Unbeliebter KanzlerkandidatDarum darf Olaf Scholz nach einer «Shitshow» weitermachen
Andreas Fischer
25.11.2024
Kanzlerkandidat Scholz will SPD zur stärksten Kraft machen
Berlin, 25.11.2024:
Die SPD hat sich nach zäher und kontroverser Debatte geeinigt: Olaf Scholz wird als Kanzlerkandidat in die Bundestagswahl gehen.
Scholz gab trotz bis zu 19 Prozentpunkten Rückstand auf die Union in den Umfragen als Ziel aus, dass die SPD wieder stärkste Partei wird: «Was wir erreichen wollen ist ziemlich offensichtlich: So wie beim letzten Mal (...) wollen wir vorne liegen.»
Bei den Beliebtheitswerten schneidet der Kanzler in den Umfragen aber weiterhin schlechter ab als Merz. Im aktuellen ZDF-Politbarometer liegt er auf Platz 7 und Merz auf Platz 5. Pistorius ist unangefochten die Nummer 1.
In den vergangenen zwei Wochen hatte die Partei noch öffentlich darüber diskutiert, ob vielleicht der deutlich beliebtere Verteidigungsminister als Ersatzkandidat für den durch die Ampel-Regierung angeschlagenen Scholz eingewechselt werden soll.
25.11.2024
Seine Koalition ist gescheitert, aber der deutsche Bundeskanzler soll es wieder versuchen: Die SPD rauft sich zusammen und zieht mit Olaf Scholz in den Wahlkampf. Das Nachsehen hat ein Kandidat, der viel populärer ist.
Andreas Fischer
25.11.2024, 23:30
Andreas Fischer
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Nach wochenlanger Debatte hat die Führung der deutschen SPD Olaf Scholz als Kanzlerkandidaten nominiert.
Dei Entscheidung wirft Fragen auf: Sein Konkurrent Boris Pistorius ist in der Bevölkerung weitaus beliebter.
Olaf Scholz wird wieder Kanzlerkandidat und soll die SPD in den kurzen Wahlkampf für die vorgezogenen Bundestagswahlen am 23. Februar in Deutschland führen. Darauf hat sich die Parteispitze der Sozialdemokraten nach einer bizarren öffentlichen Debatte einstimmig verständigt. Scholz’ offizielle Wahl auf einem Parteitag Anfang Januar gilt als Formsache.
Dass Olaf Scholz wirklich noch einmal als Kanzlerkandidat antritt, war in den vergangenen Wochen nicht unbedingt abzusehen. Viele in der Partei wollten lieber Boris Pistorius an der Spitze. Der Verteidigungsminister ist derzeit Deutschlands beliebtester Politiker, ein Kumpeltyp mit bürgernaher Sprache. Ganz anders als der oft als überheblich wahrgenommene Scholz, der Probleme lieber aussitzt als sie anzupacken.
Riesiger Rückstand? Kann Scholz drehen, glaubt die SPD
Nicht erst seit dem Aus der Ampel-Koalition ist Scholz angeschlagen. Der Politiker gilt als unbeliebtester Bundeskanzler, den Deutschland je hatte. Seine persönlichen Beliebtheitswerte sind im Keller und damit am anderen Ende einer Skala, die von Boris Pistorius angeführt wird.
Seine Partei dümpelt in aktuellen Umfragen bei 14 Prozent herum, gleichauf mit den Grünen und fünf Prozentpunkte hinter der in Teilen gesichert rechtsextremen AfD. Die Unionsparteien CDU und CSU sind enteilt. Scholz startet mit 19 Prozentpunkten Rückstand auf seinen ärgsten Widersacher Friedrich Merz. Kann er das noch drehen?
Die SPD sagt: Ja. Schliesslich war die Ausgangslage bei der vorigen Wahl ähnlich aussichtslos. Die SPD mit Scholz als Kanzlerkandidat wurde 2021 trotzdem knapp stärkste Kraft. Was allerdings massgeblich an öffentlichen Patzern des damaligen Unionskandidaten Armin Laschet lag.
Das ganze Land wohnt der Demontage des Kanzlers bei
In Deutschland konnte man in den letzten Wochen ein bizarres Schauspiel beobachten. Als er Finanzminister Christian Lindner entliess, zeigte Olaf Scholz die Führungsstärke, die das Land lange vermisst hatte. Plötzlich war Scholz ein Mann der klaren Worte, ein Mann, der wusste, was er will. Für einen Moment zumindest.
