Alarmstimmung in Israel Wegen «Feigling» Netanjahu sind die Generäle zunehmend gereizt 

Von Andreas Fischer

24.10.2023

Israel weckt Zweifel an bevorstehender Bodenoffensive in Gaza

Israel weckt Zweifel an bevorstehender Bodenoffensive in Gaza

STORY: Das israelische Militär will eigenen Angaben zufolge im Gazastreifen nicht unbedingt zu einer Bodenoffensive übergehen. Man bereite sich auf die nächsten Kriegsphasen vor, sagte ein Militärsprecher am Dienstag in Jerusalem. Man habe bisher nicht mitgeteilt, worum es sich handele. Alle würden zwar von einer Bodenoffensive sprechen, es könne aber auch etwas anderes sein. Die humanitäre Lage in Gaza ist angespannt, auch weil Israel das Gebiet kontinuierlich unter Beschuss nimmt. Befürchtet wird, dass eine Bodenoffensive die Lage erheblich verschlimmern würde. Israel hat den Gazastreifen abgeriegelt und die Bevölkerung im Norden aufgefordert, das Gebiet zu verlassen. Dies wurde vor allem in der arabischen Welt scharf kritisiert. Nach Bundeskanzler Scholz am Dienstag wird am Mittwoch auch US-Präsident Joe Biden in Israel erwartet. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu habe zugesichert, er werde einen Plan entwickeln, um humanitäre Hilfe für die Menschen in Gaza zu organisieren, sagte US-Aussenminister Antony Blinken. Möglich wäre dies am Grenzübergang Rafah zwischen dem Gazastreifen und Ägypten, der allerdings nach wie vor geschlossen ist. Auf ägyptischer Seite stehen mittlerweile tonnenweise Hilfsgüter bereit, die Israel aber nicht in den Gazastreifen liefern lässt, weil davon auch die Hamas profitieren könnte. Andererseits haben sich auf Gaza-Seite zahlreiche Doppelstaatler versammelt, um das Gebiet Richtung Ägypten verlassen zu können. Die Regierung in Kairo fürchtet, dass damit auch zahlreiche Palästinenser nach Ägypten flüchten könnten und lässt Einreisen derzeit nicht zu. Irans geistliches und staatliches Oberhaupt Ajatollah Ali Chamenei warf Israel vor, im Gazastreifen einen «Völkermord» zu begehen, der «sofort» beendet werden müsse. Man müsse reagieren auf das, was in Gaza geschehe, sagte Chamenei im staatlichen Fernsehen. Iran gilt als Erzfeind Israels und unterstützt die Hamas. Bei den israelischen Luftangriffen auf Gaza sind seit dem 07. Oktober bislang mehr als 2800 Palästinenser getötet worden, ein Viertel davon Kinder. Etwa die Hälfte der 2,3 Millionen Bewohner des Gazastreifens haben ihr Zuhause verlassen.

18.10.2023

Israels Premierminister Benjamin Netanjahu zeigt sich im Krieg mit der Hamas beratungsresistent und uneinsichtig. Die Bevölkerung straft ihn dafür ab – und das Militär wird immer unzufriedener.

Von Andreas Fischer

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Israels Premierminister Benjamin Netanjahu hat in der Bevölkerung nur noch wenig Rückhalt.
  • 80 Prozent der Israelis meinen, er müsse nach den Terrorangriffen der Hamas die politische Verantwortung für Versäumnisse übernehmen.
  • Doch Netanjahu weigert sich und streitet mit seinen Generälen. Durch den Zwist werden militärische Entscheidungen verzögert, was sich als fatal erweisen kann.

Israel werde alles versuchen, um die Hamas so schnell wie möglich zu zerschlagen, «aber es könnte ein langer Krieg sein». Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu schwört seine Landsleute regelmässig auf einen langwierigen Konflikt mit der militant-islamistischen Terrororganisation ein. So auch beim Besuch des französischen Präsidenten Emmanuel Macron.

