Jack Ma war kein EinzelfallChinas Regime lässt unliebsame Milliardäre verschwinden
Von Sven Hauberg
7.8.2021
Wirtschaftliche Freiheit ja, politische auf keinen Fall: Wenn chinesische Milliardäre die falschen Forderungen stellen, landen sie bisweilen hinter Gitter. Da hilft selbst ein Parteibuch nichts.
Von Sven Hauberg
07.08.2021, 14:53
Von Sven Hauberg
Die chinesische Geschichte kennt viele Ereignisse, die von den Historikern später zu einer Art nationalem Mythos überhöht wurden. Einer dieser Mythen ist die Reise in den Süden, die der greise Deng Xiaoping 1992 unternahm.
Es war Deng gewesen, der nach dem Tod Maos China auf den Weg der Reformen gebracht hatte. Deng hatte das Land ein kleines Stück weit geöffnet und den Menschen die Fesseln der Planwirtschaft gelockert. Fortan sollten die Chinesen ihres eigenen Glückes Schmied sein, zumindest, wenn es um Wohlstand ging. Politische Freiheiten liess allerdings auch Deng nicht zu.
Im Jahr 1992, Deng war weit über 80 und hatte keine offiziellen Ämter mehr inne, sah er sein Lebenswerk in Gefahr. Drei Jahre zuvor war die Demokratie-Bewegung in Peking blutig niedergeschlagen worden, wenig später zerfiel der Ostblock. Den Reformprozess, den Deng angestossen hatte, wollte die Mehrheit im Politbüro nicht länger tragen.
Gewagter Spagat
Also ging Deng in die Offensive, stieg in einen Zug und reiste in die südliche Provinz Guangdong, traf sich später in der Küstenstadt Zhuhai mit Verbündeten. Was zunächst wie eine Privatreise aussah, wurde eine Propaganda-Initiative, an deren Ende China auf Reformkurs blieb. Noch im selben Jahr wuchs das Bruttoinlandprodukt um mehr als 14 Prozent, ausländische Investoren kehrten zurück ins Land.
Seit den ersten Öffnungsschritten Ende der 70er-Jahre versucht sich die Kommunistische Partei an einem Spagat. Auf der einen Seite ist das Regime auf wirtschaftliches Wachstum angewiesen, um das Volk bei Laune zu halten. «Warum unterstützt uns das Volk?», hatte Deng bereits 1990 gefragt und die Antwort gleich selbst mitgeliefert: «Weil sich die Wirtschaft entwickelt hat.» Nur: Zu grosse politische Freiheiten, das wollte auch Deng nicht zulassen.
Heute steht die KP vor einem ähnlichen Problem, auch heute noch schielt sie vor allem auf die alljährlichen Wachstumsraten, aus Furcht vor Aufständen im Lande. Gleichzeitig gerät sie in Panik, wenn ihre eigenen Mitglieder auch nur einen Hauch an Freiheit fordern. «Die Partei hatte schon immer Angst vor der eigenen Bevölkerung. Fast alles, was sie macht, dient dem Ziel, an der Macht zu bleiben und die eigene Legitimität zu sichern», sagte die China-Expertin Mareike Ohlberg anlässlich des 100. Jahrestags der Parteigründung in einem Interview mit «blue News». Seit einiger Zeit bekommen auch Chinas Superreiche diese Angst zu spüren.
Vorwurf: «Provozieren von Ärger»
Zuletzt traf es ausgerechnet einen Schweinezüchter. Sun Dawu, der aus einfachen Verhältnissen stammt, hat es in den 80ern mit dem Lieblingsfleisch der Chinesen zunächst zu Wohlstand gebracht, später dann zu einem Milliardenvermögen. Laut einem Bericht des britischen «Guardian» beschäftigte Suns Unternehmen zuletzt 9000 Menschen. Eine Erfolgsgeschichte.
Nun aber muss Sun für 18 Jahre hinter Gitter und umgerechnet rund 435'000 Franken Geldbusse zahlen. Die Vorwürfe gegen den 67-Jährigen, die in einem geheimen Verfahren erhoben wurden, klingen hanebüchen: «Provozieren von Ärger», «Behinderung der Regierungsverwaltung», «Versammlung einer Menschenmenge, um Regierungsorgane anzugreifen». Formulierungen, wie sie oft auch in Prozessen gegen Regierungskritiker verwendet werden.
Tatsächlich scheint das Verfahren politisch motiviert gewesen zu sein. Sun, der zusammen mit mehreren Verwandten bereits im vergangenen November verhaftet worden war, machte 2019 einen Ausbruch der Schweinepest öffentlich, ausserdem unterhielt er Beziehungen zu Dissidenten und Menschenrechtsanwälten. Verbindungen, die ihm nun zum Verhängnis wurden. Dass Sun sich selbst als «herausragendes Mitglied der Kommunistischen Partei» bezeichnet, scheint ihm nicht geholfen zu haben.
Plötzlich verschwunden
Auch vor anderen Milliardären macht die Kommunistische Partei in ihrem Kampf gegen Kritiker nicht halt. Prominentestes Opfer in der jüngsten Vergangenheit war Jack Ma, Gründer des Internetriesen Alibaba.
Ma hatte Ende Oktober 2020 seinem Unmut über das chinesische Finanzsystem freien Lauf gelassen. Den Banken des Landes warf er «Pfandhausmentalität» vor, auf einem Kongress in Shanghai klagte er: «Gute Innovation hat keine Angst vor Regulierung, aber sie hat Angst vor veralteten Vorschriften.» Die Zukunft, so Ma, dürfe nicht «mit Methoden von gestern» reguliert werden.
Wenig später war Ma auf einmal verschwunden, monatelang spekulierten internationale Medien über den Verbleib des einst reichsten Manns Chinas. Ausserdem wurde der Börsengang der Alibaba-Finanztochter Ant Group gestoppt, dann verhängten Chinas Wettbewerbshüter auch noch eine Rekordstrafe in Höhe von umgerechnet rund 2,5 Milliarden Franken gegen Alibaba. Ende Januar 2021 war Ma dann plötzlich wieder da, meldete sich mit einer Videobotschaft zu Wort. Kritische Worte hat man seitdem nicht mehr von ihm vernommen.
Wer Xi als «Clown» bezeichnet, landet im Gefängnis
Detail am Rande: Auch Ma ist Mitglied der Kommunistischen Partei. Und als solches nicht dem regulären Justizsystem des Landes unterworfen, das sowieso nicht viel von Rechtsstaatlichkeit hält. Parteimitglieder können stattdessen von parteiinternen Gerichten abgeurteilt werden, still und heimlich und bisweilen gnadenlos.
Auch der Immobilienunternehmer Ren Zhiqiang bekam die harte Hand der Partei, der er über viele Jahre lang angehörte, zu spüren: Weil er den Staats- und Parteichef Xi Jinping in einem Zeitungsartikel als «Clown» bezeichnet und die Corona-Politik der Regierung kritisiert hatte, wurde Ren im vergangenen Jahr in Peking vor Gericht gestellt. Der Vorwurf: Korruption. Das Urteil: Ausschluss aus der Partei – sowie 18 Jahre Haft. Vor der Kommunistischen Partei, so scheint es, ist niemand sicher: Milliardäre ebensowenig wie Parteimitglieder selbst.