Lockdown-Ende in ÖsterreichDas Virus bleibt ein Spielverderber
Von Oliver Kohlmaier
14.12.2021
Corona-Massnahmen spalten Österreich – Lockdown für Ungeimpfte endet
Corona-Massnahmen spalten Österreich – Lockdown für Ungeimpfte endet
12.12.2021
Mit einem neuen Lockdown für alle und der Ankündigung einer Impfpflicht machte Österreich weltweit Schlagzeilen. Drei Wochen später hat sich die Corona-Lage gebessert — die Stimmung im Land nicht.
So durfte die Wohnung nur noch aus triftigen Gründen wie etwa dem Weg zur Arbeit, zum Einkaufen oder für Arztbesuche verlassen werden. Gastronomie und Kultureinrichtungen mussten schliessen, der nicht lebensnotwendige Detailhandel ebenso, in Österreich schlicht «Handel» genannt.
Drei Wochen und einen Kanzler später hat das Land nun weitgehend wieder geöffnet. Die Ausgangsbeschränkungen gelten nur noch für Ungeimpfte, trotz der niedrigen Impfquote der kleinere Teil der erwachsenen Bevölkerung.
Dies führt zur Frage: Was hat es gebracht? Denn während sich am 3. Advent auf den wieder geöffneten Weihnachtsmärkten des Landes zahlreiche Menschen tummeln, diskutieren Expert*innen bereits die Frage, ob man angesichts der Situation in den Spitälern nicht zu früh wieder aufgemacht habe. Denn auf den Intensivstationen ist die Lage nach wie vor angespannt.
Fünf Extrawürste
Dabei geht es zwischen Vorarlberg und Burgenland nicht überall gleich zu. Die Bundesländer haben die Vorgaben des Bundes unterschiedlich ausgelegt und mutmasslich auch Rücksicht auf die eigene Klientel genommen. Extrawürste also. Fünf an der Zahl, bei neun Bundesländern. In der Hauptstadt Wien, zugleich ein eigenes Bundesland, gibt es die niedrigsten Infektionszahlen. Dort hingegen ist man am vorsichtigsten.
Während die Metropole an der Donau Handel, Gastronomie und Kultur eine Woche länger geschlossen hält, nutzen ausgerechnet die Inzidenz-Hotspots Vorarlberg und Tirol den Rechtsrahmen des Bundes aus und sperren am weitesten auf.
Auch arbeiten in Tirol und Vorarlberg die Intensivstationen nach wie vor am Limit. Die Anzahl der mit Covid-Patient*innen belegten Plätze hat sich laut neuen Daten von Montag im Vergleich zum 22. November sogar noch erhöht. Beide Bundesländer grenzen an die Schweiz. Und bei den Nachbarn setzt der Vorarlberger Landeshauptmann Markus Wallner an. Weil auch die Schweiz, Liechtenstein und Deutschland «alles geöffnet» hätten, bleibe dem Land «nichts anderes übrig».
Im flachen Teil Österreichs vermutet man den Grund eher bei den einflussreichen «Seilbahnern», mitunter auch verwendet als Sammelbezeichnung für die gesamte Tourismusbranche. Ohnehin waren die Skigebiete trotz Lockdown geöffnet, mit 2G-Regel und Maskenobligatorium.
Infektionszahlen sinken drastisch
Dennoch, das primäre Ziel des Lockdowns wurde erreicht. Die Infektionszahlen sind drastisch gesunken, die Sieben-Tage-Inzidenz konnte um zwei Drittel von 1100 auf 370 reduziert werden.
Demnach haben sich am Samstag 4460 Menschen mit dem Coronavirus infiziert, am ersten Tag des Lockdowns vor drei Wochen waren es mit 13'806 mehr als dreimal so viele. Wegen Problemen mit dem Meldesystem liegen für den Sonntag noch keine vollständigen Daten vor.
Die ermutigenden Zahlen jedoch sind für Expert*innen mit Vorsicht zu geniessen. Denn natürlich schwebt auch in Österreich das Damoklesschwert Omikron bedrohlich über den Häuptern. Zwar gelang es, die aktuelle Welle zu brechen. Die Variante werde in «wenigen Wochen» jedoch wieder zu einem Anstieg bei den Neuinfektionen führen, wie der Virologe Andreas Bergthaler am Montag im Ö1-Morgenjournal sagte.