Die Hamas hatte am 7. Oktober mehr als 1400 Israelis getötet und mehr als 200 Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Und sie hat mit ihrem brutalen Terrorangriff auch das Selbstbild des Staates Israel zerstört. Dass es so weit kommen konnte, daran ist vor allem ein Mann Schuld, zumindest laut aktuellen Umfragen unter der israelischen Bevölkerung.

80 Prozent der Israelis sind der Meinung, dass Premierminister Benjamin Netanjahu öffentlich die Verantwortung für die schwerwiegenden Versäumnisse übernehmen sollte. Sogar von den Anhängern seiner Likud-Partei stellen sich 69 Prozent gegen Netanjahu. Nur noch 28 Prozent halten ihn überhaupt für das Amt des Regierungschefs geeignet, berichtet «The Times of Israel». 

Fehler machen nur die anderen

So überwältigend die Ablehnung beim Volk ist, so standhaft weigert sich Benjamin Netanjahu bislang, Fehler einzugestehen. Im Gegenteil. Netanjahu, so heisst es aus Regierungskreisen, schiebt anderen den Schwarzen Peter zu: vor allem Verteidigungsminister Yoav Galant und Armeechef Herzi Halevi. Die beiden hatten sich freilich schon kurz nach dem Terrorangriff für Versäumnisse entschuldigt.

Mit seinen Intrigen und Versäumnissen zieht Netanjahu nicht nur den Zorn der Bevölkerung auf sich: Auch seine Generäle sind zunehmend gereizt, wie der «Spiegel» und Berufung auf das Nachrichtenportal «Ynet» berichtet. Das Problem: Netanjahu zögert Entscheidungen hinaus, weil er sich mehr um die öffentliche Meinung als um die militärische Lage kümmert.

Der Regierungschef habe Angst vor «dem Tag danach»: Wenn der Krieg vorbei ist, befürchte Netanjahu, müsse er seinen Posten räumen. Das ist angesichts der aktuellen Umfragewerte eine berechtigte Annahme. Allerdings auch eine lähmende: Netanjahu scheue den offenen Dialog mit militärischen Entscheidungsträgern.

«Er ist einfach ein Feigling»

Im Kriegskabinett in Tel Aviv herrsche deswegen Alarmstimmung. Statt vertrauensvoll zusammenzuarbeiten, sei Netanjahu wütend und reagiere ungehalten auf Vorschläge. Entscheidungen. Und: Er verschleppe Befehle über strategische oder taktische Initiativen.

So steht die israelische Armee seit Tagen an der Grenze zum Gaza-Streifen bereit: Dass der Befehl zur Bodenoffensive bislang noch nicht erteilt wurde, liegt nicht nur an äusseren Einflüssen, wie einer drohenden zweiten Front im Norden und der Intervention der USA.

Das Zögern liegt auch am Zwist Benjamin Netanjahus mit seinen Generälen, schreibt «Ynet». Im Nachrichtenportal «Walla!» findet ein Minister deutliche Worte: «Netanjahu blockiert jeden offensiven Vorschlag. Er ist einfach ein Feigling.»

Der ehemalige israelische Premierminister Ehud Barak drückt es im «Guardian» etwas diplomatischer aus: «Man kann Israel nicht durch eine so schwierige Krise führen, sowohl politisch als auch strategisch, wenn man für das schwerste Versagen einer Regierung in der Geschichte des Landes verantwortlich ist […]. Deshalb muss das Land einen Weg finden, ihn in der Führung der Regierung zu ersetzen.»

Benjamin Netanyahu (links) ist mit seinen Generälen derzeit über Kreuz, heisst es aus Regierungskreisen in Tel Aviv.
Benjamin Netanyahu (links) ist mit seinen Generälen derzeit über Kreuz, heisst es aus Regierungskreisen in Tel Aviv.
Bild: Keystone