Wandern mit Albert Rösti Ungeschriebene Gesetze? – Hält Rösti schon mal gar nicht ein

Von Anna Kappeler

26.8.2019

Der SVP-Parteichef Albert Rösti beim Aufstieg aufs Stockhorn.
Der SVP-Parteichef Albert Rösti beim Aufstieg aufs Stockhorn.
Bild: Peter Klaunzer

Die SVP ausgerechnet im Wahljahr orientierungslos? Der Parteichef Albert Rösti weist das während der Erklimmung des Stockhorns vehement zurück. Seine Partei halte einfach an ihren Kernthemen fest, statt Hypes mitzumachen.

Und dann, kurz vor dem Gipfel, geht Albert Rösti die Puste aus. Wortwörtlich. Er muss stehen bleiben. Luft holen. Bis er hervorpresst: «Bitte. Erbarmen. Keine Fragen mehr während des Laufens.» Das Gesicht des SVP-Parteipräsidenten ist vor Anstrengung gerötet, dennoch lacht er herzhaft. «Früher bin ich die Berge hinaufgerannt.» Pause. «Tempi passati. Offensichtlich.»

Der Szene voraus ging ein Wortgefecht über den Politstil der SVP. Thema: Sicherheit und Migration. Kostprobe: «Herr Rösti, warum provoziert die SVP ständig?»
«Tut sie das?»
«Ein Beispiel: Warum sonst posieren Sie für Pressefotos in schusssicherer Weste an der Zürcher Langstrasse?»
«Sie meinen jene Reportage, in der ich mir zusammen mit der Zürcher Polizei vor Ort ein Bild der Sicherheitslage verschaffte? Die Polizei bat mich, die Weste zu tragen, daran hielt ich mich.»
«Sie suggerieren damit: Zürich, in dem fast jeder dritte Bewohner einen ausländischen Pass hat, ist ein lebensgefährliches Pflaster. Das ist polemisch.»
«Die Weste war nicht meine Idee, aber die Polizei wollte für uns sicher kein Risiko eingehen.»

Der Berner Oberländer, der Zürich aus seiner ETH-Studienzeit in Agrarwissenschaften kennt, kontert blitzschnell, ist angriffig in der Sache (er nennt es «konsequent»), bleibt im Ton stets nett («Nett ist gut. Wer will schon nicht nett sein?») – und politisiert knallhart auf Parteilinie.

Rösti auf knapp 2'000 Metern über Meer

Rösti befindet sich auf knapp 2'000 Metern über Meer, der Gipfel des Stockhorns scheint zum Greifen nah, doch das letzte Stück zieht sich fies in die Länge. Die Beinmuskulatur schmerzt nach eineinhalb Stunden steilen Aufstiegs, die Nachmittagssonne knallt auf den Wanderweg, ein Schwarm Bergdohlen fliegt kreischend von einem nahen Felsen gen Himmel. Die Vögel klingen, als lachten sie.

Das Stockhorn ist Röstis Hausberg, die 6'000-Seelen-Gemeinde Uetendorf, in der er wohnt und seit fünf Jahren Gemeindepräsident ist, per Auto nicht weit entfernt. In der Seilbahn geht's von Erlenbach hinauf zur Mittelstation Chrindi. Dicht an dicht drängen sich darin die Ausflügler, der Duft von Sonnencrème vermischt sich mit Parfüm und Schweiss. Ein Angestellter lässt es sich nicht nehmen, Rösti über Lautsprecher willkommen zu heissen. Kurz verstummen alle Gespräche. Rösti ist das Aufheben um seine Person sichtlich unangenehm, wie er später bestätigt.

SVP sorgt für Negativschlagzeilen

Bei den letzten nationalen Wahlen erreichte die SVP ein Rekordergebnis von 29,4 Wählerprozenten. Inzwischen allerdings wirkt sie orientierungslos. Statt eigene Themen zu setzen, macht sie Negativschlagzeilen etwa mit einer Medienmitteilung der SVP Zürich nach dem Zug-Drama in Frankfurt durch einen Eritreer, worauf die Partei gegen die ganze Volksgruppe hetzt. Ihr droht deswegen eine Anzeige wegen Rassismus. Dazu Rösti: «Die grosse Mehrheit an Gewaltdelikten wird nun einmal von Ausländern verübt.»



