Verurteilung in New York Nützt Trump die «grösste Hexenjagd aller Zeiten» sogar?

Von Benno Schwinghammer, Christiane Jacke, Julia Naue und Magdalena Tröndle, dpa/uri

10.5.2023 - 08:35

Sexuelle Nötigung: Trump muss 5 Millionen Dollar zahlen

Sexuelle Nötigung: Trump muss 5 Millionen Dollar zahlen

Laut Einschätzung der Geschworenen in Manhattan hat der Ex-US-Präsident in den 90er Jahren eine Journalistin missbraucht. Trumps Anwalt kündigte an, das Urteil anzufechten.

10.05.2023

Donald Trump muss wegen eines sexuellen Übergriffs eine Millionen-Entschädigung zahlen. Was anderswo eine Karriere beenden würde, hat im heutigen Amerika das Zeug dazu, den Wahlkampf noch anzuheizen.

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  • Donald Trump wurde dazu verurteilt, der US-Autorin E. Jean Carroll eine Entschädigung wegen sexuellen Missbrauchs zu zahlen.
  • Trump ist damit gebrandmarkt als Mann, der im Umgang mit Frauen keine Grenzen kennt und sie abschätzig behandelt.
  • Er könnte die Ermittlungen indes dafür nutzen, seine Anhänger weiter anzustacheln und Spenden zu sammeln.

Ein ungläubiges Raunen geht durch den Saal im 26. Stock des Gerichtsgebäudes in Downtown Manhattan. Vor den Fenstern glitzert der East River, drinnen – unter einem von zehn massiven Kronleuchtern – wedelt ein Justizangestellter mit einem Zettel der Jury, der so früh nicht erwartet wurde. Darauf geschrieben steht nur ein handschriftliches Wort: «Verdict» – Urteil.

Nicht einmal drei Stunden haben die neun Geschworenen in dem Fall gebraucht, um zu dem Schluss zu kommen, dass Donald Trump, der 45. Präsident der Vereinigten Staaten, eine Frau sexuell missbraucht und ihr so viel Leid zugefügt hat, dass er fünf Millionen Dollar Strafe zahlen soll. Das Urteil gegen den Republikaner ist nur eines aus einer ganzen Reihe von rechtlichen Problemen für den 76-Jährigen, der bei der Präsidentenwahl 2024 wieder antreten will.

Es ist ein komplexer Fall: Die Autorin E. Jean Carroll wirft Trump vor, er habe sie Mitte der 90er Jahre in der Umkleidekabine eines New Yorker Nobelkaufhauses vergewaltigt. Trump streitet das seit jeher ab und warf Carroll wiederholt öffentlich vor, aus Gründen der Eigenvermarktung Lügengeschichten zu erfinden.

Donald Trump kündigte an, gegen das Urteil in Berufung zu gehen.
Donald Trump kündigte an, gegen das Urteil in Berufung zu gehen.
Archivbild: Sue Ogrocki/AP/dpa

Klägerin Carroll: «Wir sind sehr zufrieden»

Strafrechtlich sind die Vorwürfe verjährt, doch zivilrechtlich konnte die heute 79-Jährige gegen Trump vorgehen. Sie verklagte ihn wegen Körperverletzung und Verleumdung und verlangte eine Entschädigung. Und sie erreichte einen bedeutsamen Erfolg: Die Geschworenen wiesen zwar den Vergewaltigungsvorwurf ab, kamen aber zu der Einschätzung, dass Trump Carroll sexuell missbraucht und verleumdet hat.

Schon kurz vor der Verkündung der Entscheidung ist Trumps Verteidigern an diesem Tag die Anspannung anzumerken. Sein Anwalt Joseph Tacopina streift von der einen Seite des dunkel vertäfelten Gerichtssaals in Manhattan zur anderen, grüsst fahrig in den Zuschauerraum. Nur eine Reihe vor ihm sitzt Carroll und bewegt sich wie schon während des Prozesses kaum.

Als sie am Ende das Gerichtsgebäude verlässt, lächelt Carroll. Sie geht schweigend vorbei an den wartenden Reportern und lässt allein ihr Gesicht sprechen. Die Anwältin an ihrer Seite, Roberta Kaplan, sagt im Vorbeigehen: «Wir sind sehr zufrieden.» Dann steigen beide in einen dunklen SUV und fahren davon.

Die Autorin Jean Carroll verlässt am 9. Mai 2023 das Bundesgericht in New York. 
Die Autorin Jean Carroll verlässt am 9. Mai 2023 das Bundesgericht in New York. 
Bild: John Minchillo/AP/dpa

Trump sieht «grösste Hexenjagd aller Zeiten»

Trump ist nicht persönlich vor Gericht erschienen. Er macht seinem Zorn aus der Ferne Luft, auf seiner Twitter-Alternative Truth Social. «Dieses Urteil ist eine Schande – eine Fortsetzung der grössten Hexenjagd aller Zeiten», schreibt er dort in Grossbuchstaben unmittelbar nach Bekanntgabe der Entscheidung. Und weiter: «Ich habe absolut keine Ahnung, wer diese Frau ist.»

