Lebensmittel, Benzin, InflationDiese Länder leiden besonders unter den Folgen des Ukraine-Kriegs
Von Elaine Kurtenbach, AP
9.7.2022 - 23:55
Lebensmittel-, Energie- oder Finanzkrise: In vielen Ländern der Welt machen sich Wirtschaftsschwäche, Engpässe und Preisanstiege – getrieben vom Ukraine-Krieg – drastisch bemerkbar.
Von Elaine Kurtenbach, AP
09.07.2022, 23:55
dpa/twei
Die Krise wirft Sri Lanka zu Boden. Weil das Benzin ausgeht und Schülern wie Lehrern der Transport wegbricht, bleiben inzwischen sogar Schulen geschlossen. Die Preise für Lebensmittel und anderes, das zum Leben nötig ist, steigen auf unerschwingliche Höhen, weiter angetrieben vom Krieg in der Ukraine. Doch nicht nur in Sri Lanka läuten die Alarmglocken.
Rund 1,6 Milliarden Menschen und 94 Ländern der Welt trifft die Krise bei Lebensmitteln, Energie und Finanzsystemen auf mindestens eine Weise, wie aus einem Bericht des UN-Generalsekretariats vom Juni hervorgeht. Etwa 1,2 Milliarden von ihnen leben in Ländern, die besonders von einer Kombination aus akuter Versorgungskrise und langfristiger belastender Folgen gefährdet sind.
Der Schuldenberg wächst, Proteste nehmen zu
Die Ursachen sind unterschiedlich und vielschichtig, aber alle Länder drücken die vom Krieg angefeuerten Preisanstiege massiv – und das, nachdem die Corona-Pandemie die Wirtschaften in oft vom Tourismus abhängigen Regionen gelähmt und die Armut gesteigert hat. Als Folge daraus rechnet die Weltbank damit, dass das Pro-Kopf-Einkommen in Entwicklungsländern in diesem Jahr um fünf Prozent unter dem Niveau der Vor-Corona-Zeit liegt. Der Schuldenberg vieler Staaten wächst, Proteste nehmen zu.
Am schlimmsten trifft es eine Reihe von Ländern und Regionen, in denen Krieg und Terror herrschen, die politisch instabil und zugrunde gewirtschaftet sind oder die von Dürren und Naturkatastrophen ausgelaugt sind. Dazu zählen etwa Afghanistan, Myanmar oder Simbabwe. Aber auch andere, weiter entwickelte Länder bleiben nicht verschont.
Einige Schlaglichter:
Afghanistan
Seit der Machtübernahme der radikalislamischen Taliban im Sommer vergangenen Jahres ist die schon zuvor geschwächte Wirtschaft im Sinkflug. Sanktionen gegen die neuen Machthaber und ein Zurückhalten ausländischer Finanzspritzen haben das Ihre beigetragen. Ein Grossteil der Beschäftigten im öffentlichen Dienst, darunter Ärzte, Pflegepersonal und Lehrkräfte, haben seit Monaten kein Geld mehr bekommen.
Etwa die Hälfte der 39 Millionen Einwohner Afghanistans ist von akutem Hunger bedroht, unzählige Kinder sind lebensgefährlich mangelernährt. Das jüngste Erdbeben im Grenzgebiet zu Pakistan mit mehr als 1000 Toten hat die Lage für die Menschen noch weiter verschärft.
Argentinien
Vier von zehn Argentinierinnen und Argentiniern sind arm. Die Währung gibt nach, der Notenbank gehen die Devisen aus. Es wird erwartet, dass die Inflation in diesem Jahr mehr als 70 Prozent beträgt. Millionen Menschen kommen nur dank Suppenküchen und staatlicher Unterstützung über die Runden.
Ägypten
Auch in Ägypten macht die Inflation schwer zu schaffen. Vor allem für das knappe Drittel der 103 Millionen Einwohner, das bereits in Armut lebt, bedeuten die steigenden Preise Entbehrung und Mangel. Die Menschen hatten ohnehin schon die Folgen eines harten Sparkurses im Rahmen eines ambitionierten Reformprogramms gespürt – unter anderem mit Streichungen bei Vergünstigungen von Treibstoff, Wasser und Strom.
