Lagebild UkraineDie Brigade Asow, experimentelle Waffen und ganz tiefe Flüge
Von Philipp Dahm
14.10.2023
Frontbesuch: Selenskyj begutachtet Leopard-Panzer
Kupjansk, 04.10.23: Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ist mal wieder zum Truppenbesuch an der Ostfront. Dieses mal nimmt er im Frontabschnitt Kupjansk auch Kampfpanzer vom Typ Leopard 2 aus deutscher Produktion in Augenschein. Dazu veröffentliche die ukrainische Regierung auch ein Video.
Neben den Leopard-Panzern sieht sich Selenskyj auch Schützenpanzer des Typs CV-90 an. Beide sind den Angaben nach in den Kämpfen im Nordosten der Ukraine am Frontabschnitt Kupjansk im Einsatz. Die vom Westen seit diesem Frühjahr gelieferten Panzer sollen der Ukraine helfen, besetzte Gebiete zurückzuerobern.
Die Stadt Kupjansk hat die Ukraine dabei schon im vergangenen Herbst im Zuge ihrer Gegenoffensive im Gebiet Charkiw befreit.
04.10.2023
Heute gleich vier Teile: «Mit Asow im Wald von Kreminna», «‹Experimentelle Waffe› trifft russische Kriegsschiffe», «Ganz tiefe Flüge» und «Darum wirkt sich der Krieg in Nahost nicht auf Kiew aus».
Von Philipp Dahm
14.10.2023, 08:00
23.10.2023, 14:41
Philipp Dahm
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Die Brigade Asow, die sich bei der Verteidigung von Mariupol einen Namen gemacht hat, kämpft im Naturreservat Bryansky.
In dem Wald südwestlich von Kreminna sorgen 10'000 bis 20'000 Soldaten dafür, dass die russische Armee nicht vorrückt.
Kiews Geheimdienst teilt mit, dass zwei russische Korvetten von einer «experimentellen Waffe» getroffen worden sind.
Es handelt sich anscheinend um eine Weiterentwicklung der Seedrohne Sea Baby.
Ukrainische Piloten berichten vom Adrenalin-Kick bei ihren Tiefflügen.
Ein US-Sicherheitsexperte erklärt, warum der Krieg in Nahost wohl keine Auswirkungen auf Waffenlieferungen an die Ukrainer haben wird.
«Die legendäre Brigade Asow ist endlich zurück an der Front», berichtet die staatliche ukrainische Plattform United24. Deren Korrespondent hat eine Mörser-Einheit jener Kämpfer besucht, die sich unter anderem durch ihren Widerstand bei der russischen Eroberung von Mariupol 2022 einen Namen gemacht haben.
Wie wird jemand Mitglied der Brigade Asow? «Man muss motiviert sein, seine Heimat zu verteidigen», erklärt ein Soldat mit dem Kampfnamen Marlboro. «Das ist das Wichtigste. Und du musst Eier haben.» Die Mörser-Einheit kämpft nachts in einem Waldgebiet. «Der Feind ist sehr nah», erklärt eine Stimme aus dem Off. «Nach 30 Sekunden Flug erreicht die Granate die russischen Positionen.»
Die Brigade Asow ist neben anderen Einheiten im Naturreservat Bryansky stationiert, das zwischen den Oblasten Luhansk und Donezk liegt: Zwischen 10'000 und 20'000 ukrainische Soldaten verhindern hier seit Monaten, dass die russische Armee von Kreminna aus vorrücken kann.
«Wir lassen sie nicht durch», sagt der stellvertretende Kommandeur Groser. «Dieser Wald ist ihr Grab, in dem sie alle früher oder später zu Asche verbrennen.» Wichtig sei es, konstant Druck auszuüben: «Wir versuchen alles nur Erdenkliche zu tun, um es für sie so unbequem wie möglich zu machen.»
«Als die Sonne aufgeht», sagt die Stimme aus dem Off, «sieht man die Schönheit dieser Gegend. ‹Rettet den Wald›, steht auf einem Schild in der Nähe. Aber ich glaube, es ist zu spät.»
«Alle meine Freunde, die ich nach dem Wald von Kreminna gefragt habe, haben nur gesagt: ‹Oh Gott!›», erklärt Kommandeur Lemko. «Ich habe mich gefragt, warum. Und als ich hier ankam, habe ich es verstanden. Es ist sehr hart.» Die Kommunikation mit anderen Einheiten sei ebenso schwierig wie das Terrain – und die Russen hätten viel Artillerie am Start.
Lemko ist erst 29 Jahre alt, aber der Major hat jede Menge Erfahrung. Er ist einer von 700 Asow-Kämpfern, die im Mai 2022 in Kriegsgefangenschaft geraten sind. Doch kaum waren seine Kameraden und er ausgetauscht worden, wollten sie auch schon wieder zurück an die Front.
Die Veteranen bildeten das Rückgrat der wieder formierten Brigade Asow, erklärt Lemko. «Die Rekruten bilden den Muskel.» Ein solcher ist Andrij, der erst seit Kurzem dabei ist. «Ich hab hier Waffenbrüder gefunden: Wir sind eine grosse Familie.»