Gegenwärtig sorgt die neue Plakat-Kampagne, in der die Partei politische Gegner als Würmer darstellt, für Unmut. Sie erinnert an die Bildsprache der Nationalsozialisten und wird sogar SVP-intern kritisiert. Rösti bleibt gelassen. «Dafür trage ich als Präsident zusammen mit dem Wahlleiter die Verantwortung. Die Freiheit der Schweiz ist in Gefahr – also braucht es eine klare Bildsprache.»

Aktuelle Umfragen sagen der SVP Verluste von -2,9 Prozentpunkte im Vergleich zu 2015 voraus. Wichtige SVP-Zugpferde wie Toni Brunner, Adrian Amstutz und Natalie Rickli fehlen. Hat die Partei den Gipfel überschritten? Und wenn es für die grösste Partei der Schweiz also nicht mehr höher hinauf geht, geht es dann nur noch abwärts? Rösti wird kurz nachdenklich: «Natürlich stehe ich da als Parteipräsident unter Erfolgserwartung. Das lässt mich nicht kalt.»

«Die DNA der SVP ist nicht so wechselhaft wie das Wetter», sagt Albert Rösti. Zu diesem Zeitpunkt ist der Gipfel des Stockhorns bereits im Nebel.
«Die DNA der SVP ist nicht so wechselhaft wie das Wetter», sagt Albert Rösti. Zu diesem Zeitpunkt ist der Gipfel des Stockhorns bereits im Nebel.
Bild: Peter Klaunzer

Aber die DNA der SVP sei nicht so wechselhaft wie das Wetter. «An seinen Kernthemen muss man dranbleiben, auch wenn sie vorübergehend nicht zuoberst auf der medialen Agenda stehen.» Alles andere wäre unglaubwürdig. «Unsere Aufgabe ist es, so gut zu sein, dass die Wähler an die Urne gehen. Dafür müssen wir uns selber treu bleiben.»

Und so setzt die SVP beispielsweise weiter auf den Kampf gegen den «schleichenden EU-Beitritt» und den Rahmenvertrag. Nur dank der SVP sei die Schweiz nicht längst EU-Mitglied. «Die Gefahr eines EU-Beitritts ist vorhanden. Das bedroht die Schweiz. Und was das Land bedroht, muss man bekämpfen.» Rösti geht davon aus, dass der Rahmenvertrag nach den Wahlen rasch unterzeichnet werde. «Es gibt einen Komplott. Die Wirtschaftsverbände wollen die Gewerkschaften mit sozialpolitischen Zugeständnissen kaufen, im Umkehrschluss für ihr Ja zum Rahmenabkommen.»

Zuerst Sonnencrème, dann Nebel

Nicht zu kurz kommen soll das leibliche Wohl, also gibt’s im Restaurant zuerst eine Stärkung mit Nussgipfel, Kaffee und Mineral, bevor die Route  zunächst gemächlich entlang des Hinderstockensees und dann – wie es die SVP politisch gern hätte – immer bergauf führt.

Es ist ein strahlender Hochsommertag, «logisch», sagt Rösti lachend, «wenn die SVP unterwegs ist, scheint die Sonne.» Das Tempo ist ordentlich, nur kurz wird gehalten, um nochmals Sonnencrème aufzutragen oder einen Schluck Wasser zu trinken.

«Dort hinauf gehen wir!» In ordentlichem Tempo nimmt SVP-Chef Rösti den Aufstieg aufs Stockhorn in Angriff.
«Dort hinauf gehen wir!» In ordentlichem Tempo nimmt SVP-Chef Rösti den Aufstieg aufs Stockhorn in Angriff.
Bild: Peter Klaunzer

In den Ferien wenige Tage zuvor sei Rösti dieselbe Route zusammen mit Ehefrau Theres weniger anstrengend vorgekommen. «Gut, wir haben nicht geredet», grinst er. Beim Wandern schweige er, das sei ein ungeschriebenes Gesetz, koste doch jedes Wort einen Schritt. Blöd nur, hätten er und die Frau sich im Restaurant verquatscht und so die letzte Bahn hinunter verpasst. Es blieb einzig der Fussmarsch ins Tal.

Seit der knappen Annahme der Masseneinwanderungsinitiative 2014 hatte die SVP auch an der Urne kein Glück mehr. Das will sie mit der Begrenzungsinitiative ändern, über die voraussichtlich im Februar oder Mai 2020 abgestimmt wird. Deren Ziel: Die Personenfreizügigkeit kippen. Rösti gibt sich siegessicher: «Die Personenfreizügigkeit bringt uns langfristig so viele Nachteile, dass die Leute für unsere Initiative stimmen werden. Wichtig sei es, die Masseneinwanderung zu stoppen, und so sei «im Interesse der Schweiz notfalls die Kündigung von sechs von insgesamt weit über 100 bilateralen Verträgen hinzunehmen».



