Teil-Lockdown in Österreich«Ich wünsche den Schweizern, dass es nicht so weit kommt»
Von Sven Hauberg, Kufstein
15.11.2021
Seit Montag gilt in Österreich ein Lockdown für Ungeimpfte. Was halten die Menschen vor Ort von der Massnahme? blue News hat sich in Kufstein umgehört.
Von Sven Hauberg, Kufstein
15.11.2021, 23:55
17.11.2021, 17:20
Von Sven Hauberg, Kufstein
Österreich ist kaum in die neue Woche gestartet, da vermeldet das Land einen Negativrekord: Fast 12'000 neue Infektionen mit dem Coronavirus wurden innerhalb von 24 Stunden gezählt, so viele wie nie an einem Montag. In Kufstein, der zweitgrössten Stadt des Bundeslands Tirol, ist die Lage sogar noch dramatischer – 1136 Neuinfektionen pro 100'000 Einwohnern innerhalb von sieben Tagen wurden in dem Bezirk gezählt, im Landesdurchschnitt liegt die Inzidenz bei etwa 890.
Hier, an der Grenze zum deutschen Bundesland Bayern, gilt seit Montag wie auch im Rest der Alpenrepublik ein Lockdown für Ungeimpfte. Wer weder genesen noch geimpft ist, soll möglichst zu Hause bleiben. Vor die Tür darf man nur zum Arbeiten, um notwendige Besorgungen zu machen, um zum Ausbildungsplatz zu gelangen oder zur körperlichen und geistigen Erholung.
«Jeder Hund darf mehr als ich», klagt Michael, der in einem kleinen Handyladen im Einkaufszentrum «Kufstein Galerien» arbeitet. Der junge Mann ist noch nicht geimpft, seine erste Spritze bekommt er im Dezember. Zu seinem Arbeitsplatz darf er fahren, klar. Aber danach? Höchstens noch Lebensmittel einkaufen, dann aber ab nach Hause. Mit Freunden essen gehen? Ins Kino? Für Michael nicht mehr möglich.
Die neuen Corona-Massnahmen, glaubt er, würden nichts bringen. «Wer sich nicht impfen lassen will, tut es auch jetzt nicht», meint Michael – auch wenn er selbst es kaum abwarten kann, endlich das Vakzin zu bekommen. In Michaels Laden ist es am Montagvormittag menschenleer. Er habe viel weniger Kunden als sonst, klagt der Verkäufer und schüttelt den Kopf: «Die Regierung hat in den letzten Monaten so viele Massnahmen eingeführt, und die Zahlen sind trotzdem so hoch. Das verstehe ich nicht.»
Wer soll die Massnahmen kontrollieren?
Tatsächlich ist Österreich, zusammen mit der Schweiz, eines der Länder mit der niedrigsten Impfquote in ganz Westeuropa. Erst gut 65 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher sind vollständig geimpft. Mit Einführung der 2G-Regel hat die Regierung in Wien nun die Notbremse gezogen, Bundeskanzler Alexander Schallenberg kann sich sogar weitergehende Massnahmen vorstellen.
Der jetzt beschlossene Lockdown für Ungeimpfte gilt vorerst für zehn Tage und sei nur die «Unterkante» der Möglichkeiten, so der ÖVP-Politiker. Einzelne Bundesländer dürfen noch strengere Massnahmen erlassen, in der Hauptstadt Wien etwa soll in der Nachtgastronomie und bei allen Veranstaltungen von mehr als 25 Personen auch von Geimpften und Genesenen künftig ein PCR-Test verlangt werden.
Dabei stellt sich schon jetzt die Frage, wer die 2G-Regelung eigentlich überwachen soll. Laut Regierung ist die Polizei zuständig, im Alltag merkt man davon allerdings nichts. Auf den Strassen von Kufstein jedenfalls ist keinerlei Polizei unterwegs, auch in den Geschäften oder Restaurants überprüft niemand das Zertifikat.
«Darf ich Sie fragen, ob Sie geimpft oder genesen sind?», fragt zwar die Verkäuferin in einem Buchladen; als man aber sein Handy zückt, um das EU-Zertifikat vorzuzeigen, winkt sie ab. «Nur, falls eine Kontrolle kommt.» Kam denn heute schon eine? Nein, sagt die junge Frau und schüttelt den Kopf. Bei Verstössen drohen jedenfalls saftige Strafen: Kunden müssen bis zu 1450 Euro zahlen, wenn sie ohne Impfung angetroffen werden, die Ladeninhaber sogar 3600 Euro.
In der Schweiz «unvorstellbar»
Kufstein liegt eingerahmt von Bergen am Ufer des Inn. Am Rande der Altstadt erhebt sich auf einem Felsen die Festung aus dem 13. Jahrhundert, das Wahrzeichen der Stadt. Knapp 20'000 Menschen leben hier, viele von ihnen ohne Impfung. Im ganzen Land sind zwei Millionen ungeimpfte Österreicherinnen und Österreicher von den neuen Regelungen betroffen, auch in Kufstein sind es ein paar Tausend.
«Die Massnahmen sind notwendig, schüren aber auch Aggressionen», sagt Gudrun, die ihren Nachnamen nicht nennen will. Sie fürchtet, dass der Lockdown für Ungeimpfte die Spaltung der Gesellschaft noch weiter vorantreiben wird. Und Hoffnung, dass sich die Lage bald bessern wird, hat sie auch nicht. «Die Militanten lassen sich so auch nicht von einer Impfung überzeugen», glaubt die ältere Dame.
Wie Corona zu einer Spaltung in der eigenen Familie führen kann, erlebt gerade Verena Gäumann. Zwei ihrer vier Töchter seien geimpft, die anderen beiden nicht. «Ich verstehe das nicht», sagt sie und klingt dabei ein wenig verzweifelt. Familienfeiern im Privaten sind für Verena Gäumann und ihre Kinder noch möglich, ein gemeinsamer Restaurantbesuch hingegen nicht.
Verena Gäumann lebt in Kufstein, stammt aber aus Bern. Dass in der Schweiz die Corona-Lage ähnlich dramatisch ist wie in Österreich, macht ihr Sorgen. Ein Lockdown für Ungeimpfte kann sie sich aber zwischen Genf und St. Gallen nicht vorstellen, «das ist unvorstellbar», sagt sie. Und ergänzt: «Ich wünsche den Schweizern jedenfalls, dass es nicht so weit kommt.»
Lockdown für Ungeimpfte: Protest vor Kanzleramt in Wien
Dutzende Menschen protestieren vor dem Kanzleramt in Wien gegen den Lockdown für Ungeimpfte, der seit heute in Österreich gilt. Ungeimpfte dürfen ihre Wohnung jetzt nur noch aus triftigen Gründen verlassen. Viele Demonstranten fühlen sich diskrimi