Lagebild Ukraine Ganze Strassenzüge fallen, aber Bachmut nicht

Von Philipp Dahm

6.4.2023

Polen will Ukraine insgesamt 14 Kampfjets geben

Polen will Ukraine insgesamt 14 Kampfjets geben

STORY: Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ist am Mittwoch im Nachbarland Polen eingetroffen. In Warschau sind unter anderem Gespräche mit dem polnischen Präsidenten Andrzej Duda und Ministerpräsident Mateusz Morawiecki angesetzt gewesen. Kurz nach seiner Ankunft wurde Selenskyj, der in Begleitung seiner Frau Olena Selenska angereist war, mit dem höchsten polnischen Orden geehrt. Andrzej Duda, Präsident Polens: «Es besteht kein Zweifel daran, dass Sie, Herr Präsident, dass Du, Wolodymyr, ein ganz besonderer Mann bist, der von seinem Volk das Mandat erhalten hat, Präsident der Ukraine zu sein. Und der eine aussergewöhnliche Mission hat, die niemand vorhersehen konnte. Wenn man sich diesen Dienst am Land anschaut, dann ist es sehr schwer, vor Emotion die Tränen zu verbergen.» Auf der anschliessenden Pressekonferenz unterstrich Duda, dass Polen der Ukraine insgesamt 14 MIG-29-Kampfjets zur Verfügung stellen werde. Vier seine bereits übergeben worden. Selenskyj betonte die guten Beziehungen und lud polnische Firmen zu Investitionen ein. Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine: «Wir sind sehr daran interessiert, dass Polen eine wichtige Rolle beim Wiederaufbau der Ukraine übernimmt. Und zwar nicht nur auf staatlicher Ebene. Wir wollen, dass Unternehmen zu uns kommen. Wir haben viele unterschiedliche Projekte. Ich weiss, dass Sie viele verschiedene Unternehmen haben, die bereit sind, zu kommen. Die Erfahrung, Personal und Geld haben.» Polen ist einer der stärksten Unterstützer der Ukraine im Kampf gegen die russischen Invasoren. Seit über einem Jahr verteidigt sich die Ukraine gegen die russische Armee. Russland begründet den Angriff mit dem Schutz der russischsprachigen Bevölkerung in der Ukraine sowie der Ausrottung gefährlicher Nationalisten. Die Ukraine und der Westen hingegen sprechen von einem nicht provozierten Angriffskrieg Russlands.

05.04.2023

Aus Bachmut kommen gleich drei sehenswerte Videos: Da wären die glücklichen Soldaten, die den Einschlag einer Rakete überleben, ein ganzer Strassenzug, der fällt, und Pioniere, die beim Graben ihr Leben riskieren.

Von Philipp Dahm

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Ein Video zeigt ukrainische Soldaten im Glück, als eine Rakete neben ihnen einschlägt, aber nicht explodiert.
  • In einem weiteren Video ist zu sehen, wie ein ukrainischer Meteorit einen ganzen Strassenzug in die Luft jagt.
  • Ein Clip über ukrainische Pioniere rundet die visuellen Eindrücke aus dem Donbass ab.
  • Russische Truppen sind im Osten von Bachmut vorgerückt.

Die blutige Schlacht um Bachmut, die schon so viele auf beiden Seiten das Leben gekostet hat, hält an. Doch manchmal haben die Soldaten auch unfassbares Glück – und mitunter wird das sogar im Video festgehalten.

So wie im westlichen Teil der Stadt, den die russische Artillerie unter Feuer nimmt, um den Nachschub über den Vorort Khromove zu stören. Im Clip sind ukrainische Soldaten zu sehen, die in einem Haus Deckung nehmen, als die Rakete einer BM-21 Grad einschlägt, aber nicht explodiert.

Auch im Süden von Bachmut liegt ein wichtiger Nachschubweg: Die Autobahn, die an Iwaniwske vorbeiführt. Und auch aus diesem Teil der Stadt gibt es ein spektakuläres Video: Russische Truppen werden von einer ukrainischen UR-77 Meteorit gestoppt.

Ganzer Strassenzug eingeäschert

Es handelt sich dabei um ein Minenräum-System sowjetischer Bauart, das mit Pyrotechnik arbeitet: Kleine Sprengsätze räumen mit Schockwellen eine Gasse frei. Eine Drohne filmt mit ihrer Wärmebildkamera, wie die Meteorit im russisch besetzten Teil in Süd-Bachmut einen ganzen Strassenzug verwüstet.

Im Osten von Bachmut können die Gruppe Wagner und die russische Armee dagegen einen Erfolg vermelden: Russische Truppen haben die Verteidiger weiter ins Zentrum gedrückt. Sie mussten eine Tasche aufgeben, weil sie aus dem Osten von Scharfschützen auf hohen Gebäuden ins Visier genommen wurden, während sie von Norden und Süden her mit Infanterie bekämpft wurden.

Im Osten schiessen Scharfschützen aus erhöhter Position, im Norden und Süden greifen Bodentruppen an: Die Kiews Armee muss sich aus dem Ostteil von Bachmut weiter zurückziehen.
Im Osten schiessen Scharfschützen aus erhöhter Position, im Norden und Süden greifen Bodentruppen an: Die Kiews Armee muss sich aus dem Ostteil von Bachmut weiter zurückziehen.
YouTube/Reporting from Ukraine

Die Tasche haben die ukrainischen Streitkräfte nun geräumt – und somit die Kontaktlinie auf einen Drittel verkürzt. Reporting from Ukraine spekuliert, dass sich Kiews Kräfte noch weiter nach Westen zurückziehen und die Eisenbahnlinie durch die Stadt als neue Position einnehmen könnten.

