Putins Söldner-Armee Russland-Experte: «Exzessives Morden wird Wagner überlassen»

Christopher Schmitt

26.3.2023

Bachmut: Wagner-Chef bittet um Hilfe des russischen Militärs

Bachmut: Wagner-Chef bittet um Hilfe des russischen Militärs

Im Kampf um die strategisch wichtige ukrainische Stadt Bachmut im östlichen Gebiet Donezk hat die russische Privatarmee Wagner das Verteidigungsministerium in Moskau zu Hilfe gerufen. Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin veröffentlichte einen Brief an Verteidigungsminister Sergej Schoigu, in dem er um Verstärkung bittet. Prigoschin teilte mit, dass die ukrainischen Streitkräfte nach seinen Informationen Ende März, Anfang April eine grossflächige Offensive planten. Ziel sei es, die Wagner-Truppen von den russischen Streitkräften abzuschneiden. Schoigu solle dringend die nötigen Schritte einleiten, um das zu verhindern.

21.03.2023

Prigoschins Männer sind für die Operationen zuständig, die Moskau seinen regulären Soldaten nicht zumuten will. Ein Russland-Experte gab nun in einem Interview einen Einblick in das Innenleben der Söldner-Truppe.

Christopher Schmitt

26.3.2023

Aufgaben, welche Russland seiner regulären Armee nicht zumuten will, übernimmt im Ukraine-Krieg die Gruppe Wagner. Der Russland-Experte Andreas Heinemann-Grüder hat in der Zeitschrift «Osteuropa» einen Aufsatz über die Kämpfer veröffentlicht. Im Interview mit ntv.de äusserte er sich nun zu Moskaus irregulärer Truppe, über deren Innenleben trotz ihrer grossen medialen Präsenz immer noch recht wenig bekannt ist. 

Aus russischer Perspektive sei ein Vorteil der Gruppe Wagner, die von Jewgeni Prigoschin geleitet wird, dass sie nicht an die Genfer Konvention gebunden ist. «Die Söldner der Gruppe haben gewissermaßen eine Lizenz zum Töten», erklärt Heinemann-Grüder.

«Aus meiner Sicht ist das eine Truppe, die vergleichbar ist mit den Einsatzgruppen der deutschen Waffen-SS im Zweiten Weltkrieg.» Denn auch die Waffen-SS habe - insbesondere in der Ukraine sowie Belarus - Aufgaben erledigt, welche die deutsche Wehrmacht nicht übernehmen wollte, wenngleich es Kollaboration und Überschneidungen gab. Killeroperationen habe man hingegen an die SS-Einheiten ausgelagert, weil ansonsten eine negative Wirkung auf die Armee befürchtet wurde.

Gewaltkultur als Disziplinierungsmittel

Der Russland Experte sieht Parallelen. «Ein ähnliches Phänomen sieht man hier: Exzessives Morden wird Wagner überlassen», so Andreas Heinemann-Grüder. Die Folge sei, dass auch innerhalb der Gruppe eine Gewaltkultur als Disziplinierungsmittel entstehe.

An diesem Punkt würden sich auch russische Militärfirmen von denen in westlichen Ländern unterscheiden. Während vergleichbare Firmen im Westen im Falle von Gewaltexzessen eine Skandalisierung fürchten müssten, müsse sich die Gruppe Wagner darum keine Gedanken machen.

Kommerzielle Interessen stehen über der Weltanschauung

Dmitri Utkin, der Kommandant der Kampftruppe «Slavjanskij Korpus», aus der Prigoschin später die Wagner Gruppe formte, hat Tätowierungen der Waffen-SS und trägt ein Hakenkreuz auf der Brust. Zudem ist der Name der Wagner-Gruppe eine Referenz an Hitlers Lieblingskomponisten. Ist Putins Schattenarmee eine faschistische Organisation? Heinemann-Grüder betont, die Gruppe Wagner sei eine «kommerzielle Militärfirma» und werde «nicht durch eine Weltanschauung zusammengehalten, sondern durch kommerzielle Interessen».

Nichtsdestotrotz gebe es Neonazis unter den Kämpfern, teilweise auch «Naturgläubige, die einer Art romantisch-völkischen Ideologie folgen». Für den Experten sei die nationalistische wie chauvinistische Grundeinstellung ein verbindendes Element. Mitglieder der Gruppe würden «eine Ablehnung der Ukraine, der USA und des Westens insgesamt» gegenüber teilen.

Ein Söldner der Wagner-Gruppe am 24. März 2023 in der Region Donezk. 
Ein Söldner der Wagner-Gruppe am 24. März 2023 in der Region Donezk. 
Bild: Imago

Zunächst nur eine unter vielen irregulären Truppen

Der Chef der Wagner Gruppe, Jewgeni Prigoschin, erklärte im September 2022, die Gruppe sei im Mai 2014 gegründet worden, um Kämpfer in den Donbass zu schicken. Eine Monopolstellung hatten die Wagner-Söldner laut Heinemann-Grüder damals allerdings nicht, vielmehr sei die Truppe Teil eines grösseren Konglomerats irregulärer Einheiten gewesen. «Im Umfeld des russischen Versuchs, den Donbass einzunehmen, wurden im Frühjahr 2014 mehrere Dutzend sogenannter Freiwilligenbataillone gegründet, darunter die Gruppe Wagner.»

Bereits damals sei die Verquickung mit der organisierten Kriminalität kennzeichnend gewesen: «Die Truppen haben geplündert und Kriegsverbrechen begangen.»

Im ntv-Interview erläutert der Experte zudem, warum beispielsweise Putin bis 2022 abstritt, etwas mit der Gruppe Wagner zu tun zu haben und in Russland ein Geheimnis um die Kämpfer gemacht wurde: «Über die Gruppe Wagner konnte Russland mit Bodentruppen in bewaffnete Konflikte eingreifen, ohne offiziell Akteur zu werden.» Auf diese Weise verstiess Russland in Ländern wie Mali, wo es UN-mandatierte Missionen gab, nicht offiziell gegen UN-Resolutionen.

«Ein weiterer Vorteil war, dass Russland Opfer nicht vor der eigenen Bevölkerung rechtfertigen musste.» Zusätzlich verstossen private Militärfirmen in Russland nämlich gegen das Gesetz, was Putin in Erklärungsnot gebracht hätte.