Rösti und die Lehre von Thun

Rösti mag das Stockhorn aus geografischen Gründen gewählt haben, weil es nahe seines Wohnorts liegt. Doch nicht nur. Rösti, vor seiner Zeit als Parteichef nationaler Wahlkampfleiter, ist ein Stratege. Der sich im Wahlkampf befindet. Auf einem Grat legt er auf einem Bänkli mit Aussicht einen Stopp ein. Weit unter ihm liegt auf der einen Seite die Mittelstation der Seilbahn, der Blick schweift über grüne Weiden.

Dann zeigt Rösti auf die andere Seite, unter ihm liegt die Stadt Thun, allerdings zieht kaum angekommen starker Nebel auf, so dass diese nur erahnt werden kann. «Thun hat rund 42'000 Einwohner. Das entspricht etwa der Anzahl Zuwanderer aus der EU, die jährlich in die Schweiz kommen», sagt Rösti. «Wollen wir das Mittelland jährlich in diesem Umfang überbauen?» Er gibt die Antwort – natürlich – gleich selber: «Wer das nicht will, wählt SVP und unterstützt die Begrenzungsinitiative.»

Dass ausgerechnet in diesem von Rösti exakt geplanten Moment das SVP-Sünneli von aufkommendem Nebel überdeckt wird – ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

«Wollen wir das Mittelland jährlich im Umfang der Stadt Thun überbauen?», fragt Rösti auch auf dem Stockhorn. Thun wäre – ohne Nebel – links unten im Bild sichtbar.
«Wollen wir das Mittelland jährlich im Umfang der Stadt Thun überbauen?», fragt Rösti auch auf dem Stockhorn. Thun wäre – ohne Nebel – links unten im Bild sichtbar.
Bild: Peter Klaunzer

Apropos saftig grüne Wiesen: Den Einwand, die SVP habe mit dem Klima das prägende Thema dieses Wahljahres verschlafen, lässt Rösti nicht gelten. «Das stimmt überhaupt nicht, wir springen lediglich nicht auf den Klima-Hype auf.» Und nein, das sei keine Taktik, um immerhin alle Klimawandel-Skeptiker als Wähler zu gewinnen. Während SVPler wie Roger Köppel regelmässig Wut-Tweets gegen den «Klima-Wahn» absenden, ist für Rösti  der Einfluss des Menschen auf den Klimawandel unbestritten. Doch auch für ihn ist unklar, wie gross dieser sei. «Ich mache Politik, keine Wissenschaft.»

«Will für die Schweiz eine Verantwortung tragen»

Rösti zeigt mit einer ausholenden Armbewegung um sich: «Ich will für die Schweiz eine Verantwortung tragen. Die Leidtragenden bei den neuen Klima-Verboten sind die hier oben. Die Bergbauern.» Deshalb störe er sich an den demonstrierenden Schülern in den Städten. Käme die «links-grüne Verbots- und Abgabepolitik» durch, müssten viele Bauern ihre Betriebe schliessen, weil sie nicht mehr rentabel seien. Als Bauernsohn – sein ältester Bruder Hans übernahm den elterlichen Hof und sömmert das Vieh auf der Alp Ueschinen ob Kandersteg –, erlebe er das hautnah.



«Wir brauchen in der Klimapolitik weltweite Massnahmen, die Schweiz darf nicht vorpreschen. Das verteuert bloss die hiesigen Nahrungsmittel.» Er sei für eine lokale Ökonomie der kurzen Wege und für die Stärkung regionaler Produkte. Sonst wären mehr Importe die Folge, was wiederum klimaschädlich sei. «So geht unser Wohlstand kaputt, die Mittelstandfamilien haben das Nachsehen.»

Diese Haltung gefällt in der selbsternannten Bauernpartei SVP nicht allen. Konrad Langhart, der nach den desaströsen Zürcher Wahlen zum Rücktritt als Kantonalchef aufgefordert wurde, kritisierte danach die Klima-Politik der Partei öffentlich. Die Verluste in Zürich, der Heimat des SVP-Chefstrategen Christoph Blocher, trafen die Partei hart. Wie es Rösti mit Blocher kann? «Sehr gut, schliesslich ist die Schweiz dank ihm noch nicht in der EU». Blocher habe einen unverändert grossen Einfluss. Das sei gut so.

