Lagebild UkraineNorden wappnet sich für Putins Offensive – Lage in Awdijwka ist «kritisch»
Von Philipp Dahm
7.2.2024
Selenskyj besucht Soldaten an der Front
Nach Angaben seines Büros verlieh der ukrainische Präsident in der Region Saporischschja am Sonntag Orden an Soldaten. Der Besuch fällt in eine Zeit, in der über eine möglicherweise bevorstehende Entlassung des Armeechefs Saluschny spekuliert wird.
04.02.2024
Die Grossoffensive, die Wladimir Putin offenbar im Norden der Front plant, steht für die Angreifer unter schlechten Vorzeichen. Dafür kommt die russische Armee in Awdijwka voran: Die Stadt könnte bald fallen.
Von Philipp Dahm
07.02.2024, 14:30
Philipp Dahm
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Vor den Wahlen im März will Wladimir Putin militärische Erfolge vorweisen.
Offenbar ist eine Grossoffensive bei Kupjansk geplant, bei der 40'000 Russen 20'000 Ukrainern gegenüberstehen sollen.
Das Terrain in Kupjansk bietet grosse Vorteile für die Defensive.
Weiter südlich schickt sich die russische Armee an, bis zum Fluss Oskil vorzustossen.
In Awdijwka ist die Lage «kritisch». Das liegt nicht am Pseudo-Durchbruch im Südosten, sondern einem Vormarsch im Norden.
Der wurde angeblich durch Umhänge möglich, die nachts das Wärmebild russischer Soldaten kaschieren.
Vom 15. bis zum 17. März wählt Russland zum achten Mal den Präsidenten. Zwischen dem 23. Februar und dem 8. März will der Amtsinhaber im TV seine Rede zur Lage der Nation halten.
Es liegt auf der Hand, dass Wladimir Putin dabei gerne militärische Erfolge in der Ukraine vermelden möchte. Die Armee treibt deshalb ihre Winter-Offensive voran – unbeirrt von den mitunter schweren Verlusten, die sie dabei einfährt.
Ein neuer Grossangriff steht im Norden der Front ein: Bei Kujansk sollen 40'000 Soldaten, 500 Panzer, 600 gepanzerte Fahrzeuge und Hunderte Artillerie-Geschütze bereitstehen, berichtet «Forbes».
Kupjansk-Offensive: Terrain hilft Verteidigern
Das tönt nach einer stattlichen Streitkraft – und russische Truppen stehen bereits in Synkivka im Norden der Schlüsselstadt Kupjansk. Gleichzeitig macht Moskau vom Osten her Druck auf diesen Frontabschnitt. Doch der Gegner hat nicht nur die Verteidigung mit frischem Personal gestärkt, sondern auch Pioniere nach Kupjansk verlegt.
Die legen seit Dezember Schützengräben aus, bauen Bunker und legen defensive Stellungen an, weiss «Reuters». Erschwerend hinzu kommt, dass das Terrain den Verteidigern Vorteile verschafft: Der Fluss Oskil (A) dient als natürliche Barriere. Weite Felder (B) verhindern, dass sich Kräfte unerkannt fortbewegen. Ein Sumpfgebiet (C) schirmt Kupjansk nach Osten ab. Und die wenigen Zufahrtsstrassen (X) lassen sich leicht kontrollieren.
Auf ukrainischer Seite stehen laut «Forbes» 20'000 Soldaten bereit, die unter anderem von der 3. und 4. Panzerbrigade unterstützt werden. Ein Problem ist jedoch, dass die russische Artillerie wegen des generischen Munitionsmangels Ziele ins Visier nehmen kann, ohne Gegenfeuer befürchten zu müssen.
Wird Kupjansk nun eingeäschert?
«Die Situation ermöglicht Russland, einen altbekannten Ansatz zu verfolgen», warnt der ukrainische Frontelligence Insight: «Die systematische Zerstörung urbaner Gebiete, durch die diese nicht mehr zu verteidigen sind.» Die Taktik sei bereits zu sehen: «Unsere Satellitenbilder zeigen nachhaltige und intensive Schäden durch Artillerie.»
KREMINNA AXIS /1445 UTC 6 FEB/RU assaults broken up at Terny, Yampolivka and Shypylivka. RU troops reported massing on Kupiansk - Kreminna axis; an increasing tempo of RU operations may be expected. pic.twitter.com/pWfUVdUu11
An der Linie Swatowe-Kreminna rücken russische Truppen nach Westen vor. Hier ist das Terrain für die Angreifer von Vorteil: Es fällt zum Fluss Oskil hin ab, den der Kreml als neue Frontlinie etablieren will. Moskaus Kräfte greifen bereits Orte am Flussufer wie Terny und Yampolivka an, die westlich von Kreminna liegen. Sie stehen davor, auch Torske zu attackieren: Bis nach Lyman sind es von dort nur noch gut elf Kilometer.
