Viele Opfer in BeirutExplodierten 2750 Tonnen Ammoniumnitrat?
dpa/dor
5.8.2020
Blutende Menschen irren durch Schutt und Staub, nachdem Beirut von einer riesigen Explosion erschüttert wurde. Auslöser für die Detonation mit Dutzenden Toten und Tausenden Verletzten könnte eine sehr grosse Ladung Ammoniumnitrat sein. US-Präsident Donald Trump spekuliert derweil über eine «Art von Bombe».
Nach der gewaltigen Detonation in Beirut beginnt im Libanon die Suche nach möglichen Ursachen. Es soll mindestens 4'000 Verletzte geben, bisher sind 78 Todesopfer bestätigt, sagte der libanesische Gesundheitsminister. Ausgelöst haben könnte die schwere Explosion eine sehr grosse Menge Ammoniumnitrat: Schätzungsweise 2'750 Tonnen der gefährlichen Substanz seien jahrelang ohne Sicherheitsvorkehrungen im Hafen von Beirut gelagert worden, sagte Ministerpräsident Hassan Diab dem Präsidialamt zufolge. Hinweise auf einen Anschlag oder einen politischen Hintergrund gab es am Dienstag nicht.
Die Explosion stürzte die libanesische Hauptstadt, deren Bevölkerung derzeit schon unter einer schweren politischen und wirtschaftlichen Krise leidet, in noch tieferes Chaos. Durch die Erschütterung zerbarsten Fenster, Trümmerteile schlugen Löcher in Wände. Blutende Menschen wanderten durch Schutt und Staub, einige Strassen waren voller Glasscherben. Grosse Teile des Hafens wurden vollständig zerstört. Beirut, in dessen Grossraum schätzungsweise bis zu 2,4 Millionen Menschen leben, wurde zur «Katastrophen-Stadt» erklärt.
Ammoniumnitrat, das auch zur Herstellung von Sprengsätzen dient, kann bei höheren Temperaturen detonieren. Die Substanz dient zum Raketenantrieb und vor allem zur Herstellung von Düngemittel. Die farblosen Kristalle befanden sich auch in dem Gefahrgutlager der chinesischen Hafenstadt Tianjin, wo 2015 nach einer Serie von Explosionen 173 Menschen getötet wurden. In Schweiz fällt die Handhabung von Ammoniumnitrat unter die Sprengstoffverordnung.
Der Stoff könnte von einem Frachtschiff stammen, dem libanesische Behörden laut Berichten im Jahr 2013 wegen verschiedener Mängel die Weiterfahrt untersagt hatten. Das Schiff war demnach von Georgien aus ins südafrikanische Mosambik unterwegs. Der Besatzung gingen dann Treibstoff und Proviant aus, der Inhaber gab das Schiff offenbar auf. Der Crew wurde nach einem juristischen Streit schliesslich die Ausreise genehmigt. Das Schiff blieb zurück mit der gefährlichen Ladung, die in einem Lagerhaus untergebracht wurde.
Schweizer Botschafterin leicht verletzt
Bei der Detonation hatte sich eine riesige Pilzwolke am Himmel gebildet. Eine Druckwelle breitete sich blitzschnell kreisförmig aus. Noch Kilometer weiter gab es Schäden. So sind laut dem Aussendepartement (EDA) in Bern auch die Schweizer Botschaft und die Residenz der Botschafterin stark beschädigt worden. Botschafterin Monika Schmutz sei dabei leicht verletzt worden und habe sich für weitere Abklärungen ins Spital begeben. Das übrige Botschaftspersonal sei wohlauf.
I am deeply saddened by the aftermath of the serious explosion in Beirut. My sympathy goes to the families of the victims and to the entire population of Lebanon. Switzerland is ready to help the people of 🇱🇧 should the need arise.🇨🇭 and 🇱🇧 stand together!
Die Schweizer Vertretung im Libanon klärt nun ab, ob weitere Schweizer Staatsangehörige von der Explosion betroffen sind. Bislang liegen dazu noch keine Hinweise vor, wie es am Dienstagabend vom EDA weiter hiess.
Nationalratspräsidentin Isabelle Moret und Ständeratspräsident Hans Stöckli zeigten sich in einem gemeinsamen Tweet noch am Dienstagabend «tief erschüttert über die zwei Explosionen am Hafen von Beirut, die zahlreiche Menschenleben und hunderte von Verletzten forderten».
NRP @IsabelleMoret und SRP @HansImStoeckli sind tief erschüttert über die zwei Explosionen am Hafen von Beirut, die zahlreiche Menschenleben und hunderte von Verletzten forderten. Sie sprechen den Opfern sowie deren Familien ihr tiefstes Beileid aus.
Beschädigt wurden auch der Regierungspalast, die finnische Botschaft und die Residenz von Ex-Ministerpräsident Saad Hariri. Am Suk Beirut, einer modernen Einkaufsgegend, zerbarsten Fensterscheiben. Auch ein Schiff der UN-Friedenstruppen im Libanon (Unifil) wurde beschädigt. Es seien Blauhelm-Marinesoldaten verletzt worden, teilte die Mission mit.
Präsident Michel Aoun rief für Mittwoch eine Dringlichkeitssitzung des Kabinetts ein, um die Ursachen der Explosion zu klären. «Ich werde nicht ruhen, ehe ich den Verantwortlichen kenne und ihm die härteste Strafe gebe», sagte Aoun laut Zitaten des Präsidialamts bei Twitter. Regierungschef Diab erklärte den Mittwoch zum Tag landesweiter Trauer in Gedenken an die Opfer. Für die Stadt wurde ein zwei Wochen langer Notstand verhängt.
Kanzlerin #Merkel zu Explosionen in #Beirut: Die Bundesregierung ist erschüttert über die Berichte und Bilder. Unsere Gedanken sind bei denen, die Angehörige verloren haben. Den Verletzten wünschen wir eine schnelle Genesung. Wir werden dem Libanon unsere Unterstützung anbieten.
Regierungen anderer Länder zeigten sich betroffen und stellten rasche Unterstützung in Aussicht. Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigte sich «erschüttert», wie die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer die Kanzlerin zitierte. Deutschland stehe dem Libanon in der «schweren Stunde zur Seite», twitterte Deutschlands Aussenminister Heiko Maas. Auch Mitarbeiter der Deutschen Botschaft seien unter den Verletzten.
Auch die Europäische Union und Frankreich – frühere Mandatsmacht des Libanon – stellten Hilfen in Aussicht. UN-Generalsekretär António Guterres reagierte bestürzt und drückte den Familien der Opfer sein «tiefstes Beileid» aus.
Trump spekuliert über Bombe
US-Präsident Donald Trump schien den Vorfall als Anschlag einzustufen: «Seine Generäle» gingen von einer «Art von Bombe» aus, sagte Trump im Weissen Haus. Die Explosion deute nicht auf einen Unfall hin, sagte Trump unter Berufung auf seine Militärberater.
Es sei unklar, wo Trump seine Informationen herhabe, sagten zwei US-Regierungsvertreter, die nicht mit Namen genannt werden wollten, gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. Basierend auf ersten Informationen gebe es aber keine Hinweise auf einen Angriff.
Selbst Israel, das mit dem benachbarten Libanon keine diplomatischen Beziehungen pflegt, bot über ausländische Kanäle «medizinische humanitäre Hilfe» an. Offiziell befinden sich beide Länder noch im Krieg. Spekulationen, dass Israel hinter der Explosion stecken könnte, räumte Aussenminister Gabi Aschkenasi aus.