Lagebild Ukraine Putin zettelt die Schlacht von Awdijwka an – und strauchelt

Von Philipp Dahm

12.10.2023

Wer ist die ukrainische Defence Industries Alliance?

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06.10.2023

Die russische Armee ergreift noch einmal die Initiative, bevor das Wetter wechselt. Dabei setzt der Kreml nach Langem mal wieder auf massive mechanisierte Vorstösse – und scheitert insbesondere in Awdijwka damit.

Von Philipp Dahm

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Moskaus Armee hat eine Offensive auf Awdijwka gestartet, an der angeblich 12'000 Soldaten und Hunderte Fahrzeuge beteiligt sind.
  • Ziel ist die Einkesselung der Stadt, die wie ein Stachel in russisch besetztem Territorium liegt.
  • Die Front hier steht aber schon seit 2014: Die Ukrainer haben die Stadt stark befestigt und sind eingegraben.
  • Russland hat hier seit dem 10. Oktober schwere Verluste hinnehmen müssen.
  • Auch im Norden und Süden hat die russische Armee angegriffen, aber kaum an Boden gewonnen.

Der Kreml muss etwas tun. Die russische Armee reagiert an den Fronten nur, statt zu agieren. Sie muss die Initiative ergreifen, wenn sie noch Boden gutmachen will, bevor das Wetter wechselt: In Donezk wird in einer Woche Regen bei Höchsttemperaturen von zwei Grad nachts und neun Grad am Tag erwartet.

Moskaus Militärs entscheiden sich für eine Offensive auf Awdijwka im Oblast Donezk. Gegen 5 Uhr morgens am 10. Oktober beginnt der Vorstoss: Die Stadt und ihre Umgebung werden unter schweres Artillerie-Feuer genommen, während an den Flanken Einheiten versuchen, Awdijwka einzukesseln.

Der prorussische Telegram-Kanal Rybar zeigt den Plan der Armee bei der Schlacht um Awdijwka.
Der prorussische Telegram-Kanal Rybar zeigt den Plan der Armee bei der Schlacht um Awdijwka.
Karte: Terlegram/@Rybar

Die russische Armee hat einiges aufgefahren: Zunächst ist von zwei, dann von drei Bataillonen die Rede, was rund 12'000 Soldaten entspricht. Unterstützt werden sie von Hunderten Panzern und gepanzerten Fahrzeugen sowie durch Jets und Helikopter aus der Luft.

Awdijwka – scheinbar gut für eine Offensive

Einerseits ist Awdijwka ein nahe liegendes Ziel: Die Stadt sitzt wie ein Stachel in russisch kontrolliertem Gebiet und wirkt an den Flanken exponiert. Zudem liegt sie auch noch unweit von Donezk und Makijwka mit ihren grossen Industriegebieten, in denen Moskau relativ unbemerkt Mensch und Material für eine Offensive sammeln kann.

Reporting from Ukaine zeigt auf, wie gut sich Donezk und Makijwka (gelb) eignen, um Truppen für einen Angriff auf Andijwka (blau) zu konzentrieren, ohne dass es zu stark auffällt.
Reporting from Ukaine zeigt auf, wie gut sich Donezk und Makijwka (gelb) eignen, um Truppen für einen Angriff auf Andijwka (blau) zu konzentrieren, ohne dass es zu stark auffällt.
Bild: YouTube/Reporting from Ukraine

Doch andererseits ist Awdijwka auch eine fürchterliche Wahl. Die Front verläuft in dieser Gegend schon seit 2014 so. In diesem Abschnitt sind es im Gegensatz zum Süden die Ukrainer, die sich eingegraben und ihre Stellungen stark befestigt haben. Gerüchteweise sind diese sogar mit Tunneln verbunden.

Als die Offensive beginnt, greifen kleinere Einheiten zur Ablenkung Awdijwka an, während sich zwei grosse Züge an den Flanken anschicken, die Zange um die Stadt zu schliessen. Kampfhelikopter greifen an, ohne beschossen zu werden – siehe obiger Post: Die ukrainische Flugabwehr scheint in diesem Sektor schwach zu sein.

