Late Night USAWenn Trump deinen trockenen Januar schon am 6. beendet
Von Philipp Dahm
7.1.2022
Was sagt die Late-Night-Garde zum 6. Januar? Nicht viel – wegen Ferien und Corona-Fällen bei Meyers und Corden. Stephen Colbert hat die Bühne also für sich allein – und liefert mit seiner «Late Show» bissig ab.
Von Philipp Dahm
07.01.2022, 17:22
08.01.2022, 12:49
Philipp Dahm
Der Sturm aufs Kapitol am 6. Januar 2021 ist ein bedeutendes Datum in der Geschichtsschreibung jüngerer amerikanischer Politik. Die Zuschauer der US-Late-Night-Shows dürften also nicht weniger als ein Feuerwerk des Zynismus, der Satire und nicht zuletzt eine Abrechnung erwarten. Oder?
Das Datum steht unter einem schlechten Stern – auch 2022.
Lästermaul Jimmy Kimmel? Der ist nach den Weihnachtsferien noch im TV-Winterschlaf. Und Seth Meyers, der vielleicht Intellektuellste der Late-Night-Hosts? Dem hat Covid einen Maulkorb verpasst. Auch von James Corden ist keine Vendetta zu erwarten: Der Brite ist ebenfalls offline, ebenfalls wegen Corona.
Wer also bleibt übrig, um die Last zu tragen? Einerseits natürlich Jimmy Fallon – doch wer hört, dass der Moderator der «Tonight Show» Joe Biden bei seiner Rede zum 6. Januar mit einem «Schuldirektor» vergleicht, der mit seinen Schützlingen schimpft, ahnt, dass dessen Performance mal wieder nicht ausreicht, um hier weiter gewürdigt zu werden.
Beweis im Bewegbild: Darum kommt Jimmy Fallon so selten in dieser Kolumne vor.
Der beste Spruch, den er Biden in den Mund legt, ist noch: «Ich hätte [Trump] eine Direct Message geschickt, aber ich konnte [ihn] auf Twitter nicht finden.» Das heisst, unsere letzte Bastion ist Stephen Colbert mit seiner «Late Show».
Komödie Tragödie
«Die Sache an jenem Tag, an die ich mich erinnere, ist, wie schockiert ich von dieser grotesken Tragödie war», erklärt Colbert zum Auftakt seiner Sendung. Der Monolog über das erwartete normale Prozedere zur Bestätigung der Wahl hatte das Team bereits geschrieben.
«Und ich wünschte wirklich, wir hätten die Chance gehabt, diesen Monolog zu bringen», meint der Gastgeber. «Denn jeder, der in der Comedy arbeitet, weiss, dass nichts die Menge mehr erfreut als Witze über Bestätigungsprozedere. Und davon hatten wir einige!»
An jenem Tag war Stephen Colbert noch zu Hause und setzte sich von dort via Zoom mit seinen Autoren zusammen, um an dem Monolog zu arbeiten, als ihn auf dem Handy immer mehr Nachrichten zu den Geschehnissen in Washington erreichten.
«... dessen alkoholfreier Januar ziemlich feucht werden wird»
Colbert denkt zurück: «Wir so: ‹Stört uns nicht, wir schreiben am heutigen Script.› Und sie so: ‹Ähm, nein. Nein, ich glaube, wir können das Script für heute Abend jetzt gerade sehen.›» Als der Mob schliesslich die Absperrungen durchbrach, hielt Colberts Team inne und schaltete die Nachrichten an.
Es ist einem Mitarbeitenden zu verdanken, dass sie oder er in diesem Moment einen Screenshot gemacht hat, der Stephen Colberts Reaktion auf das festhält, was sich seinem Team und ihm gezeigt hat:
Colberts Kommentar: «Das ist das Bild von jemandem, dessen alkoholfreier Januar ziemlich feucht werden wird.» Unter Gelächter fügt er an: «Der Witz basiert auf einer wahren Geschichte.»
