Late Night USA Für eine Handvoll Dollar gehen diese Lehrer*innen auf die Knie

Von Philipp Dahm

16.12.2021

Neulich in Sioux Falls, South Dakota: Lehrer*innen gehen für Geld zu Boden.
Neulich in Sioux Falls, South Dakota: Lehrer*innen gehen für Geld zu Boden.
Screenshot:  YouTube

Es ist eine unwürdige Szene: Unter dem Johlen von Eishockey-Fans in den USA versuchen zehn Lehrer*innen, sich auf dem Eis so viele Dollar wie möglich zu greifen. Die Szene sorgt für Wut und Empörung.

Von Philipp Dahm

Ein Freund aus Amerika meldet sich. «Merica? Fuck, yeah», schreibt er im Slang zum «CNN»-Link. Die Story heisst: «‹Ist das Amerika?› Lehrer*innen fallen für eine Handvoll Cash auf die Knie». Es geht um Schulen, Dollar und eine Sport-Veranstaltung, aber so ganz schlau werde ich aus der Story nicht.

Wie gut, dass es die Late-Night-Shows gibt, die erklären, wie der Hase läuft. «Kommen wir nun zu einer Geschichte über die beiden gewalttätigsten Sportarten in Amerika: Eishockey und Kapitalismus», beginnt Trevor Noah in seiner «Daily Show» den Bericht. Und weiter: «Jeder weiss, dass Lehrer*innen in den USA unterbezahlt sind.»

Dann kommt Noah auf des Pudels Kern zu sprechen: «Aber wirklich verrückt ist, dass Lehrer*innen oft ihr eigenes Geld aufwenden müssen, um Unterrichtszubehör zu kaufen», erläutert der Sohn einer Südafrikanerin und eines Schweizers.

Dash for Cash

Noah: «Das muss man bei keinem anderen Job machen. Und als wäre es nicht schlimm genug, dass Lehrer*innen ihren Schülern Unterrichtsmaterial kaufen müssen, hat nun ein Eishockey-Team aus South Dakota einen Weg gefunden, es noch übler zu machen.»

Mit Speck fängt man Mäuse – mit Dollar-Scheinen bringt man Lehrer*innen dazu, sich zu blamieren.
Mit Speck fängt man Mäuse – mit Dollar-Scheinen bringt man Lehrer*innen dazu, sich zu blamieren.
Screenshot: YouTube

Zu sehen ist das Ganze ab Minute 5:36. Da knien zehn Lehrer*innen in einer Spielpause auf dem Eis und stopfen sich Noten in ihre Pullover. Das Spiel heisst Dash for Cash, also Flitzen für Kohle: Es gilt, so viel Scheine zu greifen, wie man kann. Das Team namens Sioux Falls Stampede hat die Chose am Samstag veranstaltet, damit die Teilnehmer Unterrichtsmaterial kaufen können.

«Wie auch immer, viele fanden es falsch, Lehrer*innen um Geld kämpfen zu lassen», sagt dazu die Nachrichtensprecherin. «Einige verglichen das Ganze sogar mit der Netflix-Serie ‹Squid Game›.» Dabei habe das eine mit dem anderen wenig zu tun, findet Noah: «Bei ‹Squid Game› kann man das Geld wenigstens behalten», lästert er. «Diese Lehrer*innen entwürdigen sich, um Schulbücher zu bezahlen, die noch nicht mal Sklaverei behandeln.»

Man hätte ihnen das Geld auch direkt geben können

Das Ganze sei hochgradig deprimierend, meint der Moderator – auch wenn er ein Stück weit Verständnis hat. «Ich verstehe schon, dass sie den lokalen Lehrer*innen nur helfen wollten, die Geld für das Material brauchen, aber ist ihnen klar, dass man ihnen das Geld einfach hätte geben können? Man muss ihre Bedürfnisse nicht zu unserer Unterhaltung machen.»

Trevor Noah klärt uns darüber auf, dass US-Lehrerinnen selbst für das Unterrichtsmaterial verantwortlich sind.
Trevor Noah klärt uns darüber auf, dass US-Lehrerinnen selbst für das Unterrichtsmaterial verantwortlich sind.
Screenshot: YouTube
Late Night USA – Amerika verstehen
blue News

50 Staaten, 330 Millionen Menschen und noch mehr Meinungen: Wie soll man «Amerika verstehen»? Wer den Überblick behalten will, ohne dabei aufzulaufen, braucht einen Leuchtturm. Die Late-Night-Stars bieten eine der besten Navigationshilfen: Sie sind die perfekten Lotsen, die unbarmherzig Untiefen bei Land und Leuten benennen, und dienen unserem Autor Philipp Dahm als Komik-Kompass für die Befindlichkeit der amerikanischen Seele.

Der Vorgang zeige bloss, dass Bildung keinen grossen Stellenwert im Land habe. «Immerhin prügeln sich Lehrer*innen hier um Dollar-Scheine, während das Verteidigungsbudget dieses Landes bei über einer halben Billion Dollar jährlich liegt.» Warum veranstalten jene Auftragsnehmer kein Wrestling um das Geld, fragt Noah? Zumal es widersinnig sei, dass die Lehrenden das Geld nicht zum Start des Schuljahres bekommen hätten.

Die Aktion hat – auch wenn sie gut gemeint war – einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Vor allem auf Social Media verschafften sich viele User ihrer Wut Luft. Der treffendste Kommentar kam aber vielleicht von einem Freund des Amerikaners und mir. Der kommentierte das Ganze so: «Wenn ich einen dystopischen Film über den Verfall von Bildung, Anstand und Würde drehen wollte, wäre das eine gute Szene, um das darzustellen.»