«Vati, bist du gegen alle Ausländer?»

Rösti ist Vater einer 18-jährigen Tochter und eines 21-jährigen Sohns. «Ich bin froh, bot sich die Gelegenheit für das Parteipräsidium erst, als die Kinder schon gross waren.» Zwar hätte er wohl auch früher schon nicht Nein zum Amt gesagt, dann aber wäre die Vereinbarkeit mit der Familie schwierig gewesen, da er heute fast jeden Abend als Parteichef unterwegs sei. «Zusammen mit meiner Frau Theres, welche als Flugbegleiterin arbeitet, planen wir jeden Sonntagabend die kommende Woche, damit wir nicht aneinander vorbeileben.»

Auf der Wanderung klingelt Röstis Handy immer wieder einmal lautstark – kein Wunder bei seiner 60 bis 80 Stundenwoche.
Auf der Wanderung klingelt Röstis Handy immer wieder einmal lautstark – kein Wunder bei seiner 60 bis 80 Stundenwoche.
Bild: Peter Klaunzer

Für die Kinder sei seine Bekanntheit durch die Politik nicht nur einfach. Rösti nennt ein Beispiel lange vor seiner Parteipräsidentenzeit. «Meine Tochter ist nach der Schule nach Hause gekommen mit der Frage: Vati, bist du eigentlich gegen alle Ausländer?» Rösti habe ihr dann erklärt, dass er «nur gegen diejenigen Ausländer sei, die sich nicht integrieren und die nicht arbeiten wollen». «’Ah, dann ist ja gut’, hat meine Tochter kommentiert. Danach war das Thema für sie erledigt.»



Nicht erledigt hat sich das Thema für Rösti, eine «konsequente Ausländerpolitik» ist ihm ungemein wichtig. Was das heisst? «Wir müssen die Verantwortung für unser Land und unsere Leute wahrnehmen.» Die Willkommenskultur müsse gestoppt und durch Hilfe vor Ort ersetzt werden. Das sei wirksamer und billiger. Und: «Ich bin gegen den Rassismus-Artikel. Er schränkt nur die Meinungsfreiheit ein.»

«Rückschläge gehören dazu»

Nach 600 Höhenmetern die Ankunft beim Panoramarestaurant Stockhorn. Obwohl der Magen knurrt, werden zuerst noch die letzten Meter bis zur Aussichtsplattform auf 2'190 Metern über Meer erklommen. Die Sicht ist – vor lauter Nebel inexistent. «Das ist wie in der Politik, Rückschläge gehören dazu», sagt Rösti. Das Gute daran sei: «Nach dem Nebel kommt die Sonne wieder.» Er kennt das, 2010 schaffte er den Sprung in den Berner Regierungsrat nicht, 2015 blieb ihm ein Amt im Stöckli verwehrt.

Minuten später, zurück im Restaurant, klingelt Röstis Handy zum wiederholten Mal laut und aufdringlich. Die Zeit wird knapp, Rösti hat in einer Stunde eine Sitzung, und noch ist er oben auf dem Gipfel. Rösti wendet rund 20 Wochenstunden für sein Gemeindepräsidium und die Beratungstätigkeit im «Büro Dr. Rösti GmbH» auf, weitere 20 Wochenstunden gehen für das Nationalratsmandat drauf. «Bleiben also weitere 20 bis 40 Wochenstunden fürs Parteipräsidium.» Und für die Freizeit, oft vermische sich das mit dem Präsidium.

Rösti ignoriert das Handy vorerst – und beisst herzhaft in die Pouletpiccata mit Tomatenspaghetti.



Sommerserie «Wandern mit...»: Wandern ist als Schweizer Volkssport eine passende Gelegenheit, eine Politikerin oder einen Politiker fernab des Bundeshauses zu treffen. «Bluewin» begleitet im Vorfeld der Gesamterneuerungswahlen vom 20. Oktober Albert Rösti (SVP), Corrado Pardini (SP), Petra Gössi (FDP), Markus Ritter (CVP) und Aline Trede (Grüne) auf einer von diesen jeweils ausgewählten Route. Die Porträtierten treten alle zur Wiederwahl an.

Bilder des Tages

Zurück zur Startseite