Lagebild UkraineAm Dnipro-Ufer braut sich etwas zusammen
Von Philipp Dahm
2.12.2023
Ukraine-Krieg: Nato geht von enormen russischen Verlusten aus
Seit fast zwei Jahren führt Russland einen brutalen Angriffkrieg gegen die Ukraine. Dafür zahlt das Land einen hohen Blutzoll. Nach Einschätzung der Nato hat die Zahl der in der Ukraine getöteten oder verwundeten russischen Soldaten die Marke von 300'000 überschritten.
01.12.2023
Obwohl die Russen im November Rekordverluste beklagen mussten, gerät die ukrainische Armee mehr und mehr in die Defensive. Am Dnipro konnten Kiews Kräfte ihren Brückenkopf aber ausbauen. Folgt eine Offensive?
Von Philipp Dahm
02.12.2023, 00:00
02.12.2023, 13:03
Philipp Dahm
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Der November war für die russischen Truppen der verlustreichste Monat des Krieges in der Ukraine.
Dennoch kritisiert das Magazin «Economist», aufseiten des Westens fehle eine «strategische Vision»: Wenn es so weitergehe, werde Putin den Krieg gewinnen.
Laut Wolodymyr Selenskyj ist eine «neue Phase» eingetreten.
Marine-Infanteristen haben den ukrainischen Brückenkopf bei Krynky ausgebaut und nehmen Ziele im Hinterland ins Visier.
Bei Awdijwka scheitern weiterhin die Angriffe der russischen Armee.
Bei Bachmut und Kupjansk hält Moskau den Druck aufrecht.
Die politische Grosswetterlage? Das Klima ist rau. Einerseits fährt Russland dieser Tage hohe Verluste ein: Mit über 25'000 Toten oder Verletzten war der November der schlimmste Monat für Moskaus Armee seit Beginn des Krieges. Allein am 30. November sollen nach ukrainischen Angaben 1180 Gegner ausgeschaltet worden sein.
Doch Wladimir Putin ficht das nicht an. Während die Ukraine mit ihren gut 43 Millionen Einwohner*innen inzwischen Probleme hat, genügend Personal zu rekrutieren, lockt Russland mit seinen 143 Millionen neue Soldaten mit einer Einmalzahlung von umgerechnet 4800 Franken und einem monatlichen Salär von 1840 Franken – und sichert sich so laufend Nachschub.
«Putin scheint den Krieg in der Ukraine zu gewinnen – fürs Erste», titelt dann auch der «Economist»: «Sein grösstes Plus ist das Fehlen einer strategischen Vision Europas.» Keine der Kriegsparteien sei derzeit in der Lage, die andere zu vertreiben. Deshalb gehe es in diesem Krieg nicht darum, Territorien zu erobern, sondern um Durchhaltevermögen.
Selenskyj will sich nicht beschweren
Der Westen leide unter Fatalismus, Lethargie und Selbstgefälligkeit, obwohl er Putin mit einer verstärkten Unterstützung Kiews in die Knie zwingen könnte, heisst es weiter. Mit der neuen Zurückhaltung in Sachen Unterstützung schiesst sich jedoch gerade Washington ins eigene Bein: «Das meiste Geld bleibt in den USA», weiss die «Washington Post», denn gekauft werden Kiews Waffen fast immer bei nationalen Herstellern.
Map of states benefiting from Ukraine aid. Arizona, Pensilvania, Arkansas, Michigan, Alabama and Texas lead the way. (This only includes major systems and not small sub contractors or dispersed workforces, in reality Ukraine aid benefits every state economically) pic.twitter.com/slVJj668kb
Wolodymyr Selenskyj muss also mit dem auskommen, was er hat. «Wir verlieren Menschen, ich bin nicht zufrieden. Wir haben nicht alle Waffen bekommen, die wir wollten, ich kann nicht zufrieden sein», sagt der ukrainische Präsident der Nachrichtenagentur AP. «Aber ich kann mich auch nicht zu sehr beschweren.» Der Krieg sei in eine «neue Phase» eingetreten.
