Late Night USA«Stoppt das Gelaber über die Älteren, die den Planeten zerstört haben»
Von Philipp Dahm
9.11.2021
Greta Thunberg mag Prinzipien haben, doch sie steht nicht für eine ganze Generation, meint Late-Night-Host Bill Maher. Die «Klimajugend» sei vor allem auf Konsum aus, was auch in der Schweiz kaum zu leugnen ist.
Von Philipp Dahm
09.11.2021, 00:00
09.11.2021, 15:13
Philipp Dahm
Die UNO-Klimakonferenz in Glasgow beschäftigt auch Bill Maher. «Greta Thunberg hat der Welt wieder einmal gezeigt, dass sie das Gewissen ihrer Generation ist», beginnt der Moderator seine HBO-Sendung «Real Time». «Jemand sollte ihr sagen: Du bist vielleicht das Gewissen jener Generation, aber du repräsentierst sie nicht.»
Gegen die schwedische Aktivistin selbst hat der 65-Jährige gar nichts: «Ich wünschte wirklich, du tätest das, Greta, aber du tust es nicht.» Doch er könne der 18-Jährigen jemanden nennen. «Greta, du hast 14 Millionen Follower auf Instagram, was grossartig ist. Aber Kylie Jenner hat 279 Millionen, was ... mehr ist.»
Wer ist denn nun der wahre Influencer dieser Generation, fragt Maher: «Die vorbildliche Bürgerin oder das Model? Die junge Frau, die es ablehnt, zu fliegen, oder die junge Frau, die es ablehnt, Linienflüge zu nehmen? Verstehst du, was ich sage? Greta kommt ans Ziel in einem Segelboot, das von Wind angetrieben wird. Kylie nimmt einen Privatjet, der von [Öl-Riese] Exxon angetrieben wird.»
Er habe nichts gegen Spass oder Komfort, versichert Maher. «Und eins muss man Kylie lassen: Sie hat ein massives Business-Imperium aufgebaut, ohne je ein Sex-Tape zu veröffentlichen.» Kim Kardashian und Paris Hilton lassen grüssen. «Und wie ihr Vater ist sie eine Selfmade-Frau», setzt Maher mit Blick auf Bruce Jenner alias Caitlyn Jenner noch einen drauf.
«Greta würde das nicht gut finden»
Kylie Jenner pflege einen Lebensstil, der das komplette Gegenteil von emissionsfrei sei. «Und die jüngeren Generationen lieben es: Letzte Woche hat Kylie zur Video-Tour durch ihren Schuhschrank geladen, in dem weit über 1000 Paare stehen. Ausserdem hat sie ganze Räume voller Kleidung, die sie nur einmal getragen hat. Ich glaube, Greta würde das nicht gut finden.»
In Umfragen würden die Jungen stets behaupten, sie sorgten sich mehr um die Umwelt als andere. «Aber die handeln nicht so», ergänzt Maher und grinst dabei süffisant. «Sie werfen mit Begriffen wie ‹nachhaltig› um sich, aber einer ihrer beliebtesten YouTuber ist Mr. Beast, der für Aktionen bekannt ist wie ‹Ich habe meinem 40-millionsten Follower 40 Autos geschenkt›. Jason Derulo hat seinen 22-millionsten Follower gefeiert, indem er 22 Hamburger ass.»
Die Diskrepanz zwischen Konsum und Anspruch sei «atemberaubend», so der New Yorker. «Junge Leute sind derart von Marken besessen, dass ehrbare Modemarken wie Balenciaga nicht mehr Couture an reiche Frauen verkaufen, sondern Teenagern Baseball-Caps. Und wo bekommt eine Mittzwanzigerin 400 Dollar für eine Mütze her, die sich an das Logo [des betagten demokratischen Senators] Bernie Sanders anlehnt?»
«Liken, Folgen und Anmelden verbraucht fossile Energie»
Maher kommt in Fahrt. «Natürlich von Mami und Papi, den grossen Arschlöchern, die den Planeten ruinieren. Oder durch den Handel mit Bitcoin, deren Förderung schlechter für die Umwelt ist als echte Förderanlagen. Kryptowährungen verbrauchen mehr Energie als Netflix, Apple, Facebook, Microsoft und Google zusammen.»
