Expertentipps Wandern beliebt wie nie – doch in den Bergen ist nicht nur Corona gefährlich

Von Jennifer Furer

27.5.2020

Vor allem Wanderneulinge überschätzen sich. Expertinnen und Experten sagen, wie eine optimale Vorbereitung laufen soll. 
Vor allem Wanderneulinge überschätzen sich. Expertinnen und Experten sagen, wie eine optimale Vorbereitung laufen soll. 
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Wandern – der Schweizer Volkssport ist wohl so beliebt wie nie. So sehr, dass Outdoor-Geschäfte ihre Artikel bei den Lieferanten sicherstellen müssen. Die Wanderlust birgt Gefahren – nicht nur wegen Corona.

Vogelgezwitscher, eine muhende Kuh, Schwyzerörgeli. «Ich wanderä, ich wanderä dur Fäld und Wald und Flur. Ich wanderä, ich wanderä mitte dur d Natur.» Was der Schweizer Nationalheld Globi in seinem Wanderlied einst beschrieb, trifft momentan auf viele Schweizerinnen und Schweizer zu: «Sie wandern, sie wandern immer vorwärts Schritt für Schritt», würde Globi jetzt singen.

Schenkt man den Bildern Glauben, die derzeit im Internet kursieren, scheint der Schweizer Volkssport tatsächlich so beliebt wie nie: Im Postauto drängen sich Wanderer dicht aneinander, um an ihren Ausgangspunkt oder wieder nach Hause zu kommen, und an Aussichtspunkten und Gipfeln tummeln sich so viele Leute, dass nicht einmal mehr die Abstandsregeln eingehalten werden können.

Dass wegen der Corona-Krise mehr Menschen wandern, lässt sich faktisch derzeit zwar nicht belegen. Es gibt aber Hinweise, die auf diese Tendenz deuten – beispielsweise der übermässige Verkauf von Wander-Artikeln.

Wander-Artikel sicherstellen

Jan Maurer, Marketing-Leiter der Bächli Bergsport AG, dem grössten Bergsportanbieter der Schweiz, sagt: «Wanderschuhe sind derzeit überdurchschnittlich gefragt, dann folgen Trekkingstocke, Wanderhosen und Kletterschuhe.» Im Gegensatz zu den anderen Jahren, in denen noch bis April Skitourenartikel sehr gefragt gewesen seien, erkenne man derzeit eine frühzeitige Planung und Vorbereitung für Wander- und Kletterferien in der Schweiz.

Die Polizei liess die Zufahrt zu den Parkplätzen in Brülisau und Wasserauen zum Wandergebiet Alpstein Mitte April zur Eindämmung des Coronavirus sperren. Dies, nachdem eine Auslastung von 80 Prozent erreicht worden war.
Die Polizei liess die Zufahrt zu den Parkplätzen in Brülisau und Wasserauen zum Wandergebiet Alpstein Mitte April zur Eindämmung des Coronavirus sperren. Dies, nachdem eine Auslastung von 80 Prozent erreicht worden war.
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Noch seien keine Artikel vergriffen, sagt Maurer. «Wir stehen jedoch im laufenden Kontakt mit den Lieferanten, um die Verfügbarkeit auch weiterhin sicherzustellen.»

Auch Patricia Cornali, Sprecherin des Verbands Schweizer Wanderwege, glaubt, dass das Coronavirus Auswirkungen auf das Wanderverhalten der Menschen hat und deswegen mehr Leute auf dem Wanderwegnetz unterwegs sind.

«Einerseits entdecken Menschen, die zuvor nicht oder nur wenig unterwegs waren, das Wandern neu», sagt Cornali. Andererseits würden wanderaffine Menschen noch häufiger wandern gehen.

Cornali begründet ihre Annahme: «Dies kann daran liegen, dass es aktuell nur wenige Alternativen an Freizeitangeboten oder Reisemöglichkeiten gibt.» Oder: Dass die Menschen vermehrt nach einem entspannenden Ausgleich in dieser schwierigen und sorgenvollen Zeit suchten.

Auch René Rychener, Geschäftsleiter und Gründer von wanderungen.ch und tourenguide.ch tendiert zur These, dass derzeit mehr Menschen wandern als vor der Corona-Krise. «Obwohl wir bis zum 10. Mai die Empfehlung des Bundesrates ‹Bleiben Sie zu Hause› weitergegeben haben», sagt er.

Rychener vermutet, dass offenbar genau die Wanderwege besonders beliebt sind, die in den Hotspots liegen – also etwa der Alpstein oder der Creux du Van. Selbiges denkt auch Patricia Cornali vom Verband Schweizer Wanderwege. Sie kann sich vorstellen, dass «Wander-Neulinge» ihre Routen oft im Internet recherchieren und dabei rasch auf typische «Wander-Hotspots» stossen.

An Auffahrt waren viele Touristinnen und Touristen am Seealpsee unterwegs, einem beliebten Ausflugsziel im Alpstein-Gebirge.
An Auffahrt waren viele Touristinnen und Touristen am Seealpsee unterwegs, einem beliebten Ausflugsziel im Alpstein-Gebirge.
Keystone

Das ist nicht unproblematisch. Zum einen wegen des Coronavirus: Menschenansammlungen sind nicht im Sinne der Hygiene- und Abstandsregeln. Deswegen empfiehlt Cornali bekannte Wander-Hotspots zu meiden. «Das Schweizer Wanderwegnetz umfasst mehr als 65’000 Kilometer signalisierte Wanderwege. Da stösst man meistens ganz in der Nähe auf die nächste Wandermöglichkeit.»

Tourenplaner Rychener sieht noch ein anderes Problem, wenn sich zu viele Leute an einem Wander-Hotspot aufhalten: den «Overtourism». «Als Alternative empfehlen sich Rundwanderungen, die nicht so bekannt sind.»

