern verurteilt.
  • Thema dürfte zudem die Nato-Beitrittshoffnungen der Ukraine sein. Präsident Wolodymyr Selenskyj wünscht sich eine konkrete Einladung für sein Land – doch die Widerstände sind gross.
  • Aus dem Kreml kommen derweil vorsorglich Drohungen gegen den Westen.

Die Staats- und Regierungschefs der 31 Nato-Staaten treffen sich zu einem zweitägigen Gipfel in der litauischen Hauptstadt Vilnius. Ob der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wie geplant als Gast auftritt, ist unklar.

Selenskyj hatte seine Teilnahme am Nato-Gipfel davon abhängig gemacht, dass die Entscheidung über die Beitrittsperspektive der Ukraine erst dort fällt. «Ich will nicht zum Spass nach Vilnius fahren, wenn die Entscheidung schon vorher gefallen ist», sagte er dem US-Sender ABC.

Was ist vom Nato-Gipfel in Litauen zu erwarten?

Natürlich steht der Gipfel ganz im Zeichen von Putins Krieg gegen die Ukraine.

Kiew hat kurz vor dem Treffen in Vilnius erneut eine klare Beitrittsperspektive von der Militärallianz gefordert. «Die Ukrainer in der Nato sind der Eckpfeiler der Sicherheit in Europa», schrieb der Berater im Präsidentenbüro, Mychajlo Podoljak, auf Twitter. Kiew werde ohne «aber» und bürokratische Hürden Nato-Mitglied. «Bis dahin: noch mehr Technik, noch mehr Granaten, noch mehr Waffen», forderte Podoljak.

Die Forderung nach mehr Unterstützung mit militärischem Gerät und Munition könnte erfüllt werden. Zuletzt hatten die USA die Lieferung von Streumunition angekündigt.

Wird zumindest Schweden endlich in die Nato aufgenommen?

Eigentlich hatten sich alle Nato-Staaten schon beim Gipfel in Madrid im Juni 2022 für den Beitritt Schwedens und Finnlands ausgesprochen. Während Finnland bereits Nato-Mitgleid ist, haben die Türkei und Ungarn die schwedische Beitrittsakte aber bisher nicht ratifiziert.

Laut seiner letzten Forderungen, scheint es derzeit unwahrscheinlich, dass der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan dem Nato-Beitritt Schwedens zustimmen wird.

Erdogan hatte kurz vor Beginn des Gipfels überraschend eine neue Bedingung gestellt: Erst wenn die EU die Beitrittsgespräche mit der Türkei wieder aufnimmt, könne der Weg für Schwedens Nato-Beitritt freigemacht werden.

Die letzten Hoffnungen ruhen nun auf einem Vermittlungstreffen zwischen dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan und dem schwedischen Regierungschef Ulf Kristersson, das am Rande des Nato-Gipfels in Vilnius anberaumt wurde.

Kann sich die Ukraine noch Hoffnungen auf einen baldigen Nato-Beitritt machen?

Eher nicht. Schon Mitte Juni hatte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg klargestellt: «Wir werden bei dem Gipfel in Vilnius nicht über eine Einladung diskutieren.» Vor allem die USA und Deutschland sind zum jetzigen Zeitpunkt gegen einen Nato-Beitritt der Ukraine. Nach Ansicht der deutschen Bundesregierung verbietet sich die Aufnahme eines Landes, das sich im Krieg befindet.

Die 31 Nato-Staaten können eine solche Einladung nur einstimmig aussprechen. Laut Stoltenberg haben die Nato-Mitgliedstaaten bis zum Vorabend des Gipfels noch keine endgültige Entscheidung über die Beitrittsperspektive der Ukraine getroffen. Konsultationen über die Bedingungen für den Weg der Ukraine zur Nato-Mitgliedschaft seien weiterhin im Gange.

Welche Unterstützung könnte die Nato für die Ukraine beschliessen?

Die Militärallianz will mit Kiew künftig «auf Augenhöhe» über Fragen der transatlantischen Sicherheit verhandeln. Dafür kommt in Vilnius erstmals ein Nato-Ukraine-Rat mit Volodymyr Selenskyj, so er denn anreist, und den 31 Nato-Spitzen zusammen. Mit Russland hatte die Nato bis zum Beginn des russischen Angriffskriegs übrigens ein ähnliches Gremium.

Zudem will die Nato ein mehrjähriges Hilfsprogramm für die Ukraine beschliessen. Ziel ist es, die «vollständige Interoperabilität zwischen den ukrainischen Streitkräften und der Nato zu gewährleisten», wie Generalsekretär Jens Stoltenberg sagt. Die Nato will Kiew dabei helfen, sowjetische Militärtechnik durch moderne Nato-Technik zu ersetzen. Das Programm ist vorerst allerdings lediglich mit 500 Millionen Euro dotiert.

