Tote Fische, durstige KüheSo leidet Europa unter der «dramatischen» Trockenheit
Von Sylvie Corbet und Nicolas Garriga, AP
13.8.2022 - 23:55
Oder-Fischsterben: Bundesumweltministerin fordert «vollständige Aufklärung und Transparenz» von Polen
STORY: Die deutsche Bundesumweltministerin fordert von Polen eine umfassende Aufklärung der Gewässerverunreinigung in der Oder, die zu einem massiven Fischsterben geführt hat. Am Samstag machte sich Steffi Lemke in Frankfurt/Oder selbst ein Bild der Lage. Vor allem Untersuchungsdaten seien die polnischen Behörden bisher schuldig geblieben, so Lemke. «Das heisst, das, was auf Brandenburger Seite als Erstanalyse vorliegt, gibt es von der polnischen Seite bisher nicht. Ich plane gegenwärtig, einen Termin morgen Abend in Stettin mit der polnischen Kollegin gemeinsam noch mal zu machen. Hoffe dann weitere Erkenntnisse dort zu haben und erwarte natürlich von der polnischen Seite eine vollständige Aufklärung und vollständige Transparenz darüber, was passiert ist, was zu dieser Katastrophe geführt hat.» Sie wisse nicht, wann sich die Belastung der Oder so weit verdünnt haben wird, dass sie für Natur und Menschen nicht mehr gefährlich sei, sagte Lemke. Das deutsche Umweltministerium erklärte, es könne mehr als eine Ursache geben, und verwies auf niedrige Wasserstände und hohe Temperaturen aufgrund der jüngsten Hitzewellen.
14.08.2022
Seen trocknen aus und Pegelstände sinken, Futter für Vieh wird knapp. In weiten Teilen Europas fehlt dringend benötigter Regen. Aber der ist nicht in Sicht – es droht die schlimmste Dürre der letzten 500 Jahre.
13.08.2022, 23:55
14.08.2022, 11:03
dpa/twei
Wo einst das Wasser floss, ist nur trockener Staub geblieben. Das ausgedörrte Flussbett der Tille in Lux im Burgund bedecken jede Menge tote Fische, als traurige Opfer der seit Monaten anhaltenden folgenschweren Trockenheit.
Von ausgetrockneten Seen und Bächen über leere Rückhaltebecken bis zu fallenden Pegelständen an grossen Wasseradern wie Donau, Rhein oder Po: Unter der vom Klimawandel getriebenen schweren Dürre leidet nahezu die Hälfte Europas. Sie trifft die Landwirtschaft, sorgt für Knappheit bei der Wasserversorgung, bedroht Flora und Fauna in Flüssen und Seen und bereitet den Nährboden für verheerende Waldbrände.
Seit rund zwei Monaten hat es in vielen Regionen nicht mehr richtig geregnet – und ein Ende der trockenen Zeit ist nicht in Sicht. Experten warnen bereits, dass es die schlimmste Dürre der vergangenen 500 Jahre werden könnte.
«Es ist dramatisch»
«Es bricht einem das Herz», sagt Jean-Philippe Couasné vom Verband für Fischerei und Wasserschutz in Lux, als er das trockene Bett der Tille abgeht und auflistet, welche Fischarten hier verendet sind. 15 Meter ist der leere Lauf breit. «Im Durchschnitt fliessen sonst rund 8000 Liter pro Sekunde», erklärt Couasné. «Und jetzt: Null Liter.»
Ohne Regen werde sich das Flussbett nicht füllen, sagt er. «Und ja, alle Fische werden sterben.» Einige haben sich derzeit über Fischtreppen in Becken weiter oben im Flusslauf gerettet. Doch die Fische seien gefangen, meint Couasné. «Es kommt kein Wasser nach, der Sauerstoffgehalt wird sinken.»
Die Fische in andere Flüsse umzuleiten, bringe nichts, erklärt der Regionalleiter des Verbandes, Jean-Pierre Sonvico. Denn diese seien ebenso von der Entwicklung betroffen und wären dann zu voll, was zu weiterem Fischsterben führen würde. «Es ist dramatisch», sagt Sonvico. «Denn was können wir tun? Nichts.» Es bleibe nur Warten und Hoffen auf Regen.