Doch auch da kann es trotz weniger Verkehr eng werden – beispielsweise, wenn sich auf schmalen Wegen zwei Personen kreuzen müssen. «Man sollte rasch aneinander vorbeigehen, sodass der Kontakt möglichst kurz ausfällt», rät Cornali. Zudem: «Wir empfehlen, auch auf einer Wanderung eine Gesichtsmaske mitzuführen, falls der Mindestabstand beispielsweise in Wanderpausen nicht eingehalten werden kann.»

Zu Masken rät auch Valérie Gerl, Sprecherin von Postauto. Diese sind bei gutem Wanderwetter – wie etwa an Auffahrt – so gut gefüllt, dass auch hier der Mindestabstand nicht eingehalten werden kann. «Wir gehen davon aus, dass dies an schönen Tagen auch in den Sommerwochen so sein wird, zumal wahrscheinlich mehr Menschen ihre Ferien im Inland verbringen.»

In vielen Fahrzeugen könne die Distanzregel bei grossem Andrang nicht eingehalten werden, sagt Gerl. «Deshalb gibt es die dringende Empfehlung, eine Schutzmaske zu tragen. Das Schutzkonzept ÖV setzt auf die Eigenverantwortung und Solidarität der Kundinnen und Kunden.» Die Transportunternehmen würden keine polizeilichen Aufgaben übernehmen, um die Einhaltung der Regeln zu kontrollieren. «Wo es betrieblich möglich ist, verstärken wir die Postauto-Kurse mit zusätzlichen Fahrzeugen.»

Sich mit dem Coronavirus anzustecken ist ein Risiko, dass der derzeitige Wander-Hype birgt. Ein anderes sind Unfälle – die auch tödlich enden können. Obwohl die allermeisten Wanderungen gut ausgehen, gibt es in einem durchschnittlichen Jahr in den Schweizer Bergen 52 tödliche Wanderunfälle, heisst es bei der Beratungsstelle für Unfallverhütung Bfu.

«Tödlich endeten vor allem wegen Abstürzen», sagt Bfu-Sprecher Marc Kipfer. Dazu kommt es pro Jahr zu durchschnittlich 26'500 Verletzungen. Vor allem beim Bergwandern seien Neulinge eher gefährdet, eine Situation falsch einzuschätzen. Aktuell sei allerdings die Möglichkeit zum Bergwandern wegen der bis am 7. Juni geschlossenen Bergbahnen eingeschränkt.

Noch liegt Schnee

Noch könne nicht gesagt werden, wie sich die Corona-Krise auf die Unfallzahlen auswirken, weil noch keine Zahlen vorliegen. Doch auch Patricia Cornali vom Verband Schweizer Wanderwege rechnet damit, dass unerfahrene Wanderinnen und Wanderern – von denen jetzt einige unterwegs sind – die Risiken vor allem des Bergwanderns unterschätzen.



Sie sagt: «Eine unzureichende Vorbereitung, falsche Ausrüstung, fehlende Informationen zur Route, zu wenig Wanderpausen und eine falsche Einschätzung der eigenen Fähigkeiten sind häufige Unfallursachen.» Insbesondere Wanderneulinge sollten sich speziell vor einer Bergwanderung gut informieren und eher einfache und kürzere Wanderrouten wählen.

Auch Rychener sagt, dass immer wieder Wanderer – nicht nur unerfahrene – zu früh in der Saison zu weit hinaufwollen. Auf über 1'500 Metern über Meer liege zum Teil noch Schnee, vor allem an Nord- und Osthängen. Das berge Risiken, die nicht zu unterschätzen seien.


Tipps für Wanderneulinge

Patricia Cornali sagt, dass eine gelungene und sichere (Berg-)Wanderung bereits zu Hause beginne: «Informieren Sie sich – nicht nur – als Wanderneuling vorab gründlich über die Wanderroute – Strecke, Zeitbedarf und allfällige Ausweich- oder Abkürzungsmöglichkeiten.»

Zudem sollen genügend Pausen und einen zusätzlichen Zeitpuffer mit eingerechnet werden. «Ihre Ausrüstung sollte unbedingt richtige Wanderschuhe mit solidem Profil, einen Wanderrucksack, genügend Proviant und Getränke, dem Wetter angepasste Kleidung inklusive Sonnen- oder Regenschutz, ein aufgeladenes Mobiltelefon und allenfalls eine Wanderkarte der Region umfassen», so Cornali weiter.

Die Wanderroute muss der Fitness und den Fähigkeiten angepasst werden. «Wanderwege sind gelb signalisiert und verlaufen oft auf breiten Wegen. Steile Passagen werden mit Stufen überwunden und Absturzstellen mit Geländern gesichert», sagt Cornali. Abgesehen von der gewöhnlichen Aufmerksamkeit und Vorsicht würden Wanderwege dieser Kategorie keine besonderen Anforderungen an die Benützer und Benützerinnen stellen. «Sie eigenen sich daher für Wander-Anfänger und -Anfängerinnen besonders gut.»

René Rychener empfiehlt Wanderungen im Jura, im Baselbiet, im Emmental oder auch im Zürcher Oberland. «Dort gibt es wunderschöne Routen, die oft auch nicht so stark bewandert sind.»


Weitere Informationen:

- Auf wanderungen.ch gibt es eine Funktion, mit welcher man bei der Suche nach geeigneten Touren den höchsten Punkt eingrenzen kann.

- Das Bundesamt für Unfallverhütung empfiehlt zudem den Peak-Check. Dieser ist hier beschrieben.

Weitere Informationen finden sich unter www.schweizer-wanderwege.ch/sicher-unterwegs und www.sicher-bergwandern.ch.


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