94 Prozent der entsprechenden Käufer kämen aus der Gruppe der Generation Z oder der Millennials. «Wenn ihr dann singt, wir sollten den Planeten über Profit stellen, klingt das ein wenig hohl.» Die Angesprochenen würden sich damit verteidigen, dass Kryptowährungen jetzt zwar noch zu viel Energie verbrauchen, aber in Zukunft nicht mehr.
«Dasselbe hat meine Generation gesagt: ‹Lasst die anderen das in der Zukunft lösen. Ich hole mir jetzt, was mir zusteht.› Doch wie Bitcoin tragen auch Smartphones zu den CO2-Emissionen bei, weil die Cloud natürlich echt keine Wolke ist, sondern ein riesiges Netzwerk von Servern, die Energie verbrauchen. Und das ganze Liken, Folgen und Anmelden verbraucht viel fossile Energie.»
Finger oder Handy?
Doch wer unter 30 Jahre alt ist, werde gewiss nicht aufs Handy verzichten, weiss der Late-Night-Host: Eine Umfrage habe einst ergeben, dass 43 Prozent der Generation Z und der Millennials das Handy abgeben würden. Aber nur im Tausch gegen fünf Millionen Dollar. «Und zehn Prozent haben gesagt, sie würden eher einen Finger hergeben als ihr Handy: Das schreit nach einem High Four.»
Late Night USA – Amerika verstehen
Blue News
50 Staaten, 330 Millionen Menschen und noch mehr Meinungen: Wie soll man «Amerika verstehen»? Wer den Überblick behalten will, ohne dabei aufzulaufen, braucht einen Leuchtturm. Die Late-Night-Stars bieten eine der besten Navigationshilfen: Sie sind die perfekten Lotsen, die unbarmherzig Untiefen bei Land und Leuten benennen, und dienen unserem Autor Philipp Dahm als Komik-Kompass für die Befindlichkeit der amerikanischen Seele.
Man könne nicht wie Kylie Jenner leben und auch das Klima retten wollen. «Kids, ihr müsst euch entscheiden: Wollt ihr progressiv oder exzessiv sein? Team drastisch oder Team Plastik? Wenn Kylies Lifestyle uncool und unbeliebt wird, wenn ihr aufhört, Bitcoin zu lieben und aufhört zu denken, es sei harmlos, das Gesicht [aufzuspritzen], nehme ich euch ernst. Aber bis dahin: Stoppt das f*cking Gelaber über die Älteren, die den Planeten zerstört haben.»
Nach grossem Applaus fährt Maher fort: «Wir haben es verstanden. Wir Boomer haben die Umwelt fallengelassen – wie eine heisse Kartoffel. Und dazu kann ich nur sagen: Whoops. Ja, stimmt, haben wir gemacht. Aber habt ihr sie wieder aufgehoben? Ich wünschte, eure Generation wäre besser als meine. Das tue ich wirklich.»
Und was ist mit der Schweiz?
Mahers Quintessenz: «Die traurige Wahrheit ist: Wir sind total gleich. Viel Gelaber, aber am Ende des Tages sind wir hoffnungslos verführt und süchtig danach, uns mit Bequemlichkeit, Luxus und Verbrauch vollzustopfen.»
Nun sind die USA ja nicht die Schweiz: Das Verhältnis der Follower von Thunberg und Jenner dürfte hierzulande nicht ganz so krass ausfallen – und bei den beliebtesten Instagramern findet sich auch ein Tierschützer oder ein Kunst-Kanal (siehe unten). Doch auch bei uns klafft eine Lücke zwischen Anspruch und Realität, hat gerade ein 23 Jahre alter Autor im Magazin des «Tages-Anzeigers» geschrieben.
Finn Schlichenmaier beschreibt, wie sich ein Pulk von Jugendlichen stundenlang vor einem Schuhgeschäft im Zürcher Niederdorf drängt, weil dort der Release eines neuen, limitierten Turnschuhs ansteht. Kostenpunkt: 270 Franken. «Das ist keine Klimajugend, sondern eine Konsumjugend, die da heranwächst», urteilt er und gibt zu: «Für Ökologie habe ich mich, als ich noch im Social-Media-Universum lebte, nicht interessiert.»