Das ist natürlich auch dem Wetter geschuldet – und dieses kann auch von Vorteil sein. So haben die ukrainischen Marineinfanteristen am linken, östlichen Ufer des Dnipro die Zeit mit Regen und Schnee genutzt, ihren Brückenkopf bei Krynky zu verstärken: Solange keine russischen Drohnen fliegen, ist die Querung des Flusses sehr viel sicherer.
Brückenkopf am Dnipro ausgebaut
Nun sollen dort um die 400 Kräfte eingegraben sein – und der russischen Armee fehlen offenbar die Mittel, diese zu bekämpfen. Das liegt auch daran, dass die ukrainische Artillerie zeitnah zuschlägt, wenn sich der Gegner versammelt.
1/ A recent Ukrainian attack in the Kherson region village of Yuvileine killed 4 police staff and injured another 17. The details of the casualties highlight both collaborationist activities and how officials from Russia have been recruited to manage the occupied regions. ⬇️ pic.twitter.com/bTLUtYsQEn
So wie im Dorf Juwilejne, das knapp 30 Kilometer von Krynky entfernt liegt: Dort werden bei einem Angriff auf eine Polizeistation vier Menchen getötet und 17 weitere Personen verletzt, als sich hochrangige Polizisten mit Kollaborateuren treffen. Ein X-Video zeigt, wie im Hinterland eine russische Basis von einer ukrainischen Drohne getroffen wird.
Auffällig ist, dass Kiews Kräfte neben Geräten zur elektronischen Kriegsführung insbesondere die generische Luftabwehr ins Visier nehmen. Fünf Tage in Folge sollen je fünf Systeme zerstört worden sein. Das unten stehende X-Video zeigt einen Treffer fast 50 Kilometer hinter der Front ...
The amount of Russian air defense equipment, which recently get destroyed, is noteworthy. This Buk-M2 has been eliminated today and its position is almost 50km behind the lines and near the coast of the Black Sea.
In Awdijwka fährt Russland derzeit die grössten Verluste ein. Die Armee ist erneut mit einem Versuch gescheitert, ukrainische Stellungen im Feld vor der Stadtgrenze und in Stepowe einzunehmen. Putins Soldaten konnten zwar kurzweilig in das Dorf einrücken, die Position aber nicht halten.
Weil der Zugriff an den Flanken nicht funktioniert, versuchen Moskaus Männer nun offenbar wie in Bachmut, sich durch die Mitte der Festung zu fressen. Das legt auch eine Sammlung von Drohnen-Videos auf YouTube nahe: Panzer und Schützenpanzer werden auf der Zufahrtsstrasse getroffen, die von Osten her nach Awdijwka führt.
Apropos Bachmut: Die Ukrainer haben das Dorf Chromowe verloren, das nordwestlich gleich vor der Stadt liegt. Die Russen können so ihre Stellung in der besetzten Stadt sichern.
Russen machen bei Bachmut und Kupjansk Druck
Wie die Kämpfe bei Bachmut aussehen, zeigt dieser YouTube-Clip eines ukrainischen Soldaten. Man sieht die Gräben, umringt von kahlen Bäumen und ahnt etwas vom Krieg, ohne dessen Opfer zu sehen.
Wer die Front weiter nach Norden fährt, sieht auch dort angreifende Russen: Die Schlüsselstadt Kupjansk bleibt geschützt, weil die Vertedigung in den vorgelagerten Dörfern Synkivka und Ivanivka hält.
Nicht weit entfernt bei Swatowe ist der erste Leopard 1A5 der ukrainischen Armee getroffen worden. Die Crew konnte sich retten.
Primo Leopard 1A5 🇺🇦 danneggiato e abbandonato, Ovest di Svatove. Da notare che nonostante il colpo d'artiglieria estremamente ravvicinato il mezzo non ha preso fuoco. pic.twitter.com/p4AxSHxAJI