Kein frisches Geld aus den USAFür Kiew ist es «wirklich an der Zeit, in Panik zu geraten»
tafi/dpa
10.10.2023
US-Institut: Kreml wird Lage in Israel für Krieg in Ukraine nutzen
Washington/Moskau, 09.10.23: Russland wird aus Sicht von US-Experten die Angriffe der islamistischen Hamas gegen Israel auch für seinen Krieg gegen die Ukraine auszunutzen. In einer Informationskampagne werfe der Kreml dem Westen vor, die Konflikte im Nahen Osten zugunsten der Unterstützung für die Ukraine vernachlässigt zu haben, schrieb das Institut für Kriegsstudien (ISW) in Washington am Samstag in einer Analyse. Die Experten verwiesen etwa darauf, dass das russische Aussenministerium den Westen beschuldigt habe, zuletzt die Bemühungen des Nahost-Quartetts, zu dem neben Russland die USA, die EU und die Vereinten Nationen gehören, blockiert zu haben.
Russland hat nach Angaben des Aussenministeriums in Moskau auch Kontakte zur islamistischen und im Gazastreifen herrschende Hamas, die von den USA, der EU und Israel als Terrororganisation eingestuft wird.
Der russische Aussenminister Sergej Lawrow wies nach Angaben des Ministeriums auch am Samstag wieder auf Moskaus Initiative für eine Zweistaatenlösung hin.
10.10.2023
Davor haben sich viele gefürchtet: Aus den USA fliesst kein frisches Geld mehr an die Ukraine, zumindest vorerst. Für Kiew ist das der Super-GAU, auch wegen der Lage in Nahost und Europas Zerrissenheit.
tafi/dpa
10.10.2023, 21:50
11.10.2023, 10:16
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Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Das politische Chaos in den USA hat Auswirkungen auf den Krieg in der Ukraine: Die bislang bewilligte finanzielle Unterstützung ist fast aufgebraucht und frisches Geld nicht in Sicht.
Ohne Nachschub ist die militärische Offensive Kiews in Gefahr, warnt das US-Verteidigungsministerium.
Im Westen kann niemand in die Bresche springen, auch weil sich einige EU-Länder querstellen.
Mitten in der ukrainischen Gegenoffensive gegen Russlands Angriffskrieg gerät die Unterstützung von Kiews grösstem militärischem Geldgeber ins Wanken: Die bereits vom US-Parlament bewilligten Ukraine-Hilfen sind fast aufgebraucht. Und angesichts von beispiellosem Chaos im US-Kongress ist unklar, ob und wann Kiew mit neuem Geld aus den USA rechnen kann.
Hinzu kommt, dass seit dem Wochenende auch der beispiellose Terrorangriff auf Israel US-Ressourcen bindet. Könnte all das die Ukraine ins Verderben stürzen?
Chaos in den USA
Als der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj vor gut zwei Wochen in Washington zu Besuch war, warb er im Kongress eindringlich um weitere finanzielle Hilfe für sein Land. Nach Angaben von Teilnehmern sagte er in einer der Runden hinter verschlossenen Türen wörtlich: «Wenn wir die Hilfe nicht bekommen, werden wir den Krieg verlieren.»
Die drastische Warnung ist innerhalb kürzester Zeit erschreckend reell geworden. Das US-Repräsentantenhaus beschloss vor ein paar Tagen einen Übergangshaushalt bis Mitte November, der auf Druck des radikalen Flügels der republikanischen Fraktion keine Hilfen für Kiew enthält. Und eben dieser radikale Flügel jagte kurz darauf den bisherigen Vorsitzenden der Parlamentskammer, Kevin McCarthy, aus dem Amt.
Bis ein Nachfolger gewählt ist, steht die Kongresskammer weitgehend still. Es ist unklar, ob bis Mitte November ein längerfristiges Budget verabschiedet wird – und ob darin neues Geld für Kiew eingeplant wird. Einer der möglichen McCarthy-Nachfolger, der Hardliner Jim Jordan, hat bereits kundgetan, dass er gegen eine weitere Unterstützung für die Ukraine ist.
Ohne Nachschub droht das Ende
Die USA haben seit Kriegsbeginn gewaltige Summen für die Ukraine locker gemacht: rund 44 Milliarden Dollar (rund 40 Milliarden Franken) allein an militärischen Hilfen. So viel wie kein anderes Land. Hinzu kamen grosse Milliarden-Beträge für finanzielle und humanitäre Hilfe.
Michael McCord aus der Pentagon-Führung schrieb Ende September einen besorgten Brief an den Kongress und listete dort auf, dass von den bisherigen Ukraine-Mitteln kaum noch etwas übrig sei. Ohne Nachschub sei die militärische Offensive Kiews in Gefahr. McCord warnte auch offen, die Verbündeten würden ihre Hilfen ohne eine klare Führungsrolle der USA «wahrscheinlich nicht aufrechterhalten».
