Auf geheimer Mission Diese ukrainischen Elite-Einheiten kämpfen hinter der Front

AP/toko

28.12.2023 - 00:00

Ukrainische Spezialeinheiten  navigieren mit Nachtsichtgeräten auf dem Fluss Dnipro während eines Nachteinsatzes in der Region Kherson.
Ukrainische Spezialeinheiten  navigieren mit Nachtsichtgeräten auf dem Fluss Dnipro während eines Nachteinsatzes in der Region Kherson.
Bild: Keystone/AP Photo/Felipe Dana

Über ihre Einsätze ist wenig bekannt — für den Kriegsverlauf sind sie aber oft entscheidend. Einheiten wie «Zentrum 73» operieren unter höchstem Risiko. Reporter haben einige der Spezialkräfte begleitet.

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  • Ukrainische Spezialeinheiten sind permanent in geheimer Mission im Einsatz, mitunter auch hinter feindlichen Linien.
  • Sie verwandeln sich von unscheinbaren Zivilisten in Elitekämpfer, manche in Neoprenanzügen, manche in Booten. Meist wird nichts über ihre Einsätze öffentlich bekannt.
  • Gegründet wurden die ukrainischen Spezialkräfte nach der russischen Annexion der Krim im Jahr 2014. Deren Mitglieder sind teilweise von europäischen Partnern ausgerüstet und ausgebildet worden.

Ihren ursprünglichen Plan konnten sie vergessen, als der Staudamm brach. Die ukrainischen Offiziere mussten ihre Strategie anpassen. Das Ziel, für das sie seit sechs Monaten unter nahezu ständiger Lebensgefahr kämpfen, ist aber geblieben: Sie wollen den Fluss Dnipro überqueren.

Mit Unterstützung der regulären Truppen wollen sie am anderen Ufer, das noch immer weitgehend unter russischer Kontrolle ist, zunehmend feste Stellungen etablieren.

Für Skif und seine Leute ging es zunächst darum, den eigenen Truppen zu beweisen, dass es möglich wäre. Skif ist Teil der Elite-Einheit «Zentrum 73». Der Spitzname des Offiziers ist eine Anspielung auf das Volk der Skythen, das einst auf der Halbinsel Krim lebte. In vielen seiner Bewegungen wirkt der Ukrainer wie ein Tier auf der Lauer: bedächtig, berechnend – um im entscheidenden Moment zuschlagen zu können.

An vorderster Front – und manchmal in russischem Gebiet

Die Männer von Skif sind Spezialisten für Wassereinsätze, Auskundschafter, Drohnenpiloten oder Unterwassersaboteure. Die Einheit ist Teil der ukrainischen Spezialkräfte, die an der Front und nicht selten auch dahinter operieren, die Partisanen in den besetzten Gebieten steuern und mitunter sogar in russische Stützpunkte eindringen, um dort Sprengsätze zu platzieren.

Ihr Einsatzgebiet ist an der dynamischeren der beiden Hauptfronten. Anders als im Osten konnten die Ukrainer im Verlauf der im Sommer gestarteten Gegenoffensive im Süden zumindest ein paar wenige konkrete Erfolge erzielen. Doch auch hier gab es Rückschläge. Die Entwicklungen zeigen beispielhaft, vor welchen Problemen die ukrainischen Streitkräfte stehen.

Die Elite-Soldaten kehren kurz vor Sonnenaufgang auf Booten von einer Nachtmission zurück.
Die Elite-Soldaten kehren kurz vor Sonnenaufgang auf Booten von einer Nachtmission zurück.
Bild: Keystone/AP Photo/Felipe Dana

Ende Mai stand die Einheit «Zentrum 73» am Ufer des Dnipro bereit. Einige der Männer waren fast in Sichtweite des Kachowka-Staudamms. Sie standen den Russen, die den Damm und das Gelände auf der anderen Seite des Flusses gleich in den ersten Tagen des Angriffskrieges im Februar 2022 erobert hatten, direkt gegenüber.

Und beide Seiten wussten, dass die bevorstehende Gegenoffensive ganz wesentlich darauf abzielen würde, die Kontrolle über den Fluss zu erlangen, um von dort aus weitere Gebiete im Süden zurückerobern zu können.