In der SPD, die in den ewigen Streitigkeiten innerhalb der regierenden Ampelkoalition mit FDP und Grünen zusehends verblasste, war kurzzeitig so etwas wie Aufbruchsstimmung zu spüren. Doch dann zerfleischte sich die Partei wieder selbst. In aller Öffentlichkeit wurde diskutiert ob nicht der deutlich beliebtere Verteidigungsminister Boris Pistorius als Ersatzkandidat für den Scholz eingewechselt werden soll.
Der Kanzler konnte sich nicht einmal wehren, er weilte in Brasilien beim G20-Gipfel, während immer mehr Genossen in der Heimat an seiner Demontage arbeiteten. Von den Parteivorsitzenden war kein Machtwort zu hören, auch Boris Pistorius äusserte sich lange nicht klar, ob er Scholz ablösen wolle oder nicht. Erst am vergangenen Donnerstag verkündete er nach einer quälend langen Zeit, auf eine Kanzlerkandidatur zu verzichten.
Damit war der Weg für die Nominierung von Scholz frei. Die Hängepartie in der Kanzlerfrage aber wirkt nach. Der SPD-Nachwuchs Juso hat der Parteiführung in der Krise um die Kanzlerkandidatur ein verheerendes Zeugnis ausgestellt. «Was war das eigentlich für eine Shit Show in den letzten Wochen?», fragte Juso-Chef Philipp Türmer.
Geht das Kalkül der SPD auf?
Ob die Entscheidung für Scholz und gegen Pistorius richtig ist, darüber ist man sich in Deutschland nicht einig. Die einen sehen darin «eine kluge Entscheidung – für Olaf Scholz, Boris Pistorius und die SPD.»
Scholz, weil er noch eine letzte Chance bekommt, die SPD weil sie auf eine Beteiligung an einer grossen Koalition hinarbeiten kann und Pistorius, weil er sich mit seinem kleinen Schritt zurück als nächster starker Mann in der SPD in Stellung bringt. Er kann sich als «Kanzler der Herzen» zurücklehnen und «wird nicht als derjenige dastehen, der im Frühjahr gegen Friedrich Merz verliert», wie SWR kommentiert.
Kommt hinzu, dass ein Kanzlerkandidat Pistorius unwägbare Risiken mit sich gebracht hätte: Dem Politiker haftet das Image eines hemdsärmeligen Anpackers an. Aber niemand wisse, schreibt «Focus» , ob er auch tragfähige Konzepte hat für die Probleme die Deutschland gerade beschäftigen: Zuwanderung, Klimaschutz und vor allem die kriselnde Wirtschaft.
Im Wahlkampf könnte sich die Entscheidung ohnehin als strategisch richtig erweisen. Mit Olaf Scholz bietet die SPD einen Mann auf, der viel Erfahrung mit Regierungsarbeit hat, im Gegensatz zu Friedrich Merz, der keinerlei Erfahrung mit Regierungsämtern hat. Die Partei will den Wahlkampf auf das Duell zwischen den beiden zuspitzen: «Wir werden Friedrich Merz nicht durchkommen lassen mit dem, was wir gerade erleben, dass er sich versteckt, dass man nicht über Inhalte redet», griff der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil den CDU-Chef scharf an.
Die Gescheiterten machen einfach weiter
Für einige ist die Entscheidung für Scholz hingegen eine vertane Chance. Sie wirke, wie «ein Entschluss, der aus der Binnenlogik der Partei heraus getroffen wurde. Sie scheut das Risiko. [...] Sie lässt Siegeswillen vermissen.» Mehr als der Juniorpartner in einer Grossen Koalition sei mit Scholz nicht drin, bedauert «Die Zeit».
Für die Parteien der Mitte insgesamt sei die Personalie eine schlechte Nachricht. «Denn sie komplettiert einen Eindruck, der sich als fatal herausstellen könnte: Die drei Gesichter einer qualvoll gescheiterten Koalition – Olaf Scholz, Robert Habeck und Christian Lindner – machen als Spitzenkandidaten ihrer Parteien einfach weiter.»
Und Olaf Scholz? Der lässt sich scheinbar weder vom innerparteilichen Machtkampf noch von schlechten Umfragewerten beeindrucken. Er will als Kanzlerkandidat die SPD erneut an die Macht führen: «So wie beim letzten Mal (...) wollen wir vorne liegen, stärkste Partei werden.»
K-Frage: Pistorius verzichtet auf Kanzlerkandidatur
Der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius hat zur K-Frage der SPD lange Zeit gesagt, dass er nichts ausschliessen wolle. Jetzt schafft er Klarheit. Er steht nicht für eine SPD-Kanzlerkandidatur zur Verfügung.