Britische Regierung ruft Dürre aus
Schon 2018 habe es eine extreme Dürre gegeben, die mit keinem derartigen Ereignis der vergangenen 500 Jahre vergleichbar gewesen sei, umschreibt Andrea Toreti von der Europäischen Dürrebeobachtungsstelle (EDO), einem Dienst der Gemeinsamen Forschungsstelle der Europäischen Kommission, die Entwicklung. «Aber in diesem Jahr, denke ich, ist es tatsächlich noch schlimmer», sagt er.
Die Forschungsstelle warnte erst dieser Tage, dass der Zustand sich weiter verschlechtern werde. Für die nächsten drei Monate gebe es weiter «ein sehr grosses Risiko» der Trockenheit in West- und Mitteleuropa und in Grossbritannien, ergänzt Toreti. Die britische Regierung rief am Freitag für den Süden und die Mitte von England eine Dürre aus.
Die aktuelle Lage sei eine Folge langer trockener Perioden aufgrund von Änderungen in den globalen Wettersystemen, erklärt der Meteorologe Peter Hoffmann vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Im Sommer sei das nun am stärksten zu spüren, aber die Dürre baue sich über das ganze Jahr auf.
Schifffahrt steht vor Herausforderungen
Zu sehen sind die Folgen quer durch Europa. Selbst bei den grossen Flüssen sind sie nicht zu leugnen. Auf dem Rhein und der Donau droht die Schifffahrt ausgebremst zu werden. Dabei könnte der Rhein schon in den kommenden Tagen einen kritischen Stand erreichen.
Um die Donau in ihrer Region schiffbar zu halten, haben die Behörden in Serbien bereits angefangen, Sand abzubaggern und so die Rinne zu vertiefen. Am Po, dem längsten Fluss Italiens, tauchen derweil wieder Boote auf, die vor Jahrzehnten sanken.
Auch Viehhaltung beeinträchtigt
Auch in Ländern wie Spanien und Portugal, die lange niederschlagsfreie Zeiten gewohnt sind, sind die Konsequenzen der Dürre schwer zu verkraften – und für manche gar nicht. In Andalusien beispielsweise, wo der Vinuela-Stausee auf einen Niedrigstand seiner Kapazität von nur noch 13 Prozent sank, mussten Avocado-Farmer bereits Hunderte Bäume opfern, um andere noch zu retten. Vor einem Jahr lag der Wasserstand um diese Zeit bei 55 Prozent.
Wie es weitergeht, macht auch der Viehhaltung Sorgen. Seine Milchkühe litten unter der Trockenheit, die Menge und Güte der Milch nehme ab, sagt Baptiste Colson in der Ortschaft Moloy im Burgund. Das sonst grüne Gras ist gelb und braun. Er sei bereits gezwungen, seine Futtervorräte für den Winter anzubrechen, beklagt Colson. Und sein diesjähriger Futtermaisanbau werde vermutlich um ein Drittel geringer ausfallen. Wie er die Tiere ernähren soll, macht ihm Kopfzerbrechen. «Das ist die grösste Sorge», sagt Colson.
Gardasee in Italien verliert Wasser
Auch der Gardasee in Italien lässt erkennen, dass die schlimmste Dürre im Land seit Jahrzehnten etwas mit ihm macht: Der Wasserstand nähert sich dem bislang niedrigsten Wert, der jemals dort registriert wurde. Zu sehen sind Felsen, die zuvor unter Wasser lagen. Die steinige Fläche reicht weit von der Stelle weg, wo sich normalerweise das Ufer befindet. Um die Halbinsel Sirmione herum liegt dadurch zwischen den Grüntönen des Wassers und der Bäume an Land ein heller Streifen.
«Wir sind letztes Jahr gekommen, es hat uns gefallen, und dieses Jahr sind wir wieder gekommen», sagte die Touristin Beatrice Masi. «Wir fanden, dass sich die Landschaft sehr verändert hat. Wir waren ein wenig schockiert, als wir ankamen, weil wir unseren normalen Spaziergang gemacht haben und das Wasser nicht da war.»
Das Wasser im See hat karibische Temperaturen. Nach Angaben der Webseite seatemperature.org liegen sie über der Durchschnittswassertemperatur für August von 22 Grad. Am Freitag wurden im Gardasee knapp 26 Grad gemessen. In der Karibik liegt die Durchschnittstemperatur bei etwa 27 Grad.