Vier Punkte, die Moskau wehtunDie Nato-Norderweiterung wird zu Putins grösster Schmach
Von Philipp Dahm
21.5.2022
Biden: Schweden und Finnland «erfüllen alle Nato-Anforderungen»
US-Präsident Joe Biden hat mit klaren Worten für eine Aufnahme Finnlands und Schwedens in die Nato geworben. Beide Ländern würden «alle Voraussetzungen» für eine Nato-Mitgliedschaft erfüllen, sagte Biden bei einem Besuch der schwedischen Regierung
19.05.2022
Anstatt die Kontaktlinie zur Nato zu verkürzen, wird sich diese mit dem Nato-Beitritt Schwedens und Finnlands verdoppeln. Die Länder bringen modernstes Gerät ein und bedrohen die wichtige russische Halbinsel Kola.
Von Philipp Dahm
21.05.2022, 00:00
21.05.2022, 11:12
Philipp Dahm
Eigentlich wollte Wladimir Putin die Nato zurückdrängen und die gesamte Osterweiterung rückgängig machen: Wenn es nach dem Kreml-Chef gegangen wäre, hätte sich das Bündnis auf jene Partner beschränkt, die bis 1997 an Bord waren – also noch bevor 1999 Polen, Tschechien und Ungarn aufgenommen worden sind.
Putin hat strategische Gründe für diese Forderung. Doch erreicht hat er das genaue Gegenteil: Was sich gerade sicherheitspolitisch in Europa anbahnt, ist nichts weniger als ein Alptraum für den 69-Jährigen und seine Generäle. Der geplante Nato-Beitritt Schwedens und Finnlands ist für Moskau aus mehreren Gründen ein militärischer GAU.
Die Aufnahme ist zwar noch nicht in trockenen Tüchern: Nach wie vor sperrt sich die Türkei gegen den Beitritt, weil Präsident Recep Tayyib Erdogan die Kurden-Politik von Stockholm und Helsinki missfällt – obwohl zum Beispiel auch die USA die syrischen Kurden unterstützen, die in der YPG zusammenkommen. Doch es wird auch Washington sein, das sein politisches Gewicht einsetzen wird, um die Türkei auf Kurs zu bringen.
Der Grund ist einfach: Für die Nato ist der geplante Zuwachs ein echter Glücksfall, wie die folgenden 4 Punkte zeigen werden. Diplomatisch ist in die Sache bereits Bewegung gekommen: Finnlands Präsident Sauli Niinisto hat etwa gerade betont, dass sein Land sich als Nato-Mitglied auch der Sicherheit der Türkei verpflichtet fühlen würde.
Verlust der Ostsee und der baltischen Flotte
Russland schwimmt nicht gerade in Häfen, die ganzjährig eisfrei sind. Murmansk im skandinavischen Teil des Landes ist einer davon, und der Hafen von Sewastopol auf der Krim ist genau deshalb 2014 einverleibt worden. Und dann wären da noch die Städte, die an der Ostsee liegen: St. Petersburg, Kaliningrad sowie die Orte Primorsk, Wyssozk und Ust-Luga.
Das Problem für Putins Admiräle: Mit einem Beitritt von Schweden und Finnland wird die Ostsee zur Badewanne der Nato. Die baltische Flotte wird das Meer nur noch auf einer schmalen Linie durchfahren können, die die nationalen Gewässer der Nato-Partner voneinander abtrennt. Aus dieser Lage heraus beispielsweise U-Boote unentdeckt zur Nordsee und weiter in den Atlantik zu führen, wird zur Unmöglichkeit.
Die baltische Flotte, der älteste Teil der russischen Marine, steht in diesem Nato-See mit dem Rücken zur Wand. Nicht einmal im Hafen von St. Petersburg wären die Schiffe im Fall eines Konflikts mit der Nato sicher, weil der in Reichweite von Artillerie liegen würde, wenn Finnland zur Nato gehörte. Die Verteidigung der Exklave Kaliningrad ist in diesem Umfeld ebenfalls deutlich schwieriger.
Bedrohung der Halbinsel Kola
Die Halbinsel Kola ist militärisch für Moskau von höchster Bedeutung. Hier liegt mit Murmansk nicht nur einer der wichtigsten Häfen des Landes, sondern in Seweromorsk auch das Hauptquartier der Nordmeerflotte, das mit der Erwärmung des Arktischen Meers noch an Bedeutung gewinnen wird. Hier stehen gleich mehrere Abschussvorrichtungen für atomare Interkontinentalraketen.
