Von wegen Bedrohung Russlands Kasernen an der Nato-Nordgrenze sind so gut wie leer

Von Philipp Dahm

19.9.2023

Einfach erklärt: Darum ist Finnlands Nato-Beitritt für Putin eine Katastrophe

Einfach erklärt: Darum ist Finnlands Nato-Beitritt für Putin eine Katastrophe

Finnlands Beitritt zur Nato wird teuer: Russland muss die 1340 Kilometer lange Grenze zum Neumitglied sichern, die zudem den Murmansk-Korridor zur Halbinsel Kola bedroht – inklusive des Atom-Arsenals.

12.04.2023

Während russische Medien immer wieder gerne schwadronieren, Russland stünde im Krieg mit der Nato, scheint der Kreml in dem Bündnis keine Bedrohung zu sehen: Die Kasernen nahe Finnland und Norwegen sind leer.

Von Philipp Dahm

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  • Weitere Mobilisierung droht: Der russischen Armee fehlen Soldaten.
  • An der Grenze zu Norwegen stehen nur noch maximal 20 Prozent der Truppen im Vergleich zur Vorkriegszeit.
  • Auch an der Grenze zu Finnland gebe es kaum Soldaten, heisst es aus Helsinki.
  • Das zeigt nach Meinung westlicher Militärs, dass Russland die Nato tatsächlich nie als Bedrohung empfunden habe.
  • Russland errichtet allerdings neue Gebäude in den Kasernen in der Nähe von Finnland.
  • Das russische Militär bräuchte nach US-Einschätzung fünf bis zehn Jahre, um sich nach dem Krieg zu erholen.

Seit Wochen schon geht ein Gespenst in Russland umher – das Gespenst der Mobilisierung. Eine weitere Welle wird nicht nur von der Ukraine erwartet: Kiews Generalstab rechnet mit 400'000 bis 700'000 Rekruten, die neu eingezogen würden. Wegen «katastrophaler Verluste» werde die «zwangsweise Massenmobilisierung bald» erfolgen.

Auch im Kreml werde trotz offizieller Dementis eine solche Massnahme diskutiert, will das Institute for the Study of War wissen. Prorussische Telegram-Kanäle würden zudem von «ernsten» Vorbereitungen berichten. Demnach sollen zunächst bis zum Oktober bis zu 175'000 Reservisten aufgeboten und bis November noch einmal 130'000 Soldaten zwangsweise eingezogen werden.

Ob das stimmt, muss sich zeigen – Tatsache ist: Die Personaldecke des russischen Militärs ist zu dünn. Das zeigt sich einerseits nahe Bachmut oder im Süden der Ukraine, aber auch an der Heimatfront: An der Nord-Grenze der Nato haben sich die Kasernen systematisch geleert.

Norwegen, das eine knapp 200 Kilometer lange Grenze zu Russland hat, verzeichnet nur noch einen Schatten früherer Stärke: «An unserer Grenze gibt es vielleicht 20 Prozent oder weniger der Kräfte im Vergleich zur Zeit vor dem 24 Februar 2022», erklärt General Eirik Kristoffersen.

«Russland weiss, dass die Nato keine Bedrohung ist»

Das zeige, dass Wladimir Putin «sehr genau» wisse, dass die Nato keine Bedrohung für sein Land sei. «Wenn er glauben würde, wir würden Russland bedrohen, hätte er seine Truppen nicht für den Krieg in der Ukraine abgezogen.»

Aus Finnland kommen ähnliche Meldungen: Helsinki, das die Nato-Grenze zu Russland mit dem Beitritt im April um satte 1340 Kilometer verlängert hatte, hat eigentlich erwartet, dass Moskau mehr Männer verlegt, räumt Aussenministerin Elina Valtonen in der «Financial Times» ein. Aber: «Man muss sagen, dass unsere Grenze während des Krieges ziemlich leer ist.»

Die 41-Jährige zieht den gleichen Schluss wie der norwegische General Kristoffersen: «Wenn [die Nato] eine Bedrohung wäre, hätten sie sicher nicht ihre Truppen abgezogen.» Nato-Admiral Rob Bauer stösst ins selbe Horn: «Russland weiss, dass die Nato keine Bedrohung ist, weil wir nicht vorhaben, anzugreifen», erklärt der Niederländer. «Sonst hätten sie ganz anders auf Finnlands Beitritt reagiert.»

Putins Militär braucht angeblich 5 bis 10 Jahre zur Erholung

Das heisst jedoch offenbar nicht, dass das zukünftig nicht auch anders sein wird: Wie die finnische «Yle» berichtet, wird die Militärbasis in Alakurtti in Murmansk ausgebaut, die rund 45 Kilometer von der Grenze entfernt liegt. Dort seien drei neue Gebäude hochgezogen worden, zeigten Satellitenbilder. Auch in Petrosawodsk in Karelien, das 175 Kilometer von der Grenze entfernt ist, sei eine Basis erweitert worden.

Russische Militärbasis im Dorf Alakurtti – keine Soldaten, dafür neue Gebäude.
Russische Militärbasis im Dorf Alakurtti – keine Soldaten, dafür neue Gebäude.
Google Earth

Dass Russland nach dem Krieg schnell wieder zu einer Bedrohung für die Nato werden könnte, muss jedoch bezweifelt werden. Zu den russischen Verlusten gibt es keine verlässlichen Zahlen. Ein Indiz: Das russische Arbeitsministerium hat angeblich 230'000 Zertifikate für Angehörige verstorbener Soldaten angefordert.

Neben den Gefallenen sind viele Russen verletzt worden oder kommen mit posttraumatischer Belastungsstörung zurück, ergänzt die RAND Corporation: Die kalifornische Denkfabrik warnt vor einer «personellen Krise». Und im Ausschuss des US-Senats, der die Streitkräfte kontrolliert, hiess es im Mai: Was Russland an militärischer Stärke gehabt habe, sei «grossteils verschwunden».

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Die Verluste an Mensch und Material auszugleichen, werde dauern, prognostizierte Generalleutnant Scott Berrier: «Die Schätzungen reichen von fünf bis zehn Jahren – je nachdem, wie die Sanktionen [die Russen] und ihre Fähigkeit beeinflussen, ihre Streitkräfte wieder mit Technologien auszurüsten.» Bei Offensivkräften nehme der Prozess noch mehr Zeit in Anspruch, kann der Amerikaner Entwarnung geben.