«Artillerie- und Luftangriffe sind jetzt doppelt so heftig»

Dass Russland bei der Schlacht um Bachmut der Schnauf ausgeht, ist nicht zu erwarten. «Der Gegner hatte genug Probleme mit: Der Wagner-Chef sagte, sie hätten keine Munition und konnten nicht weiter angreifen», sagt ein Mitglied der ukrainischen Spezialeinheit SSO. «Das war eine grossartige Gelegenheit für uns, ihre Einheiten zu überfallen.»

Der Nachschubweg über Khromove als gelber Strich. Die blauen Dreiecke stellen die mögliche neue Verteidigungslinie an der Eisenbahn dar.
Der Nachschubweg über Khromove als gelber Strich. Die blauen Dreiecke stellen die mögliche neue Verteidigungslinie an der Eisenbahn dar.
YouTube/Reporting from Ukraine

Die Freude währte nur kurz: «Es hörte schnell wieder auf. Munition wurde geliefert und die Artillerie- und Luftangriffe sind jetzt doppelt so heftig.» Permanent würde es Granaten regnen: Drohnen vom Typ Orlan leiten dabei die russische Artillerie an.

Der Soldat glaubt auch, die Angreifer würden Drogen nehmen: Sie gingen nicht in Deckung, wenn die Granaten runterkommen. «Es gab Fälle, in denen sie ohne Waffen vorgestürmt sind. Sie haben versucht, uns durch ihre schiere Anzahl zu überwältigen.» Die Lage in Bachmut sei heikel, räumt der Soldat ein.

«Wenn sie uns kriegen wollen, setzen sie Mörser ein»

Scharfschützen greifen auf beiden Seiten in den Kampf ein. «Das letzte halbe Jahr über gab es für Scharfschützen nicht viel zu tun», erklärt Artjom der «Military Times». «Stattdessen haben wir in der Regel als Saboteure gearbeitet, Minen gelegt und Eisenbahnen zerstört.»

Das habe sich zuletzt geändert – und nun ist Artjom selbst im Visier des Gegners. «Wenn sie uns wirklich kriegen wollen, setzen sie Mörser ein – oder wenn wir Pech haben [verbotenen] weissen Phosphor.» Artjom benutzt bei seiner Arbeit übrigens kein westliches Gewehr, sondern eine Kalaschnikow mit Thermal-Visier: «Es ist die effektivste Waffe.»

Die Intensität der Kämpfe bekommen auch ukrainische Pioniere zu spüren, die an der Front Gräber ausheben und Minen räumen. «Du weisst nie, was dich erwartet», sagt Soldat Roman Radio Free Europe/Radio Liberty. «Du gehst in die Graue [umkämpfte] Zone und betest. Wirst du dem Feind begegnen? Wird er dich sehen? Werden sie dich unter Artillerie-Feuer nehmen? Es ist eine Frage des Glücks.»

«Die Minen im Wald werden viel Leid anrichten»

«Wir arbeiten [normalerweise] 500 bis 600 Meter von der Front entfernt», ergänzt Kamerad Serhij. «Gestern waren es weniger als 100 Meter.» «Eine Mission war es, eine Eisenbahn hochzujagen», sagt Roman. «Ich habe es getan, aber der Feind hat mich entdeckt und aus etwa 600 Metern das Feuer eröffnet. Ich dachte, ich schaffe es nicht lebend zurück.»

Die Einheit muss auch Fallen entschärfen, die die Russen aufgestellt haben. Zudem sollen 250'000 Quadratkilometer mit Minen verseucht sein. «Russland hat eine Menge Minen gelegt», sagt Roman. «Die Regionen Isjum und Charkiw waren schwer vermint. Die Minen im Wald werden viel Leid anrichten, auch wenn der Krieg vorbei ist.»

Nun warten die Soldaten wie die Welt auf die ukrainische Frühjahrsoffensive, die offenbar vor der Tür steht. «Ich rate allen Ukrainer*innen, die zeitweilig besetzten Gebiete entweder ins Ausland zu verlassen oder sich bereitzuhalten», sagt Iryna Wereschtschuk, die stellvertretende Ministerpräsidentin der Ukraine.

Waffen-Update

Für die Offensive hat Kiew 40'000 Sturmtruppen ausgehoben, berichtet «Reuters». Die neuen Brigaden tragen klingende Namen wie Hurrikan, Sparta, Grenze, Wut, Asow oder Kara Dag, was der Name eines Krim-Berges ist.

Ungetüm: Der ZSU-23-4 Schilka will man nicht begegnen.
Ungetüm: Der ZSU-23-4 Schilka will man nicht begegnen.
Armyinform

Zählen können diese Truppen auf die ukrainische Luftverteidigung, die nicht nur den deutschen Gepard, sondern auch die gefürchtete sowjetische ZSU-23-4 Schilka aus Polen einsetzt, die auch gegen Bodentruppen eine verheerende Wirkung hat. Apropos: Polen liefert Kiew nun 150 statt 100 Schützenpanzer vom Typ KTO Rosomak.

In Sachen Unterstützung sind die USA ganz weit vorne mit dabei. Das jüngste, 2,1 Milliarden Dollar schwere Paket, das Washington geschnürt hat, stärkt vor allem die Flugabwehr. Neben weiteren NASAMS-Raketen werden neun Trucks beschafft, die entweder mit Raketen oder 30-Millimeter-Kanonen ausgestattet werden, um Drohnen abzufangen.