Gleichzeitig sind in dieser Gegend viele Flughäfen verstreut, die die taktische Bomberflotte der russischen Luftwaffe beherbergen: Hier sind Jets wie die Mig-31 Foxhound, die Tu-160 Blackjack, die Tu-22M Backfire oder die Tu-95 Bear stationiert. Es ist kein Wunder, dass sich Moskau bisher auf der Halbinsel nicht gern hat in die Karten schauen lassen. Das zeigt sich am nördlichen Grenzposten OP 247 in Norwegen an der Grenze zu Russland, wo die Nato einen Horchposten errichtet hat.
Der «ärgert die Russen offensichtlich sehr», sagte vor drei Jahren Captain Sigurd Harsheim von der Grenztruppe dem «National Public Radio». «Im Grunde genommen hat man eine gute Kontrolle über die gesamte Barentssee und alles drum herum. Ich denke, sie sind auch irritiert, weil [das Radar] aus den USA kommt.» Die Kola-Halbinsel ist nicht nur als Heimat der Atom-U-Botte interessant, sondern beherbergt auch Spetsnaz-Spezialeinheiten der Marine und diverse Testgelände für neue Waffen.
Verdoppelung der Kontaktlinie
Die Kontaktlinie zur Nato hat Wladimir Putin nicht verkleinert, was er sich vor dem Ausbruch des Krieges zum Ziel gemacht hat, sondern verdoppelt: 1300 Kilometer misst die Grenze zu Finnland. Und dieses Gebiet militärisch zu sichern, wird den Kreml jede Menge Geld kosten, weil hier deutlich mehr Soldaten stationiert werden müssen.
Warum? Nachdem deutlich geworden sein sollte, wie wichtig die Halbinsel Kola nicht nur militärisch, sondern wegen des Hafens von Murmansk auch wirtschaftlich ist, kommt nun das Dilemma für Moskau: Die Region wird nur durch eine Bahnlinie und eine Autobahn mit dem Rest des Landes verbunden. Die Murmanbahn und die Europastrasse E-105 ziehen sich von Murmansk 700 Kilometer durch dichte Wälder nach Süden, bis sie sich teilen.
Dieser Umstand muss für Militärs nach den Lehren aus dem Krieg in der Ukraine der reine Horror sein. Dort hat sich gezeigt, wie anfällig Konvois für Angriffe in so einem Gelände sind. Infanteristen und Spezialeinheiten können sich in den Wäldern mühelos verstecken, um Attacken gegen die Nachschublinien durchzuführen. Ohne ausreichend Kasernen, deren Bau bereits angekündigt worden ist, ist das Gebiet nicht zu verteidigen.
Nato gewinnt Qualität und Quantität
Schweden und Finnland kooperieren seit Jahren im Rahmen der Partnerschaft für den Frieden mit der Nato. Die Integration in das Bündnis ist deswegen, aber auch wegen der westlichen Waffen, die etwa Finnland im Arsenal hat, kein Problem für die Militärs aller beteiligten Seiten. Und das Gerät, das da zugeführt werden wird, kann sich sehen lassen.
Die finnische Luftwaffe verfügt über 55 Jets vom Typ F/A-18C Hornet, für die vor allem auch jede Menge moderner Munition wie lasergelenkte Bomben beschafft worden sind. Sie werden durch 64 F-35A Lightning ersetzt, die ab 2026 ausgeliefert werden sollen. Schweden ergänzt das Portfolio mit 71 Jas-39 Gripen, die als günstiger Waffenträger die ideale Ergänzung zur F-35 bildet.
Auch am Boden bringen die neuen jede Menge Schlagkraft mit: Helsinki hat im letzten Jahrzehnt seine Panzertruppe auf rund 200 Leopard 2verdoppelt, von denen 100 auf die Version Leopard 2A6 modernisiert worden sind. Schweden steuert 120 Stridsvagn 122 bei, die auf dem Leopard 2 basieren. Die beiden Länder toppen damit den Bestand deutscher Panzer, der bei rund 266 Leopard 2 liegen soll.
Auch bei der Artillerie hat Helsinki einiges vorzuweisen: Rund 700 Geschütze, 700 Mörser und 100 Mehrfach-Raketenwerfer machen Finnland auf diesem Gebiet zu einer Macht. Schweden kann 600 Mörser und einige Artillerie-Systeme beisteuern. Apropos: Finnland selbst ist auf solche Angriffe übrigens sehr gut vorbereitet: Wie in der Schweiz müssen Neubauten ab einer bestimmten Grösse mit Bunker versehen werden.
Zum – für Putin – schlechten Schluss noch ein Blick auf die Grösse der Armeen: Finnland hat mit einem aktiven Personal von 23'000 Soldat*innen nur 1000 Mitglieder weniger als die schwedische Armee. Doch in Finnland herrscht Wehrpflicht: Im Kriegsfall steht eine Reserve von rund 900'000 Personen bereit.