Lohnende ErweiterungSo viel bringt Schweden in die Nato ein
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Von Philipp Dahm
11.07.2023, 15:49
Philipp Dahm
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Mit Schwedens Beitritt verstärken «Weltklasse»-U-Boote und Tarn-Korvetten die Nato.
Auch die Luftwaffe ist mit dem flexiblen Gripen eine Bereicherung.
Schweden ist bei der Herstellung von Hightech-Raketen international top.
Die Ostsee wird zu einem Nato-Binnengewässer, dessen Verkehr von der Insel Gotland aus einfach kontrolliert werden kann.
Russlands eisfreie Häfen in St. Petersburg und Kaliningrad wären im Kriegsfall wirkungslos.
Schwedens breit aufgestellte Rüstungsindustrie wird vom Beitritt profitieren.
Auf dem Papier sind die schwedischen Streitkräfte winzig. 23’600 Personen schieben aktiv Dienst. Die Reserve ist 31’300 Männer und Frauen stark. Finnland hat dagegen zwar nur 22’000 Aktive, dafür aber eine Reserve von rund 900’000 Soldatinnen und Soldaten. Als es in Schweden auch noch eine Wehrpflicht gab, konnten 800’000 Menschen mobilisiert werden.
Bei den Landstreitkräften steht Helsinki besser da als Stockholm: Finnland unterhält mehr Panzer (239 zu 121), mehr Artillerie-Systeme (72 zu 48) und mehr Raketenwerfer (100 zu 0). Doch in den anderen Bereichen hat Schweden die Nase vorn: Die schwedische Marine, die Luftwaffe und die Raketen-Einheiten müssen den Vergleich mit anderen Nato-Staaten nicht scheuen.
Die Marine verfügt zwar nur über fünf U-Boote, doch diese gehören in die Kategorie «Weltklasse», erklärt Tomas Ries von der Stockholmer Försvarshögskolan, also der Verteidigungshochschule, dem «Militaire Spectator». Damit meint er die drei U-Boote der Gotland-Klasse, die speziell für den Einsatz in flachen Gewässern konzipiert worden sind.
Wie schwer diese aufzuspüren sind, hat sich 2005 gezeigt, als es der Gotland bei einem Manöver gelang, den amerikanischen Flugzeugträger USS Ronald Reagan virtuell anzugreifen, ohne dass das 6,2 Milliarden Dollar teure Schiff das schwedische U-Boot bemerkt hat. 2027 und 2028 sollen zwei neue U-Boote der Blekige-Klasse folgen, die die beiden Boote der Södermanland-Klasse ersetzen.
Schwedens Hightech-Marine
Auch die fünf Korvetten der Visby-Klasse stechen heraus: Die Schiffe sind auf dem Radar nur schwer zu erkennen, mit 35 Knoten relativ schnell, mit Antischiffsraketen, Torpedos, Minen und Wasserbomben bewaffnet und sollen demnächst auch mit Flugabwehr-Raketen bestückt werden.
Gefragt sind auch die Schnellboote der Schweden: Das Stridsbåt 90, also Kampfboot 90, wird bis zu 40 Knoten schnell und ist bereits nach Norwegen, Mexiko und Malaysia verkauft worden. Auch die USA haben zwei Exemplare erstanden – und zeitweise übrigens auch die HSwMS Gotland geleast, um die eigenen Träger künftig besser schützen zu können.
Für ein Land mit gut zehn Millionen Einwohnern hat Schweden ausserdem eine formidable Luftwaffe. Das liegt am heimischen Kampfflugzeug JAS 39 Gripen, das exakt auf die Bedürfnisse des skandinavischen Landes zugeschnitten ist. Der Gripen ist günstig, braucht bloss eine kurze Start- und Landebahn und ist einfach zu warten.
Nato übernimmt die Kontrolle über die Ostsee
Der Jet ist kompatibel mit fast allen Nato-Waffen, hat ein starkes Radar und ist in der neuesten Version Gripen E sogar in der Lage, ohne den Einsatz von Nachbrennern Schallgeschwindigkeit zu erreichen. Supercruise nennt man das. Mit der Saab GlobalEye produziert Schweden ausserdem sein eigenes Frühwarn-Flugzeug, das auf einer Bombardier Global 6000 basiert.
Und während die Armee Schwedens winzig sein mag, schafft es das Land auch, einen eigenen Schützenpanzer zu entwerfen und zu bauen, der aktuell zu den besten der Welt zählt: Vom Combat Vehicle 90 sind gut 1400 Exemplare gebaut worden, von denen 186 in die Schweiz verkauft worden sind.
Und als wären das nicht schon genug Schmankerl für die Nato, macht der Beitritt Schwedens die Ostsee endgültig zu einem Meer unter Kontrolle des westlichen Bündnisses. St. Petersburg und Kaliningrad, die zu den wenigen eisfreien Häfen Russlands gehören, wären im Kriegsfall praktisch wertlos, weil Schweden über die Insel Gotland den gesamten Ostsee-Verkehr kontrollieren kann – und damit 15 Prozent des gesamten Welthandels.
Breite industrielle Basis
Stockholm, das 45 Prozent seines Bruttoinlandsproduktes (BIP) über die Ostsee verdient, kann nicht nur Jets auf Gotland stationieren, das deshalb als «unsinkbarer Flugzeugträger» gilt, sondern auch Raketen. Der schwedische Hersteller Kongsberg Defence & Aerospace hat die Naval Strike Missile entworfen, die eine Reichweite von 185 Kilometern hat, wenn sie vom Boden abgefeuert wird.
Die Joint Strike Missile von Kongsberg, die gegen Schiffe und Bodenziele aus der Luft abgeschossen wird, hat sogar eine Reichweite von über 500 Kilometern. Auch Flugabwehrraketen vom Typ NASAMS werden in Schweden gebaut: Die breit aufgestellte Rüstungsindustrie ist dann auch ein weiterer Pluspunkt für den Nato-Anwärter.
Tatsächlich ist Schweden der drittgrösste Waffen-Produzent, wenn man die Exporte auf die Bevölkerung umrechnet. In dieser Liste steht Israel mit 97,71 Dollar pro Kopf ganz oben. Dahinter folgt Russland mit 57,72 Dollar. Schweden belegt mit 53,05 Dollar Rang drei vor Belarus mit 35,71 Dollar und der Schweiz mit 25,63 Dollar.
Strategische Tiefe
Schwedens und Finnlands Nato-Beitritt wird insbesondere in den baltischen Staaten mit Erleichterung aufgenommen werden: Estland, Lettland und Litauen sind bisher zwischen der Ostsee und Russland eingequetscht. Durch die Norderweiterung bekommen sie mehr strategische Tiefe.
«Als Hightech-Land kann Schweden bei der Überwachung und bei See- und Land-Patrouillen in der Region beitragen», erklärt Tomas Ries. Und: «Schweden bietet einen Rückzugsraum für die baltischen Länder, was der Nato sehr gefällt.» Das Bündnis läuft nun nicht mehr Gefahr, Estland, Lettland und Litauen nicht mehr versorgen zu können, weil die Nato in der Ostsee das Sagen haben wird.
Noch gibt Schweden rund 1,2 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für die Verteidigung aus, doch bis 2026 soll das Nato-Limit von zwei Prozent erreicht sein. Wahrscheinlich wird Stockholm noch mehr Geld in die Hand nehmen: «Die Anforderungen an uns sind gestiegen», sagt der oberste Militär Micael Byden. «Wahrscheinlich brauchen wir mehr als zwei Prozent des BIPs.»
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