Lagebild Ukraine Materialschlacht um Awdijwka und ein Coup am Dnjepr-Ufer

Von Philipp Dahm

23.10.2023

Bundeswehr übt vor Scholz: Truppen zur Nato-Ostflanke

Bundeswehr übt vor Scholz: Truppen zur Nato-Ostflanke

Bundeswehrsoldaten und zivile Einsatzkräfte haben Bundeskanzler Olaf Scholz am Montag in der Luftwaffenkaserne Köln-Wahn gezeigt, wie sie zusammenarbeiten würden, wenn Truppen durch Deutschland an die Nato-Ostflanke verlegt würden. Es gehe dabei nicht nur um militärische Sicherheit, sondern auch darum, etwa im Fall von Naturkatastrophen gewappnet zu sein, betonte Scholz.

23.10.2023

Die russische Armee setzt in der Schlacht um Awdijwka weiter auf Masse: Eine wichtige Anhöhe gilt nun als umkämpft. Dafür hat die Gegenseite am östlichen Dnjepr-Ufer erfolgreich zugeschlagen.

Von Philipp Dahm

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • In der Schlacht um Awdijwka erleidet Russland weiter extrem hohe Verluste.
  • Es ist den Kreml-Kräften aber gelungen, auf die wichtige Anhöhe Terrikon vorzurücken, die nun als umkämpft gilt.
  • Die russische Flugabwehr hat dort einen der eigenen Helikopter abgeschossen.
  • In Berdjank und Luhansk haben acht ATACMS-Raketen im Wert von unter drei Millionen Dollar einen Schaden von rund 230 Millionen Dollar angerichtet, als 15 Helikopter beschädigt wurden.
  • Ukrainische Spezialeinheiten haben am östlichen Dnjepr-Ufer einen dritten Brückenkopf errichtet und das Dorf Kynky eingenommen.
  • Keine Bewegung gibt es an der Saporischschja-Front bei Robotyne.

Wenn eine Kriegspartei die Initiative übernimmt, geht es darum, dass die eigenen Truppen agieren – und nicht reagieren. So sollen die eigenen Kräfte besser verteilt und ihren Stärken entsprechend eingesetzt werden können.

Das werden Wladimir Putin und seine Generäle im Hinterkopf gehabt haben, als sie die Schlacht um Awdijwka angezettelt haben, die jedoch nur beschwerlich in Gang gekommen ist: Das Problem für die Russen ist, dass sich die Gegenseite seit 2014 dort eingegraben hat.

(Link zur obigen Kollektion russischer Verluste bei Awdijwka)

Und obwohl die Bedingungen schlecht und die Verluste entsprechend hoch sind, schickt der Kreml immer wieder Kräfte nach. Inzwischen sind Hunderte Panzer und gepanzerte Fahrzeuge sowie Tausende Soldaten aus dem Verkehr gezogen worden, wie diverse Videos und Bilder auf Social Media zeigen.

Wellen von «Orks»

Doch trotz Minenfeldern und Sperrfeuer hört Moskau nicht einfach auf, anzugreifen. «Die Orks haben Welle um Welle von Infanterie und gepanzerten [Fahrzeugen] geschickt, die grossteils von unserer Artillerie, Drohnen und einem Panzer zerstört worden», berichtet Filmemacher Oleh Senzow, der nun in der Armee dient, auf Facebook.

Oleh Senzow (mit Vollbart) im Schützengraben nahe Awdijwka.
Oleh Senzow (mit Vollbart) im Schützengraben nahe Awdijwka.
Bild: Facebook/Euromaidan Press

Warum sind die russischen Verluste so hoch? Weil der Kreml es sich nicht erlaubt, nachzulassen, obwohl die eigenen Truppen noch nicht einmal die Eisenbahnlinie überqueren konnten, die nach Awdijwka führt. Ein grosses Hindernis ist dabei eine Anhöhe aus Schutt und Müll, die bei der Kohlemine südwestlich von Krasnohorwika liegt.

Die Anhöhe südwestlich von Krasnohoriwka, das besetzt ist, hat der ukrainischen Armee verheerende Angriffe auf die russischen Angreifer erlaubt.
Die Anhöhe südwestlich von Krasnohoriwka, das besetzt ist, hat der ukrainischen Armee verheerende Angriffe auf die russischen Angreifer erlaubt.
Bild: YouTube/Reporting from Ukraine

Die Anhöhe wird Terrikon genannt und ist etwa 25 Meter hoch. Hier hat sich die ukrainische Infanterie verschanzt: Sie nimmt mit Artillerie und Drohnen Panzer und gepanzerte Fahrzeuge unter Feuer, die sich Terrikon immer wieder annähern, um das Gebiet vor der Anhöhe nicht zu verlieren, dass sie mühsam erobert haben.