Zu der gehören auch die Scharfschützen Humble und Legend: Beide waren auch bei der Verteidigung von Mariupol dabei. Humble wurde gefangen genommen, während Legend verletzt per Helikopter ausgeflogen werden musste. Der Wald ist für die Scharfschützen ein kompliziertes Terrain: Sie müssen ihre Gegner manchmal auf bis zu 70 Meter herankommen lassen und Drohnen machen ihnen das Leben zusätzlich schwer.
Die Ukraine hat unter der Woche drei russische Kriegsschiffe angegriffen. Am 11. Oktober wurde eine Korvette der Wassili-Bykow-Klasse getroffen: Die Pawel Derschawin war erst 2020 in Dienst gestellt worden. Zwei Tage später hat es die Bujan erwischt, eine Korvette, die auch Kalibr-Raketen verschiessen kann.
Die «Kyiv Post» berichtet unter Berufung auf den Sicherheitsdienst der Ukraine (SBU), dass dabei eine «experimentelle Waffe» zum Einsatz gekommen sei. Ein dritter Angriff auf das U-Boot der Kilo-Klasse sei fehlgeschlagen: Die Alrosa habe «Glück gehabt und konnte entkommen».
Die Bujan liegt derzeit offenbar rauchend vor Sewastopol: Das Problem für die Russen ist, dass die Trockendocks am Schwarzen Meer samt und sonders besetzt sind. Zudem habe Wladimir Putins Marine keine Ahnung, wie die Schiffe getroffen worden seien, heisst es weiter.
Angedeutet wird, dass die «experimentelle Waffe» eine Weiterentwicklung der Seedrohne Sea Baby ist, die erstmals Mitte Juli bei einem Angriff auf die Kertsch-Brücke losgeschickt worden ist. Angeblich hat die neue Version einen Sprengkopf von 860 Kilogramm.
Ganz tiefe Flüge
Die ukrainischen Helikopter-Piloten sind gut im Tiefflug. Das müssen sie auch sein: Je näher sie am Boden entlang fliegen, desto schwerer sind sie für die russische Flugabwehr zu erkennen und anzuvisieren. Man kennt das bereits aus diversen YouTube-Videos wie diesem ...
Aber wie fühlt sich das eigentlich für die Piloten an? «Es ist verrückt viel Adrenalin», beantwortet Oleh die Frage von Radio Free Europe/Radio Liberty. «Das ist das Erste, was du spürst. Es gibt keine Angst, nur Adrenalin. Unser Job ist hart.» Die Piloten müssen innert Minuten starten können, sobald die ihre Zielkoordinaten bekommen haben.
Die Crew fliegt durchschnittlich drei Angriffe pro Tag: Essenziell sei, tief und schnell anzufliegen und schnell wieder umzukehren, heisst es in dem Clip. Nach der Landung wird der Kampfhelikopter umgehend wieder beladen und betankt, was etwa 30 Minuten dauere.
Ähnlich tönt es in einem AFP-Interview mit ukrainischen Helikopter-Piloten, das ein halbes Jahr alt ist: «Sobald du das Triebwerk startest, verschwindet deine Angst, weil wir dafür trainiert worden sind», sagt Petro darin, der erst 23 Jahre alt ist. Auch er fliegt stets tief: «Je später sie uns sehen, desto besser.»
Darum wirkt sich der Krieg in Nahost nicht auf Kiew aus
«Die Hände, die diese Killer vorgeschoben haben, sind in Moskau», schreibt die israelische Ynetnews mit Blick auf die Hamas-Attacke. Russland fördere Konflikte – ob in Serbien, Armenien oder eben in Israel. Die Instabilität soll Aufmerksamkeit und Ressourcen der USA binden.
Und weiter: «Lasst uns nicht vergessen, dass die USA neulich grosse Munitionsvorräte in Israel angezapft und sie der Ukraine übergeben haben. Wenn [der Krieg in Nahost] weiter eskaliert, müssen diese Vorräte mit Material aufgefüllt werden, was andernfalls für die Ukraine bestimmt wäre.»
Krieg in Nahost: Diese Taktiken schaute sich die Hamas vom Ukrainekrieg ab
Mit einfachsten Mitteln bekämpft die radikalislamische Hamas Israel, das über eine der modernsten Armeen der Welt verfügt. Das funktioniert zum Teil, weil sie vom Krieg zwischen Russland und der Ukraine gelernt hat.
13.10.2023
Der amerikanische Sicherheitsexperte Ryan McBeth widerspricht: Der Gazastreifen ist deutlich kleiner als Kiew, macht er auf YouTube deutlich: Die Frontlinie in der Ukraine ist deutlich grösser als die am Gazastreifen. Und dort werde es keine Artillerieduelle geben: Israel setzt auf Kampf-Helikopter und -Jets, um Befestigungen auszuschalten.
Die israelische Armee verfüge zwar über Artilleriesysteme, die 155-Millimeter-Munition verschiessen würden – «und Israel wird vielleicht von Fall zu Fall chirurgisch hochexplosive Granaten verschiessen, aber nicht mal annähernd so viele, wie in der Ukraine benutzt werden». McBeth glaubt deshalb, dass der Krieg in Nahost sich nicht auf den Konflikt in der Ukraine auswirken wird.