Der Experte für Russland und Europa bei der US-Denkfabrik CSIS, Max Bergmann, schrieb auf der Plattform X: «Es ist wirklich an der Zeit, in Panik zu geraten.» Wenn der US-Kongress keine neuen Ukraine-Mittel beschliesse, sei das Land in grossen Schwierigkeiten. «Viele Ukrainer werden sterben.»
Unsicherheitsfaktor Nahost
Seit dem Wochenende gibt es zudem mit dem Grossangriff der islamistischen Hamas auf Israel einen weiteren Unsicherheitsfaktor. Niemand kann derzeit seriös abschätzen, wie sich die Lage in Nahost entwickelt und ob Israel möglicherweise Partner wie die USA um Unterstützung bitten muss.
Sollte dies nötig sein, ist es nicht ausgeschlossen, dass sich die Ukraine künftig Unterstützung und Aufmerksamkeit der USA teilen muss. Vorausgesetzt natürlich, der grundlegende Haushaltsstreit wird gelöst.
Die uneinigen Europäer
Könnten die Europäer im Fall eines Super-GAUs komplett ausfallende US-Hilfen kompensieren? Die Antwort, die in Brüssel auf diese Frage gegeben wird, ist ein klares Nein. «Sicherlich können wir mehr tun, aber die Unterstützung der Vereinigten Staaten ist für die Unterstützung der Ukraine unverzichtbar», sagte der Aussenbeauftragte der EU, Josep Borrell, am Donnerstag am Rande eines Spitzentreffens in Spanien. Europa könne die USA «ganz sicher nicht ersetzen».
Unklar ist sogar, ob aktuelle Pläne für neue Hilfen umgesetzt werden können. In der EU blockiert das russlandfreundliche Ungarn die Bereitstellung von 500 Millionen Euro für weitere Waffenlieferungen an die Ukraine. Am Freitag stellte sich Ministerpräsident Viktor Orban zudem auch gegen Vorschläge, bis Ende 2027 weitere 70 Milliarden Euro zur Verfügung zu stellen.
Darüber hinaus könnte es nach der Wahl in der Slowakei dazu kommen, dass Sieger Robert Fico einen ähnlichen Kurs einschlägt wie Orban. Fico hatte vor der Wahl angekündigt, er wolle die bei der Bevölkerung unbeliebte Waffenhilfe beenden und der Ukraine nur mehr mit zivilen Gütern helfen. Auch Polen kündigte zuletzt an, Waffenlieferungen an die Ukraine auf bereits abgeschlossene Verträge zu beschränken.
Die Geber aus der zweiten Reihe
Wenn die USA ausfallen sollten, richtet sich der Blick vor allem auf Deutschland – als wirtschaftsstärkstes EU-Land die Nummer Zwei unter den Geberländern. Deutschland hat sich die Waffenhilfe für die Ukraine bis September 5,2 Milliarden Euro kosten lassen. Das ist nur ein Bruchteil dessen, was die USA geleistet haben, aber es besteht auch das Versprechen, die Ukraine so lange wie nötig zu unterstützen.
Auch die britische Regierung, die zu den grössten Unterstützern Kiews gehört, lässt bislang keine Anzeichen für ein Abschwächen ihrer Hilfen erkennen. Grossbritannien hat der Ukraine im laufenden Jahr Militärhilfen in Höhe von 2,3 Milliarden Pfund (etwa 2,5 Milliarden Franken) zugesagt. Trotzdem sind die britischen Möglichkeiten beschränkt, weil London einen grossen Teil seiner Lagerbestände weitergegeben hat.
Die Ukraine ist auf den Westen angewiesen
Die Ukraine hängt am Tropf des Westens – und finanziert bisher etwa die Hälfte ihres Staatshaushalts durch internationale Hilfen. Medien in Kiew beziffern die bisher geleistete Unterstützung des Westens auf mehr als 170 Milliarden US-Dollar.
«Die grösste Herausforderung für uns besteht darin, Einigkeit in Europa zu wahren», sagte Selenskyj am Donnerstag beim EU-Gipfel in Spanien. Mit Blick auf den «politischen Sturm» in den USA appellierte er an die Europäer, sich «auf ihre eigenen Stärken» zu besinnen. Zugleich äusserte er Zuversicht, dass auch die USA ihre Hilfe für sein Land am Ende doch fortsetzen werden.
Putins Genugtuung
Kremlchef Wladimir Putin dürfte die aktuelle Lage mit Genugtuung verfolgen. Russland hofft auf Ermüdungserscheinungen des Westens bei der Hilfe für die Ukraine und lobt die «Nüchternheit» von Politikern etwa in Ungarn und in der Slowakei.
Putin ist überzeugt, dass die Ukraine durch die westlichen Milliardenhilfen und Waffenlieferungen nur noch künstlich am Leben gehalten wird. «Stellen Sie sich vor, die Lieferungen enden morgen, dann überlebt sie nur eine Woche», sagte er in der vergangenen Woche.