Deal mit US-Behörden Julian Assange kommt überraschend frei

SDA

25.6.2024 - 06:13

Assange-Unterstützer bilden Menschenkette um britisches Parlament

Assange-Unterstützer bilden Menschenkette um britisches Parlament

Etwa tausend Menschen haben am Samstag eine Menschenkette um das britische Parlament in London gebildet und die Freilassung von Wikileaks-Gründer Julian Assange gefordert. Assange ist seit 2019 in einem Hochsicherheitsgefängnis nahe London inhaft

09.10.2022

Seit vielen Jahren läuft ein erbittertes juristisches Tauziehen um Wikileaks-Gründer Julian Assange. Nun überschlagen sich die Ereignisse plötzlich.

25.6.2024 - 06:13

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Nach fünf Jahren Haft in London ist Julian Assange nach Angaben der von ihm gegründeten Plattform Wikileaks entlassen worden und ist aus Grossbritannien ausgereist.
  • Das Portal veröffentlichte in der Nacht zum Dienstag bei X ein Video, das zeigen soll, wie der 52-Jährige am Montag am Flughafen Stansted ein Flugzeug besteigt.
  • Eine offizielle Bestätigung der britischen Behörden lag zunächst nicht vor.
  • Zuvor war bekannt geworden, dass Assange eine Einigung mit dem US-Justizministerium erreicht hatte.
  • Demnach soll er sich teils schuldig bekennen, Informationen zur nationalen Verteidigung erlangt und weitergegeben zu haben – im Gegenzug soll ihm eine weitere Haft in den USA erspart bleiben.
  • Ein Gericht muss die Einigung allerdings noch absegnen.

Im jahrelangen rechtlichen Gezerre um den Wikileaks-Gründer Julian Assange gibt es eine überraschende Wende. Nach fünf Jahren Haft in London kam Assange nach Angaben von Wikileaks – unbemerkt von der Öffentlichkeit – aus dem Gefängnis frei und reiste aus Grossbritannien aus. Das Portal veröffentlichte in der Nacht zum Dienstag ein Video, das zeigen soll, wie der 52-Jährige am Montag am Londoner Flughafen Stansted ein Flugzeug besteigt. Eine offizielle Bestätigung der britischen Behörden lag zunächst nicht vor. Hintergrund ist ein juristischer Deal zwischen Assange und der US-Justiz, die zuvor auf eine Auslieferung des Australiers in die Vereinigten Staaten gepocht hatte – davon nun aber absehen will.

Der Deal mit den USA

Assange handelte mit dem US-Justizministerium eine Vereinbarung aus, wonach er sich in dem Spionageskandal teils schuldig bekennen will und ihm im Gegenzug eine weitere Haft in den USA erspart bleibt, wie aus Gerichtsdokumenten hervorgeht, die am Montagabend US-Ostküstenzeit veröffentlicht wurden. Ein Gericht muss die Einigung allerdings noch absegnen. Assange soll dazu bereits an diesem Mittwoch (Ortszeit) vor einem Gericht in einem entlegenen US-Aussengebiet erscheinen: auf den Marianeninseln.

Die Inselgruppe liegt im Westpazifik, nördlich von Assanges Heimat Australien, und steht unter Hoheitsgewalt der USA. In einem Brief des US-Justizministeriums heisst es, der Ort sei gewählt worden, da Assange nicht in die Vereinigten Staaten habe reisen wollen und die Inselgruppe nahe an Australien liege. Es werde erwartet, dass sich Assange bei dem Gerichtstermin am Mittwoch der Verschwörung zur unrechtmässigen Beschaffung und Verbreitung von geheimen Unterlagen schuldig bekennen werde. Im Anschluss solle er nach Australien weiterreisen. US-Medien zufolge soll Assange zu gut fünf Jahren Haft verurteilt werden – die er aber bereits in Grossbritannien verbüsst hat. Demnach wäre er in Kürze ein freier Mann.

Die Vorwürfe gegen Assange

Die USA hatten bisher Assanges Auslieferung verlangt. Sie werfen ihm vor, mit der Whistleblowerin Chelsea Manning geheimes Material von Militäreinsätzen im Irak und in Afghanistan gestohlen, veröffentlicht und damit das Leben von US-Informanten in Gefahr gebracht zu haben. Assanges Unterstützer sehen ihn hingegen wegen des Aufdeckens von US-Kriegsverbrechen im Visier der Justiz aus Washington. Bei einer Verurteilung ohne eine Vereinbarung mit der Staatsanwaltschaft könnten Assange wegen Spionage bis zu 175 Jahre Haft drohen.

