Putins explosiver RostkahnSchwimmende Hiroshima-Bombe irrt durch die Nordsee
Von Andreas Fischer
27.9.2024
Seit Wochen irrt ein beschädigter Frachter mit explosiver Ladung durch die Nordsee. Die «Ruby» hat 20'000 Tonnen Ammoniumnitrat aus Russland geladen: mit der Sprengkraft einer Atombombe. Wohin geht die Reise?
Andreas Fischer
27.09.2024, 04:30
Andreas Fischer
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Der Frachter «Ruby» fährt Ende August in einem russischen Hafen los und havariert nach Angaben der Reederei kurz darauf.
An Bord des Schiffs: Ammoniumnitrat, eine hochexplosive Ladung mit gewaltiger Sprengkraft. Mehrere Länder verweigern dem Schiff die Einfahrt in ihre Häfen.
Fachleute finden das Verhalten von Crew und Reederei «verdächtig».
Die Ladung ist explosiv, das Vorgehen zumindest verdächtig: Seit mehr als vier Wochen dümpelt der unter maltesischer Flagge fahrende Frachter «Ruby» durch die Nordsee. Die Crew der «Ruby» gibt an, technische Probleme zu haben. Ruder und Rumpf seien beschädigt.
Einen Hafen zur Reparatur anlaufen, darf die «Ruby» allerdings nicht. Zu gefährlich, sagen die Behörden in Norwegen, Schweden, Dänemark. Auch Litauen winkte bereits ab, und zuletzt verweigerte Malta die Einfahrt.
Doch der Reihe nach.
Frachter hat Sprengkraft einer Atombombe
Die «Ruby» wird von einer russischen Crew betrieben und hat 20’000 Tonnen Ammoniumnitrat aus russischer Produktion geladen. Die Chemikalie wird für Düngemittel verwendet oder für Sprengstoff – und sie ist hochgefährlich, wie die verheerende Explosion in Beirut im August 2020 zeigte.
In der libanesischen Hauptstadt flogen vor vier Jahren etwa 2700 Tonnen Ammoniumnitrat in die Luft. Die «Ruby» hat sieben Mal so viel gebunkert. Gegenüber «Newsweek» erklärt Roland Alford, Geschäftsführer einer Sprengstoff-Unternehmens, dass es sich um die «bei weitem grösste unbeabsichtigte Explosion von Ammoniumnitrat handeln würde, wenn es zur Detonation käme».
Sollte die Ladung explodieren, entspräche die Sprengkraft in etwa der Atombombe von Hiroshima. Ein solchen potenziellen Sprengsatz will niemand vor der Haustür haben.
Mysteriöse Odyssee
Anfang September berichtet die norwegische Zeitung «The Barents Observer», dass die «Ruby» am 22. August den russischen Hafen Kandalakscha auf der Halbinsel Kola mit dem Ziel Kanarische Inseln verlassen hat. Die «Ruby» war ursprünglich auf der nordrussischen Halbinsel Kola in See gestochen. Unter unklaren Umständen zog sie sich kurz nach dem Verlassen des russischen Hafens Schäden zu, fuhr jedoch weiter und habe einen sicheren Hafen gesucht.
Nach einiger Zeit im Hafen von Tromsö sei das Schiff dann aufgefordert worden, diesen Hafen zu verlassen und eine Position anzusteuern, wo es vor Anker repariert werden könne. Die folgenden Tage und Wochen verbrachte das 183 Meter lange Schiff in der Nordsee, ohne einen Hafen zu finden. Wie die «Welt» berichtet, wurde der Frachter zwischenzeitlich von einem Schlepper durch das Kattegat in Richtung dänische Ostsee geschleppt.
Sowohl Norwegen als auch Schweden und Litauen verweigerten der «Ruby» die Einfahrt. Das dänische Schifffahrtsamt hatte dem Frachter die Durchfahrt durch dänische Gewässer nur mit einem Lotsen an Bord erlaubt. Schliesslich nahm das Schiff Kurs auf Malta, wo es am 8. Oktober im Hafen Marsaxlokk eintreffen sollte, wie aus Online-Angaben der Schiffs-Trackingdienste Vesselfinder und Marinetraffic hervorgeht.
Schäden sind unklar
Doch auch Malta verweigerte dem beschädigten Frachter die Einfahrt. Das Schiff dürfe nur dann in einen maltesischen Hafen einlaufen, wenn es zuvor seine Ladung gelöscht habe, teilte die Verkehrsbehörde in Valletta mit. Die Behörde wies die Crew an, die Ladung auf Schiffe ausserhalb der maltesischen Hoheitsgewässer umzuladen.
Unklar bei der mysteriösen Odyssee ist, wie stark der Frachter wirklich beschädigt ist. Dag Inge Aarhus von der norwegischen Schifffahrtsbehörde sagte der ARD: «Die Reederei hat uns mitgeteilt, dass es Schäden am Rumpf und am Schiffspropeller gibt und dass ein bisschen Wasser eingedrungen ist.»
Was bezweckt Russland mit der «Ruby»?
Der Weg des Frachters war wegen seiner Ladung von mehreren Anrainerstaaten der Nord- und Ostsee in den vergangenen Tagen genau verfolgt worden. Eine unmittelbare Gefahr gehe von der «Ruby» aber nicht aus, sagte der Sprengstoffexperte Peter Hald von der dänischen Universität Aarhus dem dänischen Sender DR. «Es ist nicht so, dass es explodiert, wenn das Schiff irgendwo anstösst oder jemand etwas in die Ladung fallen lässt.» Das Gute an Ammoniumnitrat sei: «Es ist eigentlich ziemlich schwer zu entzünden.»
Denn warnen Experten seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine vor einer «Schattenflotte» aus häufig veralteten und schlecht gewarteten Schiffen unter Flagge von Drittstaaten, die russische Güter durch Ost- und Nordsee transportieren. Jacob Kaarsbo vom dänischen Think Tank Europa sagte DR, die «Ruby» verhalte sich «verdächtig». Er schliesse nicht aus, dass das Schiff Teil eines hybriden Kriegs ist, mit dem Putins Russland die Reaktion der nordeuropäischen Staaten testen wolle, sagte Kaarsbo.