Lagebild Ukraine Düstere Aussichten für Kiew

Philipp Dahm

7.12.2023

Selenskyj zeigt sich trotz stockender Militärhilfe siegessicher

Selenskyj zeigt sich trotz stockender Militärhilfe siegessicher

Ein Selfie mit dem Präsidenten. Am Tag der Streitkräfte besuchte Wolodymyr Selenskyj am 6. Dezember ein Militärkrankenhaus in Kiew, um verwundete Soldaten zu würdigen und ihnen für ihren Einsatz im Krieg gegen Russland zu danken. In einer Videobotschaft hatte sich der ukrainische Präsident zuvor zuversichtlich im Kampf gegen die Invasoren gezeigt, trotz stockender Finanz- und Militärhilfe aus dem Westen.

07.12.2023

Befestigungen statt Gegenoffensive: Schwindende Hilfe aus dem Westen forciert einen Taktik-Wechsel in Kiew. Dass die Armee auch in der Defensive offensiv werden und hohe Verluste verursachen kann, zeigt Awdijwka.

Philipp Dahm

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Der US-Kongress gibt keine weiteren Ukraine-Hilfen frei: Laut Experten stagniert oder schwindet die Unterstützung des Westens.
  • Auch das sorgt dafür, dass Kiew seine Taktik überdenkt: Die Gegenoffensive ist vorbei – nun ist Defensive gefragt.
  • Auch Verteidiger können offensiv sein: Im Norden von Awdijwka fügt die ukrainische Armee den Russen erneut schwere Verluste zu.
  • Kiews Kräfte sind eigentlich nirgendwo mehr in der Offensive. Bei Bachmut und im Norden der Front kommt – wenn überhaupt – Russland voran.

Für Wolodymyr Selenskyj geht das Jahr düster zu Ende. Nicht nur wegen der kurzen Wintertage. Lange Gesichter gibt es in Kiew wegen der erlahmenden Hilfe aus dem Westen. Gerade hat sich der US-Kongress erneut geweigert, dem Weissen Haus die Mittel für die Ukraine freizugeben: Washington macht Wladimir Putin damit «das grösste Geschenk», kommentierte Joe Biden konsterniert.

«Die Dynamik der Unterstützung für die Ukraine hat nachgelassen» attestiert dann auch das Kiel Institut für Weltwirtschaft. «Die neu zugesagte Hilfe hat zwischen August und Oktober 2023 einen Tiefstand erreicht – sie ist um fast 90 Prozent gegenüber dem gleichen Zeitraum im Jahr 2022 gesunken.»

Auch das ist ein Grund dafür, dass die ukrainische Gegenoffensive vorbei ist – oder sogar «gescheitert». Wolodymyr Selensky nannte es eine «neue Phase», in die der Krieg eingetreten sei. Die Front solle nun befestigt werden. Mychajlo Podoljak, Berater des Präsidialamts der Ukraine, schreibt auf X, es müsse «taktische Anpassungen» geben: «Wir sind bereits dabei, eine andere Kriegstaktik anzuwenden.»

Die Realität ist, dass die ukrainische Armee allenfalls am linken, östlichen Dnipro-Ufer noch offensiv vorgeht, doch nachhaltig ist das ohne einen ungefährdeten Nachschubweg über den Fluss nicht. Stattdessen spielt Russland gerade sein Übergewicht an Mensch und Material aus.

Verteidiger greifen in Awdijwka an

Das zeigt sich in Awdijwka besonders schonungslos: Der Kreml schickt Welle um Welle gegen die Stadt. Ziel ist es, den Nachschubweg von Westen her zu kappen, um die Festung zur Aufgabe zu zwingen. Das könnte über eine Zangenbewegung über die vorgelagerten Dörfer geschehen – oder durch die Einnahme des nordwestlichen Industriequartiers der Stadt.

Die Verbindungsstrasse 00542 müsste entweder im Dorf Orliwka unterbrochen werden oder aber gestört werden, in dem das Industriequartier eingenommen wird, an der sie vorbeiführt.
Die Verbindungsstrasse 00542 müsste entweder im Dorf Orliwka unterbrochen werden oder aber gestört werden, in dem das Industriequartier eingenommen wird, an der sie vorbeiführt.
Bild: Google Maps

Die ukrainische Armee ist aber nicht nur in der Defensive. Denn zu einer guten Verteidigung gehören durchaus gezielte Gegenangriffe. Zu sehen ist das im Kampf um das Industriequartier von Awdijwka:

Siehe auch: 

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Zu einer guten Verteidigung gehört auch, kommende Angriffe unmöglich zu machen. Der nördliche Teil der russischen Zange wurde von Horliwka aus versorgt, doch nach der Sprengung einer Brücke läuft nun alles über Donezk. Und dort haben HIMARS-Raketenwerfer zugeschlagen und ein Nachschubzentrum der Russen getroffen.

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Kiew kommt nicht voran

Während in Vorstösse in Saporischschja, bei Robotyne und Urozhaine jetzt offenbar kaum mehr Energie gesteckt wird, wird die ukrainische Arme an anderen Orten langsam und zäh wieder zurückgedrängt.

Die russische Armee frisst sich durch: Bachmut ist inzwischen klar in ihrer Hand. 
Die russische Armee frisst sich durch: Bachmut ist inzwischen klar in ihrer Hand. 
Bild: DeepState;ap

Südlich von Bachmut bei Klischtschijwka und nördlich der Stadt bei Yahidne verliert Kiew an Boden.

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Auch weiter nördlich bei Kreminna geht nichts voran. Hier eine aktuelle Karte der Lage:

Und so sah es am 28. Juli 2023 aus:

MilitaryLand

Waffen-Update

Die Ukraine erhält ein weiteres Waffen-Paket aus den USA. Wer nun zu Recht einwendet, der Kongress habe doch die Mittel blockiert, rechnet nicht damit, dass von den genehmigten Finanzen nicht alle ausgeschöpft sind. 4,8 Milliarden Dollar liegen noch in einem Topf, über den der Präsident verfügt. Und 1,1 Milliarden stehen in Form von Material zur Verfügung, meldet Pentagon-Sprecher Pat Ryder.

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Das jüngste Paket umfasst Munition im Wert von 175 Millionen Dollar: Dazu zählen 105-Millimeter- und 155-Millimeter-Granate für die Artillerie, Flugabwehr-, Himars-, Anti-Radar-, und Panzerabwehr-Raketen sowie Minenräumgerät.

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Das ukrainische Verteidigungsministerium hat dem Pentagon laut «Reuters» trotz der Umstände eine Wunschliste gesandt: Darauf stehen demnach F/A18- und F-16-Kampfjets, Transportflugzeuge vom Typ C-17 Globemaster und C-130 Super Hercules, Helikopter vom Typ AH-64 0 und UH-60 Black Hawk, Abrams-Panzer, Artillerie, ATACMS-Reketen und das Flugabwehrsystem THAAD.