Schweizer im Inferno von Maui «Es lagen tote Menschen auf der Strasse, verkohlte Haustiere»

Von Cyrill Treptow und Gil Bieler

17.8.2023

Schweizer im Inferno von Maui: «Schock, nur noch Schock»

Schweizer im Inferno von Maui: «Schock, nur noch Schock»

Eine Feuerkatastrophe hat immense Zerstörung und Leid über Hawaii gebracht. Der Zürcher Auswanderer Mike Jucker lebt auf Maui. Im Gespräch mit blue News berichtet er vom Inferno, dem Leben danach – und seiner Hoffnung für die Zukunft.

16.08.2023

Eine Feuerkatastrophe hat immense Zerstörung und Leid über Hawaii gebracht. Der Zürcher Auswanderer Mike Jucker lebt auf Maui. Im Gespräch berichtet er vom Inferno, dem Leben danach – und seiner Hoffnung für die Zukunft.

Von Cyrill Treptow und Gil Bieler

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Verheerende Waldbrände haben am 8. August mehrere Ortschaften auf den Hawaii-Inseln Maui und Big Island weitgehend zerstört. Über 100 Menschen kamen ums Leben.
  • Der gebürtige Zürcher Mike Jucker lebt seit Jahren auf Maui, nahe der Kleinstadt Lahaina. Diese wurde von den Flammen besonders schwer getroffen. 
  • «Da lagen vereinzelt tote Menschen auf der Strasse, verkohlte Haustiere», erklärt Jucker im Gespräch mit blue News von seinen Eindrücken, als er das erste Mal in die Stadt zurückkehrte. 
  • Der Alltag für die Menschen auf der Insel ist nach wie vor voller Hürden und Schwierigkeiten. 

«Das ist Hardcore, das willst du nicht erleben», sagt Mike Jucker. «Die müssen eine ganze Stadt neu aufbauen.»

Jucker spricht über die verheerende Feuerwalze, die Lahaina regelrecht überrollt hat. Mehr als 100 Menschen kamen ums Leben, die Zerstörung auf den beiden Inseln Maui und Big Island ist enorm.

Der gebürtige Zürcher lebt mit seiner Frau und den drei gemeinsamen Kindern auf Maui, in der Nähe von Lahaina. Das 13'000-Menschen-Städtchen wurde besonders hart getroffen. Jucker hat einen Skateshop in Lahaina und arbeitet nebenher in einem Hotel.

Der Hobby-Surfer ist vor rund 25 Jahren ausgewandert, erst einmal aufs Geratewohl reisen gegangen. «Der Traum vom ewigen Sommer» führte ihn dann nach Hawaii. Für den leidenschaftlichen Snow- und Skateboarder lag der Sprung aufs Surfbrett nahe.

Die Brandkatastrophe auf Maui bestürzt den Auswanderer. Man habe auf der Insel aber leider Erfahrung mit solchen Feuern, wenn auch im kleineren Massstab. «Es gibt hier viele Buschbrände, und die Infrastruktur ist in einem desolaten Zustand», berichtet Jucker im Gespräch mit blue News. «Telefon- und Stromleitungen werden einfach über Holzpfähle geführt.»

Föhnsturm als böse Vorahnung

An den verheerenden 8. August erinnert er sich noch genau. «Es war ein wunderschöner Tag, mit stahlblauem Himmel.» Doch plötzlich kam ein starker Wind auf. «Ein richtiger Föhnsturm, mit 80 bis 90 km/h.» Da sei manchen schon mulmig geworden. Das Buschgras im Umland der Kleinstadt fing Feuer.

Jucker und seine Frau blieben in ihrem Zuhause, rund zehn Kilometer ausserhalb der Stadt. Sie hatten da schon keinen Strom mehr. Blackout.

«Ich konnte es aber doch nicht lassen und ging mit dem Windfoil-Board am Nachmittag doch noch an den Strand. Da sah ich schwarzen Rauch aufsteigen.» Er wusste, dass das kein gutes Zeichen war. «Da mussten Häuser in Brand geraten sein», sagt Jucker. Er ging daher zum erhöht gelegenen Flughafen, von wo aus er einen besseren Blick auf die Stadt hatte.

Er war fassungslos. Und ahnte Böses: Viele Gebäude in Lahaina seien Holzbauen aus den Fünfziger- und Sechzigerjahren. «Daher weiss man: Wenn ein Haus Feuer fängt, brennt die ganze Nachbarschaft. Und so ist es dann auch gekommen.»

Die Juckers gingen abends mit mulmigem Gefühl schlafen. Am nächsten Morgen stand eine Freundin vor der Tür. «Sie sagte, sie habe die Nacht auf einem Parkplatz verbracht. Und fragte, ob sie wohl unser WC benutzen dürfe.»