Kurz darauf erscheint Trumps Anwalt Tacopina vor dem Gerichtsgebäude und kündigt an, Berufung gegen die Entscheidung einzulegen. Über seinen Mandanten sagt er: «Er ist stark. Er ist bereit weiterzumachen. Er wird mit einer Berufung dagegen ankämpfen.» Tacopina spricht von einem inkonsistenten und «merkwürdigen Urteil». Immerhin sei Trump «nicht als Vergewaltiger gebrandmarkt», schiebt er nach.

Das mag stimmen. Doch als «predator» – der Begriff bedeutet wörtlich eigentlich Raubtier und wird in den USA häufig für Sexualstraftäter verwendet – ist Trump trotzdem gebrandmarkt. Als ein Mann, der im Umgang mit Frauen keine Grenzen kennt und aus seiner abschätzigen Haltung ihnen gegenüber im Übrigen auch keinen Hehl macht.

Trump sagte zwar nicht während der Verhandlungstage vor Gericht aus, stand aber Carrolls Anwältin in dem Verfahren vorab Rede und Antwort. Ein 48-minütiges Video der Vernehmung wurde vor wenigen Tagen veröffentlicht. Darin wiederholte Trump verächtliche Aussagen über Carroll und andere Frauen, die ihm in der Vergangenheit sexuelle Übergriffe vorgeworfen haben.

An Trumps Sicht auf Frauen hat sich nichts geändert

Und er verteidigte auf bemerkenswerte Weise seine Äusserung, als Prominenter könne man Frauen überall anfassen, wenn man das wolle – auch an ihren Genitalien. «Wenn Sie sich die letzten Millionen Jahre ansehen, ist das wohl weitgehend wahr, nicht immer, aber weitgehend wahr. Leider – oder zum Glück», sagte Trump dazu in dem neuen Video.

Eine Tonaufnahme mit seiner vulgären Aussage war erstmals mitten im Wahlkampf 2016 aufgetaucht. Die Amerikaner wählten Trump trotzdem zum Präsidenten. Auch viele andere Skandale brachten den Republikaner in der Vergangenheit politisch nicht zu Fall. Insofern ist fraglich, ob Trump das nun ergangene Urteil nachhaltig schadet.

Da es sich um ein Zivilverfahren handelt, ging es von Anfang an nicht um eine Haftstrafe, sondern um eine finanzielle Entschädigung. Rein rechtlich hat die Entscheidung damit keinerlei Einfluss auf den Wahlkampf. Und politisch?

Während es in vielen Demokratien unvorstellbar wäre, dass ein Politiker, der vor Gericht für sexuellen Missbrauch haftbar gemacht wird, an die Staatsspitze vorrückt, scheint das in den USA keinesfalls ausgeschlossen. Trumps Sicht auf Frauen ist spätestens seit 2016 bekannt. Dass sich an seiner Haltung nicht das Geringste geändert hat, hat er in diesem Verfahren unmissverständlich zum Ausdruck gebracht.

Teile seiner Wählerbasis sind ohnehin so indoktriniert, dass sie sich durch jedes rechtliche Vorgehen gegen Trump nur in ihrem Eifer bestärkt fühlen. Sie folgen Trumps Narrativ, dass alles, was gegen ihn vorgebracht wird, Teil eines politischen Komplotts ist, um seinen Wiedereinzug ins Weisse Haus zu verhindern.

Trump nutzt Ermittlungen, um Anhänger aufzustacheln

Trump hat in den vergangenen Monaten diverse juristische Ermittlungen gegen sich dafür genutzt, um seine Anhänger anzustacheln und Spenden zu sammeln. Das dürfte er auch jetzt wieder tun – und dabei betonen, dass er nicht für Vergewaltigung verantwortlich gemacht wurde.

Auch wenn der Jury-Beschluss Trumps moralische Bürde weiter vergrössert – politisch und rechtlich könnten ihm andere Verfahren gefährlicher werden. Gegen Trump laufen Ermittlungen zu seinem Umgang mit geheimen Regierungsunterlagen und zu seinen Bemühungen, den Ausgang der Präsidentenwahl 2020 zu manipulieren. Käme es hier zu einer Anklage und womöglich zu einer Verurteilung, könnte Trump richtig in Schwierigkeiten geraten.

Eine andere Anklage gegen ihn steht bereits: Als erster Ex-Präsident in der US-Geschichte muss sich Trump in einem Strafverfahren verantworten, ebenfalls in New York – wegen Schweigegeldzahlungen an einen Pornostar, die Trump in Geschäftsunterlagen zu verschleiern versucht haben soll.

Wer sich wundert, dass jemand bei dermassen viel juristischem Ballast überhaupt noch politische Ambitionen zeigt, der kennt Trump schlecht. Seine Kritiker argumentieren, er strebe das Präsidentenamt als Schutzschild vor Strafverfolgung an. Sein Anwalt Tacopina dagegen sagt draussen vor dem Gericht, Trump sei einfach «nicht unterzukriegen». Und zur weiteren Strategie: «Er macht weiter, wie er es immer tut.»

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Von Benno Schwinghammer, Christiane Jacke, Julia Naue und Magdalena Tröndle, dpa/uri