Gewalt in HaitiKenias korrupte Polizisten sollen es richten – die Kritik wächst
dpa/mmi
7.10.2023
Gangs terrorisieren weite Teile Haitis. Eine Friedensmission von 1000 kenianischen Polizisten soll nun Ruhe und Ordnung bringen. Doch, die gelten als korrupt und unfähig. Kann das Vorhaben gelingen?
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07.10.2023, 21:15
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Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Das bitterarme Haiti ist fest in den Händen brutaler Gangs.
Nun soll eine bewaffnete Friedensmission unter der Führung Kenias Ruhe und Ordnung in den Karibikstaat bringen.
Dafür entsendet das ostafrikanische Land rund 1000 bewaffnete Polizeikräfte, die wegen Menschenrechtsverletzungen und Korruption im eigenen Land einen zweifelhaften Ruf geniessen.
Unter der Führung Kenias werden auf Anfang nächsten Jahres 1000 Polizisten in das rund 12'000 Kilometer entfernte Haiti entsandt – um binnen einem Jahr das zu schaffen, was Tausenden von UN-Blauhelmen bisher nicht gelungen ist: Den Karibikstaat von der lähmenden Gewalt der mächtigen und äusserst brutalen Gangs zu befreien.
Am Montag hat der UN-Sicherheitsrat der Resolution 2699 – dem Einsatz einer multinationalen Eingreiftruppe – zugestimmt. Damit beendet er ein fast einjähriges Tauziehen innerhalb des Gremiums, das unter der Führung der USA ein bewaffneter Einsatz in Haiti forderte. China und Russland lehnten dies ab, mit der Begründung, dass zur Befriedung von Haiti mehr nötig sei als der Einsatz internationaler bewaffneter Kräfte. Am Ende enthielten sich die beiden Grossmächte der Abstimmung.
Die internationale Intervention scheiterte bislang auch daran, dass kein Land daran interessiert war, das wackelige Unterfangen anzuführen. Nun springt Kenia in die Bresche. Das Land verfolgt unter Präsident William Ruto eine ehrgeizige Aussenpolitik. Die Entsendung von 1000 Polizisten nach Haiti ist eine Möglichkeit, auf dem internationalen Parkett an Profil zu gewinnen – und sich mit dem Verbündeten USA gut zu stellen.
Haiti taumelt dem staatlichen Zusammenbruch entgegen
Vor wenigen Wochen reisten kenianische Polizeikräfte nach Haiti, um die Voraussetzungen einer Mission zu besprechen. Die Gespräche haben sich laut Medienberichten auf Regierungsmitglieder und die Polizei beschränkt – was in der Zivilbevölkerung und der politischen Opposition heftige Kritik hervorrief.
Premierminister Ariel Henry, der nach der Ermordung des Präsidenten Jovenel Moïse im Juli 2021 in Absprache mit der internationalen Core-Group eingesetzt wurde, ist bislang weder durch das Parlament noch durch Wahlen legitimiert worden.
In den zwei Jahren Präsidentschaft von Henry taumelt das Land dem staatlichen Zusammenbruch entgegen. Gangs, ausgestattet mit schweren Waffen, kontrollieren weite Teile der Hauptstadt Port-au-Prince und überwachen strategische Zugänge zu den wichtigsten Häfen und Versorgungswegen.
Schätzungsweise bis zu 300 Gruppierungen agieren mit äusserster Brutalität gegen die Haitianer:innen. Laut UN-Berichten vertrieben die Gangs über 20'000 aus den Armenvierteln. Seit Januar dieses Jahres wurden bereits 2400 Menschen getötet worden. Auch Kidnapping, Erpressung und Vergewaltigungen gehören mittlerweile zum Alltag.
Ambivalentes Verhältnis zu den Vereinten Nationen
Pierre Espérance, Direktor des Menschenrechtsnetzwerks RNDDH, steht der bewaffneten Mission skeptisch gegenüber, wie die deutsche «Taz» berichtet. Nicht zuletzt, weil die Bilanz der letzten UN-Mission auf Haiti verheerend ausfiel.
Das bitterarme Land ist zwar auf internationale Entwicklungshilfe angewiesen. Andererseits schleppten Blauhelmsoldaten nach Einschätzung von Experten nach dem verheerenden Erdbeben 2010 auch die Cholera ein. Zudem sollen Blauhelme während ihres 13 Jahre langen Einsatzes immer wieder Haitianer vergewaltigt, missbraucht oder sexuell ausgebeutet haben.
Zudem hat die kenianische Polizei wegen Menschenrechtsverletzungen und Korruption einen schlechten Ruf.
Krisengebeutelter Staat vor dem Zusammenbruch
Haiti liegt zwischen Nord- und Südamerika auf der Insel Hispaniola. Auf der Osthälfte der Insel befindet sich die Dominikanische Republik. Haiti ist das ärmste Land auf dem amerikanischen Kontinent. Seit Jahren leidet es unter Korruption, Gewalt und Naturkatastrophen. Seit dem verheerenden Erdbeben 2010 mit mehr als 220'000 Toten hängt Haiti am Tropf der Entwicklungshilfe.
Dass die Spirale der Gewalt mit einem nicht legitimierten Präsidenten und einer Polizei mit einem fragwürdigen Ruf gelingen soll, ist zu bezweifeln.