Immerhin will Deutschland der Ukraine beim Nato-Gipfel weitere Waffenlieferungen in grösserem Umfang zusagen. Es werde dort «sehr substanzielle» Ankündigungen geben, hiess es am Montag aus Regierungskreisen in Berlin. Zuletzt hatte der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz der Ukraine anlässlich des Besuchs des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj ein Waffenpaket im Wert von 2,7 Milliarden Euro zugesagt.

Müsste die Nato noch mehr für die Ukraine tun?

«Es ist wichtig, dass die Ukraine ganz klare Sicherheitsgarantien erhält. Dazu zählt auch, dass die militärische und zivile Unterstützung für die Ukraine aufgestockt wird», fordert der deutsche Verteidgungsexperte Roderich Kiesewetter in der Tageszeitung «taz».

Laut dem Oberst a.D. sei es fatal, «dass wir durch Verzögerung und Blockade bei Waffenlieferungen fast ein Jahr verloren haben.» Dies habe Russland genutzt, um sich einzugraben und breite Frontabschnitte zu verminen. Diese Erkenntnis müsse laut Kiesewetter einhergehen mit dem klaren Appel, «mehr weitreichende Waffen und Munition zu senden, alles, was wir selbst auch verwenden würden.»

Kippt die Nato Einschränkungen bei Waffensystemen?

Danach sieht es im Moment nicht aus. So wünscht sich die Ukraine seit längerem Marschflugkörper, um Stellungen der russischen Streitkräfte in der Ukraine weit hinter der Frontlinie angreifen zu können. Doch diesbezüglich geben sich viele Nato-Staaten, unter anderem die USA und Deutschland, zurückhaltend, weil die Geschosse auch russisches Territorium erreichen können.

In Berlin hiess es, dass etwa die Marschflugkörper Taurus mit einer Reichweite von 500 Kilometern, derzeit kein Thema seien. «Es gibt keine Neuigkeiten zu vermelden, was Taurus angeht», hiess es aus den Regierungskreisen. Die Ukraine hatten eine entsprechende Lieferung bereits im Mai beantragt.

Was bedeutet Joe Bidens Schutzversprechen nach israelischem Vorbild für die Ukraine?

Washington denkt bereits an die Zeit nach dem russischen Angriffskrieg – und darüber nach, wie die Ukraine auch ohne Nato-Mitgliedschaft vor einer weiteren Aggression geschützt werden kann.

Der Schutz der Ukraine soll nach Vorstellung der US-Regierung langfristig durch Sicherheitszusagen einzelner Länder gewährleistet werden. So seien die USA etwa bereit, der Ukraine verschiedene Formen der militärischen Unterstützung bereitzustellen, Geheimdienstinformationen mit ihr zu teilen und Cyberunterstützung zu leisten, damit sie sich selbst verteidigen und zukünftige Aggressionen abwehren könne, sagte der nationale Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden, Jake Sullivan, am Sonntag (Ortszeit).

Die USA seien bereit, der Ukraine nach einem Ende des russischen Angriffskrieges einen ähnlichen Schutz zu bieten wie Israel, hatte Biden selbst in einem am Sonntag veröffentlichten CNN-Interview gesagt. Sullivan erläuterte an Bord der Präsidentenmaschine auf dem Weg nach London dazu: «Das Konzept sieht vor, dass die Vereinigten Staaten zusammen mit anderen Verbündeten und Partnern innerhalb eines multilateralen Rahmens bilaterale Sicherheitsverpflichtungen mit der Ukraine auf lange Sicht aushandeln.»

Was sagt eigentlich Putin zum Nato-Gipfel?

Der Kreml droht, das war für Beobachter nicht anders zu erwarten, mit markigen Worten.  Ein Nato-Beitritt der Ukraine würde von russischer Seite eine «ziemlich harte und verständliche Reaktion erfordern», sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Montag in Moskau russischen Nachrichtenagenturen zufolge.

Ein solcher Schritt würde «sehr negative Folgen für die gesamte und ohnehin schon halbzerstörte Sicherheitsarchitektur Europas haben und eine absolute Gefahr und Bedrohung für unser Land darstellen», fügte Peskow hinzu.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wirbt weiterhin für eine Nato-Mitgliedschaft seines Landes.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wirbt weiterhin für eine Nato-Mitgliedschaft seines Landes.
Valentina Petrova/AP/dpa