Erste Länder denken um Die No-Covid-Strategie stösst vielerorts an ihre Grenzen

Von Sven Hauberg

3.8.2021

Nach einem Coronavirus-Ausbruch in der chinesischen Stadt Nanjing lassen sich Bürgerinnen und Bürger testen.
Nach einem Coronavirus-Ausbruch in der chinesischen Stadt Nanjing lassen sich Bürgerinnen und Bürger testen.
Bild: Keystone

Die Ausbreitung der Delta-Variante und nicht genug Impfungen: In immer mehr Ländern, die sich einer «No Covid»-Strategie verschrieben hatten, grassiert das Virus wieder.

Von Sven Hauberg

3.8.2021

Dass China das Land ist, in dem die Corona-Pandemie ihren Ursprung genommen hat, hört die regierende Kommunistische Partei eher ungern. Viel lieber verbreitet sie die Erzählung, dass es China sei, das die Pandemie in den Griff bekommen habe, während weltweit die Fallzahlen weiter gestiegen sind. Man habe das durch eine durchdachte Strategie geschafft, so die staatliche Propaganda, durch Tests, durch Nachverfolgung und durch die Entwicklung von Impfstoffen.

Das Ziel der chinesischen Regierung ist ein Land ganz ohne Corona-Fälle. Doch diese «No Covid»-Strategie gerät immer mehr an ihre Grenzen. Schuld daran ist die Delta-Mutation. Ausgerechnet also jene Virusvariante, die zuerst in Indien registriert wurde, in jenem Staat, mit dem China seit Längerem eine äussert konfliktreiche Nachbarschaft verbindet.

Delta sei «so ansteckend wie Windpocken», erklärte die US-Gesundheitsbehörde CDC unlängst. Die Variante, so hiess es in dem Bericht weiter, könne ausserdem den Schutz von Impfungen leichter durchbrechen.



Was das bedeutet, lässt sich seit einigen Tagen in China beobachten. Im Juli wurden in dem Land 328 neue lokal übertragene Covid-Fälle registriert – nicht viel angesichts einer Bevölkerung von rund 1,4 Milliarden Menschen, aber doch so viele Infektionen, wie in den fünf Monaten zuvor insgesamt gezählt wurden. Verantwortlich für den Anstieg sei, so die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua, die Delta-Variante.

Viele Infizierte waren geimpft

Berichtet wurde ausserdem, dass bis Ende Juli rund 1,63 Milliarden Impfdosen verabreicht wurden. China setzt vor allem die selbst produzierten Vakzine CoronaVac des Herstellers Sinovac ein sowie den Impfstoff von Sinopharm – beide müssen jeweils zweimal verabreicht werden, um den vollen Impfschutz zu erzielen.

Zuletzt gab es Mitte Juli in der ostchinesischen Metropole Nanjing einen grösseren Corona-Ausbruch, nachdem bei einem Routinetest neun Reinigungskräfte positiv getestet worden waren. Anschliessend wurden mindestens 200 Infektionen in fünf chinesischen Provinzen nachgewiesen, die mit dem Ausbruch in Verbindung gebracht wurden. Ein grosser Teil der Infizierten sei geimpft gewesen, berichteten chinesische Medien. Was wiederum Zweifel weckt an der Wirksamkeit der chinesischen Vakzine.

Die Regierung reagierte nach bekanntem Muster, mit Massentests, Quarantäne und regionalen Lockdowns. Der Ausbruch zeige, dass «der ‹Null-Toleranz-Ansatz› an seine Grenzen geraten ist», sagte der Gesundheitsexperte Huang Yanzhong von der Denkfabrik Council on Foreign Relations zu CNN.

Neuseelands Wirtschaft leidet

Auch anderswo gerät die «No Covid»-Strategie ins Schlingern. Etwa in Neuseeland, wo der Plan, Corona aus dem Land zu halten, erste Risse bekommt. Denn das Land mit seinen knapp fünf Millionen Einwohnern droht, ein Opfer seines eigenen Erfolges zu werden. Weil es nur sehr wenige Infektionen gab (die Johns-Hopkins-Universität zählte bislang nur 26 Tote und weniger als 3000 Infektionen), ist auch die Impfbereitschaft gering.



Nur etwas mehr als 14 Prozent der neuseeländischen Bevölkerung sind vollständig geimpft. Zum Vergleich: In der Schweiz sind es knapp 50 Prozent, in Deutschland sogar noch etwas mehr.

Nun könnte sich Neuseeland freilich weiterhin abschotten vor dem Ausland, um die Zahl der eingeschleppten Infektionen gering zu halten. Nur: Lange wird die Wirtschaft des kleinen Pazifikstaates das nicht überstehen. Vor allem, weil nicht genug ausländische Arbeitskräfte ins Land reisen konnten, brach der Export um ein Viertel ein, wie die «Süddeutsche Zeitung» berichtet. Noch aber hält die Regierung von Jacinda Ardern an ihrer Strategie fest.

Singapur will mit dem Virus leben

Einen anderen Weg schlägt inzwischen Singapur ein, einst auch ein Verfechter der «No Covid»-Strategie. Man müsse lernen, mit dem Virus zu leben, schrieben drei Mitglieder der nationalen Corona-Taskforce Ende Juni in einem Beitrag für die «Strait Times». «Wir können sie nicht ausrotten, aber wir können die Pandemie in etwas viel weniger Bedrohliches verwandeln, wie die Grippe, die Hand-Fuss-Mund-Krankheit oder die Windpocken, und mit unserem Leben weitermachen.»



Weiter heisst es in dem Beitrag: «Ob wir mit Covid-19 leben können, hängt letztlich auch von davon ab, dass die Menschen in Singapur akzeptieren, dass Covid-19 endemisch sein wird.» Neben Hygienemassnahmen setze man vor allem auf Impfungen und gezielte Tests. Vom Ziel, gar keine Ansteckungen mehr zuzulassen, hat sich der Stadtstaat verabschiedet. 

Auch in Singapur ist Delta mittlerweile die am häufigsten registrierte Corona-Variante. Und auch in Singapur sind, wie in China, viele der Infizierten bereits geimpft. Die Erklärung dafür klingt zunächst paradox: Verantwortlich für diese Zahlen, so Professor Teo Yik Ying von der National University of Singapore, sei die hohe Impfrate im Land. «Gegenwärtig sind fast 75 Prozent der Bevölkerung mit mindestens einer Dosis geimpft, sodass die Wahrscheinlichkeit, dass das Coronavirus auf jemanden trifft, der geimpft ist, grösser ist als bei jemandem, der nicht geimpft ist», so Teo in einem Interview.