Putins Plan geht nicht auf

Die nördliche Gruppe soll die Bahnlinie unterbrechen, kreuzen und das Dorf Stepove nehmen. Die südliche Gruppe soll das Dorf Sjeverne erobern. Im Dorf Orlivka in der Mitte treffen sich die Truppen – und kontrollieren damit auch die Strasse nach Awdiwjka. Das ist zumindest der Plan.

Geplante russische Zangenbewegung um Awdijwka laut Military Lab. Gelb umrandet wichtige Orte für den Nachschub der Stadt – im Norden Stepove mit der Eisenbahnlinie und südlich davon Orlivka mit der Verbindungsstrasse.
Geplante russische Zangenbewegung um Awdijwka laut Military Lab. Gelb umrandet wichtige Orte für den Nachschub der Stadt – im Norden Stepove mit der Eisenbahnlinie und südlich davon Orlivka mit der Verbindungsstrasse.
Bild: YouTube/Military Lab

Doch der geht schief – im Falle des Panzers, der von einer Brücke fällt, noch bevor er die Front erreicht, ist das sogar wörtlich zu nehmen:

Der nördlichen Gruppe ergeht es kaum besser:

Mehr Panzer verloren als die Ukraine in Robotyne

Die Verluste der Russen schiessen in die Höhe: Reihenweise werden gepanzerte Fahrzeuge kampfunfähig gemacht und Hunderte Soldaten lassen in den Sturmangriffen ihr Leben. Erspähen ukrainische Drohnen eine russische Kolonne, zerstört die Artillerie das Frontfahrzeug, um dann mit Streumunition absitzende Soldaten anzugreifen. 

Dass der Kreml seit der sinnlosen Schlacht um Wuhledar mal wieder auf Panzer und Schützenpanzer setzt, zahlt sich so gar nicht aus: In nicht einmal vier Tagen hat Russland mehr Panzer verloren als Kiew in der Gegenoffensive bei Robotyne in vier Monaten.

Um die 100 Panzer und gepanzerte Fahrzeuge wollen die Ukrainer beschädigt oder zerstört haben, über 1000 russische Soldaten sollen verletzt oder gefallen sein. Das lässt sich nicht überprüfen, doch mit Blick auf Videos auf Social Media scheinen Putins Verluste hoch zu sein. Das würde auch erklären, warum mechanisierte Angriffe aufgehört haben und nun auch weniger Infanterie gegen die Verteidiger anläuft.

Russische Verluste auch im Norden und im Süden

Doch nach dem Angriff ist vor dem Gegenangriff: Ob der russische Vorstoss gescheitert ist, lässt sich noch nicht sagen, schreibt ein ukrainischer Reserveoffizier auf X. Die Lage sei für beide Seiten herausfordernd. Und: Nicht nur bei Awdijwka erhöht Putin den Druck.

Auch im Norden an der Front Kupjansk-Swatow-Kreminna sind russische Truppen vorgerückt – bisher mit mässigem Erfolg beim Dorf Makijwka im Oblast Luhansk. Im Einsatz für Moskau ist die 3. Motorisierte Schützendivision, die von der 25. Armee der verbundenen Waffen unterstützt wird, die erst im Mai 2023 ausgehoben worden ist.

Sie treffen auf die 66. Mechanisierte Brigade der Ukrainer mit starken Panzerabwehr-Fähigkeiten. Die Folge: Wie im obigen Post beschrieben, soll der Kreml hier in zwei Tagen 15 Panzer verloren haben – darunter drei relativ moderne T-90M.

Ukrainische Truppen rücken im Westen nach Kopani vor und machen im Osten weiter Druck auf Werbowe. Im Süden soll Nowoprokopîwka erobert werden.
Ukrainische Truppen rücken im Westen nach Kopani vor und machen im Osten weiter Druck auf Werbowe. Im Süden soll Nowoprokopîwka erobert werden.
Bild: YouTube/Military Lab

Heftige Verluste hat Russland auch im Süden des Schlachtfeldes erlitten, berichtet Military Lab unter Berufung auf ukrainische Videos. Moskaus Männer haben sich an einem Gegenangriff von Nowoprokpiwka auf Robotyne versucht und auch dort Panzer verloren. Die Ukrainer versuchen weiter die Flanken zu stärken und Nowoprokpiwka weiter einzuschnüren.