(Link zum obigen Post)

Terrikon ist nun umkämpft

Was die Anfahrt überlebt, wird mit Maschinengewehren und Panzerabwehr-Raketen in Beschuss genommen. Es gelingt der russischen Armee nach grossen Verlusten, ukrainische Posten auf Terrikon zu treffen, denen laut Reporting from Ukraine bereits die Munition ausgegangen ist.

Der Aufmarschweg der Russen (rote Pfeile) nach Terrikon ist in der Flanke äusserst verwundbar gewesen.
Der Aufmarschweg der Russen (rote Pfeile) nach Terrikon ist in der Flanke äusserst verwundbar gewesen.
Bild: YouTube/Reporting from Ukraine

Kiew hat die Kontrolle über die Anhöhe aber offenbar verloren: Sie ist nun umkämpft. Die Russen hat dieser Teilerfolg jedoch einen Helikopter gekostet: Der Mi-8MTV ist von der eigenen Flugabwehr abgeschossen worden. Die Verluste bei den Fahrzeugen waren so gross, dass Moskau zuletzt Lastwagen Richtung Terrikon schickte, die in den 30er-Jahren produziert worden sind – siehe unten stehender Post.

Der Verlust des Mi-8MTV-5 reiht sich ein in die schweren Verluste von Helikoptern: Russland hat bei den Raketenangriffen auf Berdjansk und Luhansk nach neuester Lesart 15 Ka-52 sowie neun Mi-8 verloren (acht beziehungsweise sieben Exemplare wurden beschädigt). Dabei hat Kiew acht ATACMS benutzt.

(Link zum obigen Post)

Ukraine bildet neuen Brückenkopf am Dnjepr

Es handelte sich bei diesen ATACMS um acht Raketen, die sonst verschrottet worden wären, weil es sich um eine alte Version handelt. Die Flugkörper waren weniger als drei Millionen Dollar wert – und haben einen Schaden von rund 230 Millionen Dollar angerichtet. Moskau hat in mittlerweile die Hälfte seiner Ka-52-Flotte verloren.

Die ukrainische Armee versucht mit einem Gegenangriff den westlichen Teil der Zange abzuschneiden, der Awdijwka bedroht.
Die ukrainische Armee versucht mit einem Gegenangriff den westlichen Teil der Zange abzuschneiden, der Awdijwka bedroht.
Bild: YouTube/Reporting from Ukraine

Diese Helikopter fehlen in Awdijwka, wo die ukrainische Armee die russische Attacke mit einem Gegenangriff im Süden stoppen will. Sie rückt auf das Dorf Pisky südwestlich des Flughafens von Donezk vor: Sollte sie erfolgreich sein, verunmöglicht sie weitere Angriffe auf Awdijwka von der südwestlichen Seite.

Nach den Brückenköpfen an der Antonowskibrücke und bei Kosatschi Laheri ist die ukrainische Armee nun auch in Kynky gelandet.
Nach den Brückenköpfen an der Antonowskibrücke und bei Kosatschi Laheri ist die ukrainische Armee nun auch in Kynky gelandet.
Bild: YouTube/Military Lab

Ein Coup ist Kiew am Dnjepr gelungen: Mit 19 Schnellbooten haben Spezialeinheiten dort weiteres Gebiet am linken, östlichen Ufer des Flusses eingenommen. Sie haben laut Military Lab den Ort Krynky erobert, der keine vier Kilometer von der wichtigen Verbindungsstrasse E58 alias T2206 entfernt ist. 

Fünf Jets in zehn Tagen abgeschossen

Ob der Brückenkopf gehalten werden kann, muss sich zeigen. Die russische Verteidigung hier im Oblast Cherson scheint sehr schwach zu sein. In der Regel setzt der Kreml bei solchen Fällen auf Luftangriffe, um den Gegner zurückzudrängen. Aus Berdjansk kommen zunächst aber keine Helikopter zu Hilfe.

(Link zum obigen Video über den Einsatz russischer Su-25 gegen ukrainische Stellungen)

Doch auch bei seinen Jets hat Russland zuletzt ungewohnte Verluste hinnehmen müssen: Kiew meldete, man habe mehrere Erdkampfflugzeuge vom Typ Su-25 unschädlich gemacht. Diese «können nicht aus grösserer Distanz angreifen», erklärte dazu ein Sprecher. «Deshalb muss der Feind näher heranfliegen. Das Resultat: Wir haben innert zehn Tagen fünf Flugzeuge abgeschossen.»

Bei Robotyne hat sich der Frontverlauf kaum verändert.
Bei Robotyne hat sich der Frontverlauf kaum verändert.
Bild: YouTube/Military Lab

Kaum Neuigkeiten gibt es dagegen im Oblast Saporischschja: Hinter Robotyne kommen Kiews Kräfte nicht voran. Die russische Armee hat östlich der Siedlung und bei Werbowe Gegenangriffe angestrengt, die jedoch nach ukrainischen Angaben im Sande verlaufen sind.