Damit gab der Mediziner vom Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften die einhellige Meinung der Expert*innen im Land wider. Das Virus, sagt Bergthaler, bleibe «leider ein Spielverderber».
Was macht die Impfquote?
Dass die im internationalen Vergleich drastischen Massnahmen überhaupt notwendig wurden, war der katastrophalen epidemiologischen Lage geschuldet. Diese wiederum wird nach Ansicht der Expert*innen wie auch hierzulande von einer unzureichenden Impfquote begünstigt. Immer weiter erhöhte die Regierung mit Massnahmen den Druck auf die Zögernden.
Bereits vor Ankündigung des Lockdowns für alle waren drastische Einschränkungen für Ungeimpfte längst Realität. Der Erfolg hielt sich schon damals in Grenzen. Zwar führte die viel titulierte «Schnitzel-Panik» da und dort zu Schlangen vor den Impfzentren.
Der Anteil vollständig immunisierter Personen hat sich dennoch nicht signifikant verbessert. Waren es zu Beginn des Lockdowns für alle am 22. November 61,83 Prozent, sind es aktuell noch immer lediglich 65,49 Prozent der Gesamtbevölkerung. In der vergangenen Woche wurden laut Daten des österreichischen Gesundheitsministeriums gar über 15 Prozent weniger Impfungen verabreicht als in der Woche zuvor — Booster eingeschlossen.
«Blut an den Händen»
Derweil ist die politische Stimmung aufgeheizt, das Land ist gespalten wie lange nicht. Je lauter die Hilferufe aus den Spitälern wurden, desto heftiger wetterte etwa der FPÖ-Vorsitzende Herbert Kickl gegen Lockdown und angekündigte Impfpflicht.
Österreich werde nun endgültig zur Diktatur, behauptete der Ex-Innenminister und rief zu Demonstrationen auf. Dieser habe mittlerweile «Blut an den Händen», sagte Tourismusministerin Elisabeth Köstinger am Samstag.
Karl Nehammer bat am Tag darauf in seinem ersten Live-Interview als Kanzler zwar explizit auch seine ÖVP-Parteikollegin um Mässigung. Inhaltliche Zustimmung deutete er dennoch an. Schliesslich sei es Kickl, der «eine sehr aggressive Sprache» pflege und auch Falschinformationen weitergebe.
Der neue Verfassungsschutzchef Omar Haijawi-Pirchner warnt derweil vor einer drastischen Radikalisierung in der Bewegung. «Die Szene der Corona-Leugner ist derzeit die grösste Bedrohung für die Sicherheit», sagte er im Interview mit der österreichischen Tageszeitung «Der Standard». Das grosse Risiko liege darin, dass «Rechtsextreme die Szene nutzen, um ihre Ideologie voranzutreiben».
Den Lockdown auch für Geimpfte nannte der frischgebackene Regierungschef vergangene Woche eine «Atempause». Die Wortwahl mag angesichts der vielen Intubierten auf den Intensivstationen etwas unglücklich gewesen sein. Die sinkenden Infektionszahlen werden sich aller Erfahrung nach aber durchaus auf die Belastung in den Intensivstationen auswirken.
Für Ungeimpfte geht der Lockdown unterdessen einfach weiter. Schon Anfang November kündigte der damalige Kanzler Schallenberg ein «ungemütliches» Weihnachten für die Zögernden an. Gastronomie, Handel und Kultur wie auch Coiffeure sind auch weiterhin nur unter der 2G-Regel zugänglich.
Die noch nicht Immunisierten hätten den «Schlüssel aus dem Lockdown-Alltag» Gesundheitsminister Mückstein zufolge selbst in der Hand. Überhaupt setzt die Politik offenbar alles auf das kommende Frühjahr. Denn «das Problem» sei laut dem Tiroler Landeshauptmann Günther Platter noch nicht beseitigt. «Das können wir nur mit der Impfpflicht.»