Live-Show? Werbekunden kneifen
Spätestens in diesem Moment sei klar gewesen, dass das bisherige Script für die Show gegessen ist. Colbert hat sich auf den Weg nach New York gemacht, und ales er im Ed Sullivan Theatre am Broadway eingetroffen ist, habe ihm sein Produzent vorgeschlagen, eine Live-Show zu machen.
«Nach einer Stunde hiess es: Alle Werbekunden sind abgesprungen», erzählt Colbert weiter. Sein Produzent sagt ihm, die Kamera werde ihn deshalb während einer Stunde nicht einmal aus dem Auge lassen. «Ich antwortete: Fantastisch!»
Auch Joe Biden habe jenen Tag nicht vergessen, leitet Colbert zur Rede des US-Präsidenten über. Der sagt in seiner TV-Ansprache: «Schliesst eure Augen. Erinnert euch an den Tag zurück. Was seht ihr?» Colbert schliesst die Augen ...
... und antwortet: «Bourbon.»
«Ich prügel' die Defäkation aus dir heraus!»
Dann spielt die «Late Show» Passagen aus Bidens Rede ein, der seinen Vorgänger angreift, der am 6. Januar 2021 erst den «Mob zum Angriff aufgestachelt» habe, um dann «in seinem privaten Esszimmer im Oval Office zu sitzen, alles im TV zu schauen und über Stunden nichts zu unternehmen».
«Biden spricht über Wahllügen, Eigeninteressen, die über jene Amerikas gestellt würden, und die Verfassung. «Er kann nicht akzeptieren, dass er verloren hat», kritisiert Biden seinen Vorgänger. Der 6. Januar bedeute nicht das Ende der Demokratie, wünscht sich der 79-Jährige, sondern vielmehr einen Beginn der Renaissance von Freiheit und Fairplay.»
«Ich habe den Kampf nicht gesucht, der vor einem Jahr in diese Hauptstadt getragen worden ist, aber ich werde ihm auch nicht ausweichen», schliesst Biden. Colbert setzt die Ray-Ban Aviator auf, die typisch für den Präsidenten ist ...
... und hebt die Fäuste: «Sag ‹Hallo› zu meinen beiden Freunden«, parodiert er: «Freiheit und Fairplay. Ich prügel' die Defäkation aus dir heraus!»
Reaktion eines Siebenjährigen
Was bei Bidens Rede auffällt: Der Demokrat nimmt Donald Trumps Namen nicht ein Mal in den Mund, was sich der Politiker bei der Late-Night-Show abgeschaut haben könnte. Auch Colbert nennt Trump nicht mehr beim Namen, sondern ersetzt ihn mit kreativen Umschreibungen, die ihm seine Zuschauer per Twitter-Hashtag #HeWhoShallBeNamed zuschicken.
Ein Best-of-Video der bisherigen #HeWhoShallBeNamed-Ergüsse.
An diese Tradition knüpft Colbert insofern an, als dass er Trumps schriftliche Reaktion auf Bidens Rede von einem Siebenjährigen vortragen lässt – zu sehen ab Minute 7:45. Die Quintessenz: «Biden hat heute meinen Namen benutzt, um zu versuchen, Amerika weiterzuspalten.»
«Nein, hat er nicht», erregt sich Colbert: «Er hat deinen Namen nicht ein Mal benutzt, du Dumpfbacke!» Der folgende Zusammenschnitt beweist nochmals, dass Bidens stets vom former president gesprochen hat – was auch wirklich ohrenfällig war. Zu guter Letzt unterstreicht Biden zu Colberts hämischer Freude: «Er ist nicht nur ein früherer Präsident. Er ist ein früherer Präsident, der verloren hat.»
Late Night USA – Amerika verstehen
blue News
50 Staaten, 330 Millionen Menschen und noch mehr Meinungen: Wie soll man «Amerika verstehen»? Wer den Überblick behalten will, ohne dabei aufzulaufen, braucht einen Leuchtturm. Die Late-Night-Stars bieten eine der besten Navigationshilfen: Sie sind die perfekten Lotsen, die unbarmherzig Untiefen bei Land und Leuten benennen, und dienen unserem Autor Philipp Dahm als Komik-Kompass für die Befindlichkeit der amerikanischen Seele.