Um das völlig zerstörte Bachmut herum wird ebenfalls gekämpft: Schwerpunkte sind das Dorf Bohdanivka im Nordwesten und weiterhin Klischtschijwka und Andriivka im Süden.
Von Bachmut und Andriivka kommen wir 42 Kilometer weiter südlich nach Awdijwka, der dasselbe Schicksal blüht wie der erstgenannten Stadt. Rund 1000 von einst 30'000 Bürger harren noch dort aus: Die BBC zeigt, wie sie von Polizisten evakuiert werden. Die Lage dort ist ernst: Russische Truppen kämpfen inzwischen in den Quartieren. Das liegt aber nicht an dem scheinbaren russischen Durchbruch durch ein Kanalisationsrohr.
Reporting from Ukraine erklärt das Vorgehen: Die ukrainische Verteidigung besteht im Südosten aus einer Reihe von Schützengräben zwischen einer Auto- und Eisenbahn, einer zweiten Linie mit Bunker hinter den Gleisen und einer Linie mit Bunker näher an der Stadt bei einem Restaurant. Diese Linien konnten die Angreifer durch das unterirdische Rohr umgehen.
Das Problem für die Russen: Nachschub für den Brückenkopf gibt es nur scheibchenweise durch die Kanalisation oder Drohnen-Abwürfe. Nachdem die ukrainischen Soldaten sich wegen der Attacke im Rücken zunächst zurückgezogen haben, konnte das Restaurant in einem Gegenangriff zurückerobert und der Brückenkopf unter Beschuss genommen werden.
Awdijwka: Im Norden wird es wirklich eng für die Ukrainer
Kiews Ziel ist es nun, den Eingang zum Rohr zu finden und zu zerstören, um dann den russischen Brückenkopf aufzulösen. Das Problem: Im Norden sind die Angreifer bis in die Stadt vorgerückt. Sie umgehen dabei das stark befestigte Industriequartier.
Während frühere Angriffe mit mechanisierten Einheiten fehlgeschlagen sind, hat Moskau nun kleine Gruppen von Infanterie ins Feld geführt. Sie haben das Datschen-Viertel am See eingenommen. Von dort aus sind sie in die nördlichen Vororte der Stadt eingedrungen. Um nicht eingekesselt zu werden, mussten sich die Verteidiger östlich davon zurückziehen.
In einem Gegenangriff konnten die ukrainischen Streitkräfte die Angreifer aus den Vororten zurückdrängen. Doch warum konnten die Russen überhaupt so weit kommen? Laut Reporting from Ukraine haben sie Umhänge genutzt, die ihr Wärmebild verschleiern. Deshalb sind die beim nächtlichen Vormarsch offenbar nicht aufgefallen.
Wie lange Awdijwka unter diesen Umständen gehalten werden kann, ist fraglich. Das Verhältnis von Verlusten soll hier noch vor kurzer Zeit 1 zu 20 zugunsten Kiews betragen haben. Doch wenn es zu Strassenkämpfen kommt, sinkt dieser Wert rapide – siehe Bachmut. Gleichzeitig ist die 110. Mechanisierte Brigade, die den Stadtkern verteidigt, wenig erfahren und inzwischen vor allem erschöpft.
⚡️ The Armed Forces of Ukraine raised the Ukrainian flag in Krynyky on the left bank of the Kherson Region, Deep State reports
The Ukrainian flag flew there thanks to the 36th separate marine brigade.
Zudem sind die Russen im Datschen-Viertel nur noch einen Kilometer von der wichtigen Verbindungsstrasse 00542 entfernt, die für den ukrainischen Nachschub essenziell ist. «Die Situation in der Stadt ist kritisch», schreibt der ukrainische Journalist Andriy Tsaplienko auf Telegram. «In diesen Tagen entscheidet sich das Schicksal von Awdijwka.»
The last four published losses of Russian T-62s from the Krynky Front, (1 from the Magyar unit and 3 from the @OSINTua thread) will raise the number of documented Russian T-62 losses to 100.
T-62 losses correspond to approximately 4% of total Russian tank losses
Gute Nachrichten für Kiew kommen derzeit höchstens aus Krynky, wo ukrainische Kräfte zumindest mal eine Flagge platzieren konnten. Ob diese immer noch da ist, steht auf einem anderen Blatt. Die Streitkräfte richten weiterhin mit Drohnen grosse Schäden bei den Angreifern an. Das Manko: Damit diese fliegen können, muss das Wetter stimmen. Die Russen schlagen deshalb dann besonders hart zu, wenn es neblig ist.