Julian Assange spricht vor der ecuadorianischen Botschaft in London mit der Presse. (19. Mai 2017) 
Julian Assange spricht vor der ecuadorianischen Botschaft in London mit der Presse. (19. Mai 2017) 
Bild: Keystone/AP Photo/Frank Augstein

Wikileaks schrieb auf X, es habe lange Verhandlungen mit dem US-Justizministerium gegeben. Die erreichte Einigung sei noch nicht finalisiert. Nach mehr als fünf Jahren «in einer zwei mal drei Meter grossen Zelle, in der er 23 Stunden am Tag isoliert war» werde Assange aber bald wieder mit seiner Frau Stella Assange und den beiden gemeinsamen Kindern vereint werden, «die ihren Vater bislang nur hinter Gittern kennen».

Die Odyssee des Wikileaks-Gründers

Assange hatte vor etwa fünf Jahren seine Haft im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh in London angetreten. Vor seiner Festnahme im April 2019 hatte er sich sieben Jahre in der ecuadorianischen Botschaft in London dem Zugriff der Strafverfolgungsbehörden entzogen. Diese hatten ihn zunächst wegen Vergewaltigungsvorwürfen in Schweden ins Visier genommen. Diese Anschuldigungen wurden später jedoch aus Mangel an Beweisen fallen gelassen. Menschenrechtsorganisationen, Journalistenverbände, Künstler und Politiker fordern seit Langem Assanges sofortige Freilassung.

Auch die australische Regierung hatte sich für die Freilassung ihres Staatsbürgers eingesetzt. US-Präsident Joe Biden weckte kürzlich etwas Hoffnung in diese Richtung. Er sagte auf die Frage, ob die USA ein australisches Ersuchen prüfen wollten, die Strafverfolgung gegen Assange einzustellen: «Wir erwägen das.» Es gab also zwar Anzeichen für eine mögliche politische Lösung – das Timing dafür überraschte nun jedoch.

Assange hatte zuletzt in Grossbritannien Berufung gegen seine Auslieferung in die USA eingelegt. Eigentlich sollte darüber im Juli vor dem High Court in London verhandelt werden. Dieser hatte einem entsprechenden Antrag Assanges im Mai teilweise stattgegeben und damit eine unmittelbare Überstellung des 52-Jährigen an die USA abgewendet.

Die «neue Phase der Freiheit»

Stella Assange rief Unterstützer zu Hilfe für ihren Mann nach seiner Freilassung auf. «Wir beabsichtigen, einen Notfallfonds einzurichten für Julians Gesundheit und Genesung», sagte sie in einem Videoclip, der in der Nacht zum Dienstag auf YouTube veröffentlicht wurde. Assanges Team hatte zuletzt wiederholt gewarnt, der Gesundheitszustand des Wikileaks-Gründers sei schlecht. An Gerichtsterminen nahm er deshalb nicht persönlich teil.

«Ich bitte Euch, wenn Ihr könnt, einen Beitrag zu leisten und uns beim Übergang in diese neue Phase der Freiheit von Julian zu helfen», sagte Stella Assange weiter. Das Video wurde den Angaben zufolge am 19. Juni aufgezeichnet. Wikileaks-Chef Kristinn Hrafnsson sagte darin: «Wenn Ihr dies seht, heisst das, dass er draussen ist.»

«Martyrium meines Sohnes findet endlich ein Ende»

Assanges Mutter dankte den vielen Unterstützern, die sich jahrelang für den Australier eingesetzt haben. «Ich bin dankbar, dass das Martyrium meines Sohnes endlich ein Ende findet», zitierte der australische Sender ABC am Dienstag aus einer Mitteilung von Christine Assange. «Das zeigt, wie wichtig und mächtig stille Diplomatie ist.» 

«Viele haben die Situation meines Sohnes ausgenutzt, um ihre eigenen Ziele zu verfolgen, daher bin ich den unsichtbaren, hart arbeitenden Menschen dankbar, die Julians Wohlergehen über alles andere gestellt haben», erklärte Christine Assange weiter. «Die letzten 14 Jahre haben mich als Mutter offensichtlich stark gefordert, daher möchte ich Ihnen im Voraus dafür danken, dass Sie meine Privatsphäre respektieren.»

Assanges Vater John Shipton sagte der ABC, alles deute darauf hin, dass sein Sohn nach Australien zurückkehren könne: «Soweit ich es verstehe, wird Julian ein normales Leben mit seiner Familie und seiner Frau Stella führen können.» Shipton dankte allen Unterstützern und speziell dem australischen Premierminister Anthony Albanese. Der Regierungschef, der sich für eine Lösung in dem Fall eingesetzt hatte, äusserte sich bisher nicht öffentlich.

SDA