Um die Inflation zu drücken, hob die Notenbank zudem die Zinsen an und wertete die Währung ab. Die Auslandsschulden drücken, die Devisenreserven werden weniger. Die Nachbarn Saudi-Arabien, Katar und Vereinigte Arabische Emirate haben Milliardenunterstützung an Einlagen und direkten Investitionen zugesagt.
Laos
Bis zum Beginn der Corona-Pandemie zählte das kleine südostasiatische Binnenland Laos zu den zuletzt am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften. Seitdem sind die Schulden nach oben geschnellt und Laos muss, wie Sri Lanka, mit seinen Gläubigern über mögliche Lösungen verhandeln.
Die Devisenreserven belaufen sich der Weltbank zufolge dabei auf weniger als die Importsumme zweier Monate. Steigende Preise und in der Pandemie verlorene Jobs sorgen für wachsende Armut.
Libanon
Libanon hat mit Sri Lanka eine toxische Mischung aus Währungskollaps, Versorgungsengpässen, drückender Inflation und schrumpfender Mittelklasse gemein. Auch im Libanon herrschte lange Bürgerkrieg und der Wiederaufbau wurde von Missmanagement gebremst und von Terroranschlägen torpediert. In dem Mittelmeerstaat setzte der wirtschaftliche Zusammenbruch Ende 2019 mit voller Wucht ein.
Seitdem steigen die Lebensmittelpreise rasant, viele der knapp sieben Millionen Einwohner sind in die Armut abgerutscht. Im Juni 2021, als die Währung fast 90 Prozent ihres Werts eingebüsst hatte, sprach die Weltbank von einer Krise, wie sie die Welt seit mehr als 150 Jahren kaum gesehen habe.
Myanmar
Schon als die Corona-Pandemie Myanmar erfasste, schwächelte die Wirtschaft in dem südostasiatischen Land. Mit dem Militärputsch vom Februar vergangenen Jahres wurde Myanmar massiv weiter zurückgeworfen. Die Wirtschaft schrumpfte 2021 um 18 Prozent und wird sich den Prognosen zufolge auch dieses Jahr kaum erholen.
Die Armut wächst – auch inmitten anhaltender Konflikte und Gewalt, die rund 700 000 Menschen in die Flucht getrieben haben. Die Lage in Myanmar gilt als so unsicher, dass die Weltbank das Land in einem kürzlich veröffentlichten Wirtschaftsbericht bei den Prognosen für 2022 bis 2024 gar nicht aufgeführt hat.
Türkei
Immer klammere Kassen der Regierung und ein wachsendes Handels- und Kapitalbilanzdefizit verschärfen die Lage in der Türkei inmitten hoher Verschuldung, starker Arbeitslosigkeit und einer Inflation von über 60 Prozent. Nachdem die türkische Lira Ende 2021 auf ein Allzeittief gegenüber dem US-Dollar gefallen war, griff die Zentralbank auf Devisenreserven zurück, um eine Währungskrise abzuwenden.
Steuersenkungen und Kraftstoffsubventionen zur Abfederung der Inflation haben die Staatsfinanzen ausgedünnt, die Staatsverschuldung beläuft sich inzwischen auf rund 54 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Für immer mehr Menschen werden Lebensmittel und andere Güter zunehmend unerschwinglich.
Simbabwe
In Simbabwe weckt die aktuelle Inflation von mehr als 130 Prozent die Erinnerungen an 2008 und lässt die Sorge wachsen. Damals hatte das südafrikanische Land eine Inflation von 500 Milliarden Prozent verbuchen müssen. Die heimische Wirtschaft ist ohnehin geschwächt von Jahren des Industrieschwunds, geringer Investitionen und hoher Verschuldung, aber auch von Korruption. Viele der etwa 15 Millionen Simbabwerinnen und Simbabwer werden nicht mehr satt und müssen auf Mahlzeiten verzichten, um über die Runden zu kommen.