Emotionaler Rücktritt Jacinda Ardern verdrückt Tränen – «typisch für ihren Stil»

Von Jan-Niklas Jäger

20.1.2023

Jacinda Ardern – eine «krass gute» Ausnahmepolitikerin

Jacinda Ardern – eine «krass gute» Ausnahmepolitikerin

Sie war eine Ausnahmeerscheinung im Politikbetrieb: Neuseelands linksgerichtete Regierungschefin Jacinda Ardern, die jetzt ihren Rücktritt bekanntgegeben hat, war bei ihrem Amtsantritt die jüngste Regierungschefin der Welt.

19.01.2023

Neuseelands Premierministerin Jacinda Ardern tritt Anfang Februar zurück: Dass sie den Schritt mit fehlender Energie begründet, zeuge von einer neuen Art politischen Denkens. Zuletzt waren jedoch auch Arderns Umfragewerte im Keller.

Von Jan-Niklas Jäger

Schon ihr Amtsantritt erregte international Aufmerksamkeit: Als Jacinda Ardern zur Premierministerin Neuseelands gewählt wurde, war sie mit 37 Jahren die jüngste Regierungschefin der Welt. Fünf Jahre später ist Schluss: Ardern legt ihr Amt zum 7. Februar nieder.

Die Wortwahl der scheidenden Ministerpräsidentin bei ihrer Ankündigung ist bemerkenswert: Ihre Rolle verlange nach der «Verantwortung zu wissen, wann man als Anführerin geeignet ist, und auch wann nicht», so Ardern. «Ich weiss, was dieser Job erfordert. Und ich weiss, dass ich nicht mehr genug im Tank habe, um ihm gerecht zu werden. So einfach ist das.»

Spekulation über «wahre Gründe»

Ardern begründet ihren Abgang nicht mit externen Faktoren, wie es etwa die kürzlich zurückgetretene deutsche Verteidigungsministerin Christine Lambrecht tat, als sie ihren Rückzug mit einer «monatelangen medialen Fokussierung auf meine Person» begründete, die ihre Arbeit unmöglich mache. Lambrecht suchte den Grund bei den Medien, Ardern bei sich selbst.

Natürlich wird dennoch über die «wahren Gründe» hinter der Entscheidung der Ministerpräsidentin spekuliert werden, schliesslich gehört es zum politischen Alltagsgeschäft, die Wahrheit zu dehnen.

Ardern hätte sich in diesem Jahr zur Neuwahl gestellt, zuletzt waren ihre Umfragewerte jedoch so stark gesunken, dass ein neuerlicher Wahlsieg unwahrscheinlich schien. Wollte sich die einst so populäre Politikerin die Blamage einer Niederlage ersparen?

Eingeständnis von Schwäche

Ardern antizipiert diese Vorwürfe. «Ich gehe nicht, weil ich glaube, dass wir die Wahl nicht gewinnen können», betont sie, «sondern weil ich glaube, dass wir das können und werden, und dass wir ein frisches Gesicht für diese Herausforderung brauchen.»

Kritiker*innen deuten Arderns Rücktritt als ein Zeichen der Schwäche, schliesslich habe sie es versäumt, das mit dem Amtsantritt eingehende Versprechen einzulösen, ihre Amtszeit vollständig zu bestreiten. Persönliche Gründe seien nicht hinreichend für einen Rückzug aus der Verantwortung.

«Ich weiss, dass ich nicht mehr genug im Tank habe»: Die neuseeländische Premierministerin Jacinda Ardern gibt ihren Rücktritt bekannt.
«Ich weiss, dass ich nicht mehr genug im Tank habe»: Die neuseeländische Premierministerin Jacinda Ardern gibt ihren Rücktritt bekannt.
Bild: Warren Buckland/New Zealand Herald/AP/dpa

Die Formulierung ihres Rücktritts könnte jedoch auch auf ein neues Ideal in der Politik hinweisen: Anführer*innen, die zu ihren Schwächen stehen anstelle von solchen, die unter allen Umständen als Bilder personifizierter Stärke gelten möchten.

Ardern «pflegte einen besonderen Kommunikationsstil»

«Jacinda Ardern hat weit über Neuseeland hinaus Bekanntheit erreicht», sagt der Politikwissenschaftler Jakob Lempp von der Hochschule Rhein-Waal. «Und das hat nicht nur damit zu tun, dass sie in relativ jungen Jahren bereits Regierungschefin war, sondern eben auch damit, dass sie einen besonderen Kommunikationsstil prägte.»

Arderns Statement, so Lempp, sei «typisch für den Kommunikationsstil» der Premierministerin, die mit dem «Hinweis auf die Tatsache, dass auch bei Politikern die psychischen Ressourcen begrenzt sind» entgegen politischer Gepflogenheiten «die menschliche Seite der Politik in den Mittelpunkt» stelle.

«Politiker*innen sind menschlich»

Das könnte ein Hinweis auf ein Umdenken bei jüngeren Politker*innen sein. Zumindest wählen ältere Generationen «eine weniger emotionale Sprechweise. Sie klingen möglicherweise weniger nahbar. Anders als in anderen Politik- und Kommunikationsstilen scheint Ardern die menschliche Ebene des Politikmachens nicht verstecken zu wollen.»

So betont die Premierministerin in ihrer Ankündigung: «Ich bin menschlich. Politiker*innen sind menschlich. Wir geben alles, solange wir können – und danach ist die Zeit gekommen.»

Letzten Endes versucht sich die neuseeländische Regierungschefin in ihrer Ansprache daran, Stärke und Schwäche zu balancieren. Indem sie Schwäche eingesteht, möchte sie Stärke beweisen: Die Stärke zu wissen, «wann es Zeit ist zu gehen» und die nötigen Konsequenzen daraus zu ziehen.

Zero-Covid und Verschärfung des Waffenrechts

Arderns Amtszeit war vor allem von ihrer Zero-Covid-Politik während der Corona-Pandemie geprägt. Sie schottete ihr Land ab und konnte so den Bürger*innen lange einen relativ normalen Alltag gewährleisten.

Die Wähler*innen bedankten sich, indem sie die Premierministerin im Oktober 2020 mit einem Erdrutschsieg im Amt bestätigten. Auch die Verschärfung des Waffenrechts, mit der sie 2019 auf das rassistisch motivierte Attentat von Christchurch reagierte, brachte ihr viel Anerkennung ein.

Ende 2021 jedoch endete ihre Erfolgsserie. Zuerst musste die Ministerpräsidentin vor der Pandemie kapitulieren, als sich ihre strenge Corona-Politik nicht mehr länger bewährte und aufgehoben werden musste. 2022 verlor sie durch steigende Inflation und zunehmende Kriminalität massiv an Popularität.

Eingebrochene Umfragewerte

Im August vergangenen Jahres führte ihre Partei Labour vor dem grössten Konkurrenten, der National Party, nur noch mit 1,3 Prozentpunkten Vorsprung. Von ihrem Erdrutschsieg aus dem Jahr 2020 ist nicht mehr viel übriggeblieben. Die jüngsten Umfragen zeigen einen noch drastischeren Abfall: Die National Party liegt in diesen satte 6,3 Prozent vor Labour.

Bereits am Sonntag soll ein/e neue/r Vorsitzende*r der Partei gewählt werden. Wer auch immer in Arderns Fussstapfen treten wird, wird alles dafür geben müssen, einen Machtverlust bei den für Oktober angekündigten Wahlen zu verhindern. Jacinda Ardern sieht sich dazu offensichtlich nicht mehr in der Lage.