Krisenherde Die bitteren Parallelen zwischen Libanon und Sri Lanka

Von Zeina Karam und David Rising, AP

26.6.2022 - 00:00

Proteste im libanesischen Jal El-Dib gegen die Regierung in Beirut.(, File)
Proteste im libanesischen Jal El-Dib gegen die Regierung in Beirut.(, File)
AP Photo/Bilal Hussein/Keystone (Archivbild)

Der Krieg in der Ukraine überlagert andere Krisenherde der Welt. Dazu gehören Sri Lanka und der Libanon – die trotz ihrer grossen Entfernung viele Probleme teilen.

26.6.2022 - 00:00

Sri Lanka und der Libanon liegen zwar weit auseinander, haben aber eines gemeinsam: eine Geschichte politischer Unruhen und Gewalt, die zum Zusammenbruch der einst aufstrebenden Volkswirtschaften führte. Eine toxische Kombination aus Korruption, Vetternwirtschaft und Unvermögen führte beide Staaten in die Katastrophe.

Die Währungen brachen ein, es herrschen Versorgungsengpässe, die Inflation stieg in dreistellige Höhe, und die Menschen leiden zunehmend Hunger. An Tankstellen bilden sich lange Warteschlangen, die Mittelschicht schrumpft, und Fachkräfte, die einen Wiederaufbau hätten unterstützen können, verlassen in Scharen das Land.

Ein solcher wirtschaftlicher Kollaps lässt sich in der Regel nicht an einem konkreten Wendepunkt festmachen. Hinweise können sich aber schon Monate oder sogar Jahre im Voraus bemerkbar machen.

Aus Sicht von Experten könnte einem Dutzend Ländern – darunter Ägypten, Tunesien, Afghanistan, Pakistan und dem Sudan – das gleiche Schicksal drohen wie dem Libanon und Sri Lanka. Dabei spielen die Folgen der Corona-Pandemie ebenso eine wichtige Rolle wie die Lebensmittelknappheiten und steigenden Preise infolge des Kriegs in der Ukraine.

Die Ursprünge der Krisen

Die Krisen im Libanon und in Sri Lanka wurzeln in Jahrzehnten von Habgier, Korruption und Konflikten. Beide Länder litten unter einem langen Bürgerkrieg, von dem sie sich nur schwer erholten. Sie werden beherrscht von korrupten Warlords und Clans, die gewaltige Auslandsschulden angehäuft haben und hartnäckig an ihrer Macht festhalten.

Im Libanon konnten diverse Volksaufstände die politische Klasse nicht entmachten, die das System der konfessionellen Machtteilung ausnutzt, um Filz und Bestechung aufrechtzuerhalten. Wichtige Entscheidungen liegen nach wie vor in der Hand politischer Dynastien, die durch ihren immensen Reichtum oder die Führung von Milizen im Krieg an die Macht gelangten.

Angesichts von Rivalitäten zwischen den verschiedenen Kräften haben sich der politische Stillstand und das Versagen der Regierung verschlimmert. Im Ergebnis ist der Libanon bei Infrastruktur und Entwicklung eines der rückständigsten Länder im Nahen Osten. Selbst 32 Jahre nach dem Krieg kommt es weiter regelmässig zu riesigen Stromausfällen.

In Sri Lanka besass die Familie Rajapaksa seit Jahrzehnten ein politisches Machtmonopol. Selbst heute klammert sich Präsident Gotabaya Rajapaksa noch an sein Amt, obwohl die Familiendynastie um ihn herum vor dem Hintergrund von Protesten seit April zerfällt.

Soldaten stehen in Colombo vor einem ausgebrannten Bus Wache, nachdem es zu Zusammenstössen zwischen Regierungsanhängern und -gegnern kam.
Soldaten stehen in Colombo vor einem ausgebrannten Bus Wache, nachdem es zu Zusammenstössen zwischen Regierungsanhängern und -gegnern kam.
Eranga Jayawardena/AP/dpa

Nach Meinung von Experten sind die aktuellen Krisen in beiden Staaten hausgemacht. Sowohl der Libanon als auch Sri Lanka hätten grosse Auslandsschulden angehäuft und wenig in die Entwicklung investiert, heisst es. Darüber hinaus haben sie Phasen politischer Instabilität und Terroranschläge hinter sich, die den Tourismus als wichtige Einnahmequelle zunichtemachten.

In Sri Lanka waren an Ostern 2019 bei Selbstmordanschlägen in Kirchen und Hotels mehr als 260 Menschen getötet worden. Der Libanon seinerseits mit seinen fünf Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern bekam direkt die Auswirkungen des Bürgerkriegs im benachbarten Syrien zu spüren, als das Land etwa eine Million Flüchtlinge aufnahm. Beiden Staaten setze dann auch die Corona-Pandemie wirtschaftlich schwer zu.

Kipppunkte

Die Krise im Libanon verschlimmerte sich Ende 2019, als die Regierung neue Steuern vorschlug, darunter eine monatliche Gebühr von umgerechnet 5,70 Euro für die Nutzung von Whatsapp-Anrufen. Daraufhin brach sich lange angestauter Zorn über die herrschende Klasse Bahn, es kam zu monatelangen Protesten. Zugleich begann der Sinkflug der Währung.

Im März 2020 konnte das Land seine Schulden in Höhe von 90 Milliarden Dollar oder 170 Prozent des Bruttoinlandsprodukts nicht zurückzahlen. Bis Juni 2021 verlor die Sri-Lanka-Rupie fast 90 Prozent ihres Werts. Die Weltbank bezeichnete die Krise als eine der schwersten weltweit seit mehr als 150 Jahren.

In Sri Lanka war die Wirtschaft nach den Anschlägen 2019 noch fragil, als Gotabaya Rajapaksa die grössten Steuersenkungen in der Geschichte des Landes durchsetzte. Das führte zu einem schnellen Gegeneffekt: Gläubiger stuften die Kreditwürdigkeit des Landes herab, so dass die Regierung sich kein weiteres Geld leihen konnte. Die Devisenreserven schrumpften rapide, Sri Lanka stand kurz vor dem Bankrott.

Daraufhin setzte die Regierung ihre Rückzahlungen von Auslandsanleihen aus, und nahm kürzlich die Steuersenkungen zurück. «Unsere Wirtschaft ist völlig zusammengebrochen», sagte der Ministerpräsident am Mittwoch.

Folgen für die Bevölkerung

Vor dem jüngsten Niedergang verfügten sowohl der Libanon als auch Sri Lanka über eine solide Mittelschicht, die meisten Menschen führten ein einigermassen komfortables Leben. Doch im Zuge der jüngsten Krisen verloren die Menschen fast über Nacht quasi den Zugriff auf ihr Geld, ihre Ersparnisse verdampften, und ihre Gehälter waren wertlos. Ein Monatseinkommen mit Mindestlohn reicht nicht aus, um 20 Liter Benzin zu kaufen oder die Stromrechnung für private Generatoren zu bezahlen, mit denen sich Menschen wenigstens für ein paar Stunden am Tag Strom verschaffen.

Ähnlich gibt es auch in Sri Lanka fast kein Benzin mehr, auch andere Treibstoffe werden knapp. Die Behörden kündigten landesweite Stromabschaltungen für mehrere Stunden am Tag an. Nach Angaben der Vereinten Nationen müssen fast neun von zehn Familien Mahlzeiten ausfallen lassen oder ihre Lebensmittelvorräte auf andere Weise strecken.

Von Zeina Karam und David Rising, AP