Doch gleich in den ersten Tagen der Gegenoffensive, am 6. Juni, zerstörte eine Explosion den Damm. Die herausströmenden Wassermassen überschwemmten auch ukrainische Stellungen. Die AP fand bei Recherchen Beweise dafür, dass Russland für die Zerstörung verantwortlich war. «Wir waren bereit zum Übersetzen. Dann flog der Damm in die Luft», sagt Skif.

Beide Seiten mussten sich neu formieren – und versuchen, nach Abfluss des Wassers die Inseln im Unterlauf des Dnipro unter eigene Kontrolle zu bringen.

Ein ukrainischer Elite-Soldat läuft mit einem Nachtsichtgerät durch das Wasser am Ufer des Flusses Dnipro.
Ein ukrainischer Elite-Soldat läuft mit einem Nachtsichtgerät durch das Wasser am Ufer des Flusses Dnipro.
Bild: Keystone/AP Photo/Felipe Dana

Elite-Kämpfer werden zu Zivilisten

Die Nachrichtenagentur AP hat Skif und seine Leute im Laufe der zurückliegenden sechs Monate mehrfach am Dnipro besucht und begleitet. Die Männer sind meist im Schutze der Nacht aktiv, einige in kleinen Booten, andere in Tauchanzügen. Morgens, wenn ihre Einsätze enden, verwandeln sich die Elite-Kämpfer in unscheinbare Zivilisten. In der Regel erhalten sie keine grosse Anerkennung für ihre Arbeit. Denn meist wird nichts über ihre Einsätze öffentlich bekannt.

Gegründet wurden die ukrainischen Spezialkräfte nach der russischen Annexion der Krim im Jahr 2014. «Wir waren uns darüber im Klaren, dass wir dem Feind zahlenmässig klar unterlegen waren», sagt Oleksandr Kindratenko, ein Sprecher der Spezialkräfte. «Der Fokus wurde also auf Qualität gelegt. Es sollten kleine Gruppen für operative und strategische Aufgaben sein.» Deren Mitglieder seien teilweise von europäischen Partnern ausgerüstet und ausgebildet worden.

Skif wusste, dass er ukrainische Generäle überzeugen musste, Truppen zu schicken, sobald er und seine Männer einen strategischen Punkt am anderen Flussufer erreicht hätten. Ihm wurde gesagt, er werde die Unterstützung bekommen, wenn es ihm gelänge, Fotos zu liefern, auf denen seine Einheit in dem jenseits des Flusses gelegenen Dorf Krynky eine ukrainische Fahne hisse.

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«Niemand weiss davon, niemand spricht darüber»

Anfang Herbst hatte Skif Glück. Ein russischer Offizier, der nach eigenen Angaben von Beginn an gegen die Krieg gewesen war, wurde an die Front im Gebiet Cherson verlegt. Er nahm Kontakt zum ukrainischen Geheimdienst auf, gemeinsam mit einigen weiteren Russen stellte er sich schliesslich. Skif wurde damit beauftragt, ihn und die anderen in Gewahrsam zu nehmen – und von ihnen erfuhr er alles, was er über die feindlichen Stellungen auf der Insel vor Krynky wissen musste.

So kam es, dass Skif Mitte Oktober die Gelegenheit zu einem Foto mit einer ukrainischen Fahne in dem bis dahin von russischen Soldaten besetzten Dorf erhielt. Seine Einheit schickte die Aufnahme ans Hauptquartier und errichtete den Brückenkopf. Mehrere ukrainische Brigaden wurden entsandt, um die Position zu halten – was sie bis heute tun.

Die Sicherung von Krynky ist jedoch alles andere als einfach. Nachts liegen die Temperaturen deutlich unter dem Gefrierpunkt. Und die Ukrainer vor Ort sind weit schlechter ausgerüstet als die russischen Truppen in der unmittelbaren Umgebung. In den zurückliegenden Wochen haben die Russen ihre Angriffe noch einmal verstärkt. Doch die ukrainischen Truppen – einschliesslich der noch kampffähigen Männer von «Zentrum 73», halten dagegen. «Das ist unsere Arbeit», sagt Skif, während er per Funk eine weitere Geheimmission zu Wasser koordiniert. «Niemand weiss davon, niemand spricht darüber.» Aber es diene dem «Wohle unseres Landes».

AP/toko