Verzweiflung auf Maui: Einwohner*innen wollen zurück nach Lahaina

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Ungeduld und Verzweiflung sind gross auf der Insel Maui im US-Bundesstaat Hawaii. Stundenlang warteten Einwohner*innen von Lahaina auf die Genehmigung, nach dem verheerenden Flächenbrand wieder zurück zu dürfen.

16.08.2023

Die Juckers gingen sogleich zu besagtem Parkplatz. Einer grossen Parkfläche im Ort, zwischen Läden gelegen. «Da waren Hunderte Menschen versammelt, die alle vor den Flammen flüchten mussten», erinnert er sich.

Natürlich mutmassten alle, wie schlimm es um die Stadt bestellt sei. Die Ungewissheit nagte auch an Mike Jucker. Zur Mittagszeit konnte er nicht mehr anders: Er musste nachschauen gehen, wie es um seinen Skater-Laden steht.

Mit einem Freund fuhr er über Feldwege in die Stadt. Erleichterung: Der Laden stand noch. Der Grund: «Mein Geschäft steht zum Glück in einem Viertel aus Betonbauten.» Doch natürlich wollten sie auch gleich nachschauen, wie es um die Häuser ihrer Freunde und Bekannten stand. Und da bot sich ein ganz anderes Bild. «Lahaina ist ein einziges Katastrophengebiet. Da lagen vereinzelt tote Menschen auf der Strasse, verkohlte Haustiere», berichtet Jucker. Ein Schock. «Das war zu viel, wir mussten da wieder rausfahren.»

«Das ist hier nicht so durchgeplant wie in der Schweiz»

Die Feuerwehr könne bei solch starken Winden nicht mehr viel ausrichten, sagt der Auswanderer über die Löscharbeiten während der Brandkatastrophe. Zudem waren die Einsatzkräfte auf andere Brandherde konzentriert, da Maui als relativ sicher gilt.

Die Organisation der Einsatzkräfte habe ein paar Tage gedauert, «das ist hier nicht so durchgeplant wie in der Schweiz». Den Zugang in die Stadt zu regeln, sei zunächst recht chaotisch abgelaufen – obwohl es nur eine richtige Strasse gebe und eine Art Passstrasse. Lange durften nur Einheimische in die Stadt und wieder hinausfahren. Erst seit dem heutigen Donnerstag ist sie wieder gänzlich freigegeben.

Ohnehin hat die Feuersbrunst das Leben auf der Insel auf den Kopf gestellt. Internetzugang habe er nur sporadisch, sagt Jucker, den auch blue News erst nach mehreren Tagen erreicht. Das Kommunizieren mit der Aussenwelt sei sehr schwierig.

Der Familienalltag ist ebenfalls im Ausnahmezustand. Die öffentliche Schule, an der die Zwillinge der Juckers die 7. Klasse besuchen, riet dazu, die Kinder an eine andere Schule zu schicken. Juckers unterrichten sie jetzt wieder im Heimunterricht. Wie in der Pandemie. Die Tochter geht dank Stipendien und der guten Noten ohnehin auf eine Privatschule.

Mit Spendenaufrufen wird jetzt versucht, dass auch einige andere Schüler*innen für ein Jahr auf diese Privatschule gehen dürfen. «Es gibt sehr viele Menschen auf Maui. Das ist hier der Züriberg hoch zwei», erklärt Jucker. Er ist daher guter Dinge, dass genügend Spenden zusammenkommen. «Weil sonst hast du als Eltern einfach Pech gehabt.»

«Ohne Tourismus werden wir es nicht schaffen»

Das Ferienparadies ist in seinen Grundfesten erschüttert, die Bilder der Flammen gehen um die Welt. Jucker weiss, dass der Wiederaufbau lange dauern werde. «Und ohne Tourismus werden wir es nicht schaffen.» Zu wichtig ist dieser Wirtschaftszweig für die lokale Bevölkerung. Die Hotelanlagen seien von den Bränden auch verschont geblieben – «ausser, dass die Angestellten ihr Haus über dem Kopf verloren haben». Das Hotel, in dem er arbeitet, nehme die Angestellten jetzt immerhin vorläufig auf.

«Diese Katastrophe ist anders als Covid, als es noch Geld vom Staat gab», sagt Jucker. Bald müssten Tourist*innen wieder Geld nach Maui bringen. Das sei nicht nur für die Hotels überlebenswichtig, auch er müsse seinen Laden wieder zum Laufen bringen.

Jucker glaubt, dass das gelingen kann: «Ich hoffe, dass auch die Feriengäste ein Teil dieses Wiederaufbaus sein werden.»

Zum Wiederaufbau möchte auch Jucker einen Beitrag leisten. Dazu hat er eine Spendenkampagne gestartet. Das Geld, das dort eingeht, soll «örtlichen Familien zukommen, die ihre Häuser und Leben wiederaufbauen».

Mit seinem «Stand Up Magazine» wird Jucker den Wiederaufbau dokumentieren: «Bis zum letzten Haus.»

Mitarbeit: Jan-Niklas Jäger.